Energie 04.06.1999, 17:21 Uhr

Leittechniker betreuen Kraftwerke per ISDN

Leittechnikspezialisten müssen oft weite Strecken zurücklegen, um Kraftwerksbetreiber bei Störungen oder Prozeßoptimierungen zu unterstützen. Bei der Fernbetreuung mit einem Kommunikationspaket gehen nur noch Daten auf die Reise.

Theodor Rosch wirbelt mit der Maus seines Computers. An der Großbildwand vor ihm formt sich blitzschnell das Funktionsdiagramm eines Kraftwerks, das gerade 108 MW Leistung fährt: 12 MW benötigen technische Prozesse, 44 MW werden für Raumwärme eingesetzt, 52 MW in das Fernwärmenetz der Stadt gespeist. Alle aktuellen Daten, alle Schaltbilder, alle Meßwerte und ihre grafische Umsetzung sind verfügbar – online, live und in Echtzeit. Dabei sitzt der Diplom-Ingenieur nicht etwa vor Ort in Wolfsburg, in der Warte des VW-Kraftwerks West, sondern rund 420 km Luftlinie entfernt an seinem Arbeitsplatz in Karlsruhe, wo das Servicecenter für Kraftwerksleittechnik der Siemens AG zuhause ist.
Televisio nennt sich das System, das neue Perspektiven in der Fernbetreuung von Kraftwerken eröffnet. Ob die Automobilmetropole in Niedersachsen oder der Gasturbinenblock Townsville in Australien, ob die Erdölraffinerie Cadereyta in Mexiko oder das Kohlekraftwerk Hendrina in Südafrika – sie alle verfügen, wie rund 20 weitere Anlagen rund um den Globus, bereits über die fortschrittliche Anbindung. „Heute stehen bei uns in der Kraftwerksleittechnik Softwarelösungen im Vordergrund, die auch diese Kommunikationsmöglichkeiten eröffnet haben“, so Fachmann Rosch, Teamleiter im Kompetenzcenter Service bei Siemens in Karlsruhe.
Um Kraftwerksbetreibern mit ihrem Know-how bei Störungen, aber auch bei Prozeßoptimierungen zur Verfügung zu stehen, mußten Leittechnikspezialisten bislang die Koffer packen und sich vor Ort begeben. Häufig liegen die Einrichtungen zur Stromgewinnung aber eben nicht „um die Ecke“, vielmehr dauern Trips in die russische Tundra, nach Asien oder Südamerika einige Tage. Zudem erfordert die steigende Komplexität der Anlagen zunehmend hochspezialisierte Ingenieure, die sowohl die Kraftwerkstechnologien als auch Automatisierungssysteme beherrschen müssen. Und hier liegt der unschlagbare Vorteil des neuen Service-Kompetenzcenters: Über Televisio steht ein komplettes Expertenteam rund um die Uhr an 365 Tagen in vielen Sprachen für alle Fragen und Probleme der Kunden zur Verfügung.
Das Kommunikationsspaket Televisio bietet hierbei eine effektive und kostengünstige Brücke, weil nur noch Daten auf die Reise gehen. Es ermöglicht die direkte vollgrafische Visualisierung und Fernbedienung aller Teilsysteme über ISDN-Telefon- oder seit diesem Frühjahr auch über Satellitenverbindung (Inmarsat), was z. B. für Rußland und China besonders wichtig ist, weil hier auch auf längere Sicht keine ISDN-Anschlüsse verfügbar sein werden. Voraussetzung sind Prozeß- oder Leittechniken, die auf Unix oder Windows basieren wie Teleperm XP, das Kraftwerksleitsystem, mit dem Siemens Weltmarktführer ist und das schon in rund 250 Anlagen in mehr als 50 Ländern installiert wurde.
Die ISDN-Technik arbeitet mit einer Datenübertragungsrate von 128 kbit/s, die Anbindung über die Relaisstation im Orbit mit 64 kbit/s. Daraus ergeben sich Signallaufzeiten um 100 ms via Telefon (innerhalb Europas 20 ms bis 60 ms) und ca. 600 ms bei Satellitenstrecken. Die Aufwendungen für die Ausrüstung sind, gemessen am Nutzen und am Einsparungspotential, selbst bei Satellitenübertragungen sehr gering.
Gerade durch die Liberalisierung der Strommärkte sind Energieversorger unter zunehmenden Kostendruck geraten. Das führt auch zu neuen Anlagen-Managementkonzepten, zwingt aber vor allem zu größtmöglichen Betriebs- und Prozeßoptimierungen. Der Einsatz von Televisio in Kombination mit einem Support-Center bringt hier entscheidende Vorteile: So lassen sich mit Hilfe des sogenannten Remote-Engineerings kurze Inbetriebnahmezeiten realisieren, weil Änderungen in der Projektierung ohne Verzug direkt aus dem Kompetenzcenter heraus durchgeführt werden. So sind in Karlsruhe die notwendigen Fachleute permanent verfügbar – „service round the clock“, heißt das bei Siemens. Schnellere Reaktions- und Entstörzeiten minimieren Stillstände – ebenso ein Kostensenkungsfaktor wie die Erhöhung der Produktivität durch optimierte Prozesse, die z. B. den Wirkungsgrad oder den Umweltschutz betreffen. Schulungen und Training des Personals müssen nicht mehr direkt an der laufenden Anlage erfolgen, sondern können flexibel an unterschiedlichen Orten stattfinden, wobei via Televisio auf einen zentralen Kraftwerkssimulator zugegriffen werden kann.
Der Kraftwerksbetreiber kann das innovative System aber auch intern nutzen: Einen ISDN-Anschluß vorausgesetzt, könnte er prinzipiell vom heimischen PC aus den Anlagenbetrieb überwachen. In Belgien wird der Block Schaarbeek mittels Televisio aus der Warte des Kraftwerks Drogenbos fernbedient. Gerade in den Schwellen- und Entwicklungsländern drängen immer mehr branchenfremde Anbieter wie z. B. Banken oder Versicherer, sogenannte IPPs (Independent Power Producer), ins Stromgeschäft. In diesem Sektor können sich mit Televisio ganz neue Modelle der Betriebsführung und -überwachung als Dienstleistung ergeben, denn hier ist der kostenoptimierte Betrieb oberstes Gebot.
Nach einer Einwahlzeit von nur wenigen Minuten kann quasi jede Warte der Welt nach Karlsruhe geholt werden. „Für die Zukunft planen wir weitere Support-Zentren in anderen Teilen der Erde, um unsere Aktivitäten auf diesem Gebiet noch besser bündeln zu können“, erläutert Erwin Wolter, Leiter Service & Support der Kraftwerksleittechnik bei Siemens. Inzwischen gibt es Konzepte, daß Anlagen von sich aus, also nicht der Operator, Alarmmeldungen abgeben, wenn bestimmte Grenzwerte überschritten werden. Sobald sich die Feldbustechnologie in Kraftwerken weiter verbreitet hat, ist sogar der Durchgriff bis auf die Ebene der Feldgeräte möglich. Entsprechend groß ist die Nachfrage – weitere Projekte sind bereits geplant.
KLAUS JOPP
Per Telekommunikation können sich Service-Ingenieure die Schaltbilder und Meßdaten von Kraftwerken auf den Bildschirm am eigenen Arbeitsplatz holen. Die Ferndiagnose erspart ihnen weite Reisen.
Remote-Engineering kürzt Zeiten für die Inbetriebnahme ab, weil sich Änderungen bei der Projektierung schnell durchführen lassen.

 

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