Kampf um Wasser spitzt sich zu
Schon jetzt müssen rund 1,2 Mrd. Menschen ohne sauberes Trinkwasser auskommen, rund 5 Mio. sterben jährlich an Verunreinigungen. Wissenschaftler in aller Welt suchen nach kleinen und großen Lösungen.
Auf den 13 km vom norwegischen Tiefseehafen Prosgrunn zum idyllisch gelegenen Langen See haben Wanderer 78 Höhenmeter zu überwinden. In umgekehrte Richtung fließt seit zwei Jahren Wasser durch eine Pipeline. Ziel: China und Hongkong. Die Nordic Natural Water AS füllt das blaue Gold in flexible, 24 000 l fassende Tanks und verschifft es per Container nach Fernost. Dort wird es als besonders reines Trinkwasser serviert.
Der Transport ist angesichts der Wasserprobleme Chinas nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ballungsräume und wasserintensive Industrie wachsen dort schneller als Abwassersysteme. Verfügbare Wasserressourcen sind chronisch übernutzt – es wird schneller verschmutzt als wieder gereinigt. Flüsse und Seen werden zu Kloaken.
Schlimmer noch ist die Entwicklung in Chinas „Brotkorb“. Der Getreidegürtel entlang des Gelben Flusses verdorrt. Die Gletscher, die den viertlängsten Fluss der Erde mit ihrem Schmelzwasser speisen, verschwinden. Ex-OECD-Generalsekretär Donald J. Johnston mahnte zu seinem Abschied, dass der Strom einst gänzlich versiegen könne – wie alle anderen Flüsse auch, die sich aus Gletschern speisen.
Die globale Wasserkrise hat vielschichtige Ursachen und Folgen. Fast immer sind sie hausgemacht. So werden weltweit nur ein Zehntel aller Abwässer geklärt, bevor sie in Gewässer zurückfließen. Die allermeisten Länder der Erde sind von den Verhältnissen in Deutschland weit entfernt. Hier wird derzeit diskutiert, ob nach mechanischer, biologischer und chemischer Reinigung eine vierte Klärstufe zur Eliminierung organischer Spurenstoffe sinnvoll ist. Dann hätte das, was aus den Klärwerken in die Flüsse fließt, Badewasserqualität.
Für Menschen in akuter Wassernot hat die französische Ingenieurin Florence Cassassuce eine einfache Lösung entwickelt: ein 15 l-Wassereimer mit einem elektrisch betriebenen UV-Modul. Binnen vier Minuten tötet das Licht alle Viren, Keime und Bakterien ab. Der Bedarf an solchen einfachen Lösungen ist riesig: Laut UN leben heute 1,2 Mrd. Menschen ohne sauberes Trinkwasser, zwei Drittel davon in Asien. Viele Bauern schwören dort auf Bewässerung mit unbehandeltem Abwasser, weil es die Erträge steigert. Doch mit der Brühe schwappen allerlei Schadstoffe in die Nahrungskette.
Mancher Experte regt angesichts solcher Not an, Flüsse umzuleiten. Allein aus Kanada und Russland ströme schließlich genug Süßwasser ins Arktische Meer, um alle Probleme zu lösen. Auch in Spanien gab es Pläne, Wasser vom Norden der iberischen Halbinsel in den Süden zu leiten. In Kalifornien wollte die World Water SA kleine quellreine Flüsse an ihren Pazifikmündungen anzapfen und das kostbare Nass durch Keramikfilter in riesige Säcke pumpen, um es über den Ozean in die großen Städte des ausgedorrten Südens zu schleppen. Doch umweltpolitische Bedenken stehen diesen Mammutprojekten bisher entgegen.
Umstritten ist auch die Idee von Dietrich Sobinger. Schon Mitte der 80er Jahre erwirkte er internationalen Patentschutz für eine Vorrichtung, um Eisberge abzuschleppen. Hintergrund: 70 % des Süßwassers auf der Erde sind im Eispanzer der Pole gebunden. Berechnungen ergaben allerdings, dass selbst stärkste Schlepper den Wettlauf gegen die Schmelze verlieren würden. Bei Ankunft wäre jeder Eisberg verschwunden. Stattdessen will der deutsche Ingenieur kleine Eisberge mit Hilfe von Helikoptern und Tauchern in Kunststoffsäcke verpacken, eindringendes Salzwasser abpumpen und die Säcke dann mit der Meeresströmung Richtung Festland treiben lassen. Dort sollen Schlepper sie in Empfang nehmen. Weil ihm das Forschungsministerium nach anfänglicher Förderung die Mittel kappte, suchte Sobinger zuletzt neue Partner in Südafrika.
Niels Schütze verfolgt einen völlig anderen Ansatz: Er will Wasser sparen. Möglichkeiten dazu erforscht er am Institut für Hydrologie und Meteorologie der TU Dresden. Sein Spezialgebiet sind landwirtschaftliche Bewässerungssysteme. Damit arbeitet er an der Wurzel der Wasserkrise: 70 % des globalen Wasserverbrauchs gehen auf die Kappe der Landwirtschaft. Noch immer geht auf Feldern mehr Wasser verloren, als Wasserexporteure jemals werden liefern können. „Der Wirkungsgrad von Bewässerungen erreicht im Schnitt nur 40 %“, so Schütze. Von 10 l Wasser kämen also nur 4 l bei den Pflanzen an. Bei einer moderneren Tröpfchenbewässerung sind es 9,5 l. Dabei wird das Wasser mit feinen Schläuchen gezielt in die Nähe der Wurzeln gebracht – entweder oberirdisch oder unterirdisch. Doch diese Systeme sind teuer.
Schütze sucht deshalb im Team mit Geologen, Agrartechnikern und IT-Experten Wege, das Optimierungspotenzial mit einer Mischung aus High- und Lowtech zu heben. Ein Ansatz sind einfache Steuerungen für die Furchenbewässerung. „Es ist nicht leicht, eine kilometerlange Furche effizient mit Wasser zu versorgen“, erklärt er. Eine Lösung könnte in neuronalen Netzen liegen. Dabei lernt eine Software, wie sich unterschiedliche Böden bei verschiedenen Bewässerungsmethoden verhalten. Die Ergebnisse werden genutzt, um simple Steuerungsmodule an Wasserhähnen zu dirigieren.
„Die Systeme selbst werden billig sein, die nötigen Vorbereitungen sind aber teuer“, so Schütze. Aktuell seien Wissenschaftler dabei, die Böden der Erde aus dem All genau zu inventarisieren. Dabei werden das Oberflächenprofil und die Bodenbeschaffenheit analysiert. Diese Informationen werden Landwirten eines Tages helfen, ihre Äcker optimal zu bewässern. Davon ist Schütze überzeugt. Es würden allerdings noch Jahrzehnte bis dahin vergehen.
Um das Wasserproblem langfristig in den Griff zu bekommen, gehen Wissenschaftler weltweit den Funktionen von Böden, den Ökosystemen der Gewässer, dem Wasserbedarf von Pflanzen und dem menschlichen Verhalten auf den Grund. Ausdrücklich bezieht die Deutsche Forschungsgemeinschaft auch Soziologen und Ökonomen in ihre Wasserforschung ein. Schütze erforscht in solchen Zusammenhängen, wie Pflanzen auf Defizitbewässerung reagieren. Agrartechniker führen dabei Anbauversuche durch. Und Ökonomen errechnen, unter welchen Randbedingungen die Wasserersparnis die Ertragseinbußen kompensiert. Ziel sind ganz konkrete Handlungsempfehlungen, die sich für Landwirte und den Wasserhaushalt auszahlen.
Noch genießen Landwirte weltweit das Privileg subventionierter Wasserversorgung. In den USA und Südeuropa beispielsweise zahlt ein Farmer nur einen winzigen Bruchteil dessen, was ein normaler Haushalt für 1 m3 Wasser zu bezahlen hat. Doch das wird sich ändern. In Israel werden Landwirte schon darauf vorbereitet, dass sie künftig den Preis der Meerwasserentsalzung zahlen müssen. Dank des technischen Fortschritts ist dieser bereits unter 1 Dollar/m3 gesunken.
Um die Preisschraube bei der Entsalzung weiterzudrehen, gehen Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt effizienten Solarverfahren nach. Dabei konzentrieren Spiegelfelder das Sonnenlicht und erhitzen einen Keramikkörper auf über 1000° C. Mit dieser Hitze werden Dampfturbinen betrieben, die Strom erzeugen. Die Energie wird benötigt, um im Rahmen der „Umkehrosmose“ Druck zu erzeugen, mit dem Salzwasser durch feinste Membranen gepresst wird. Salz, Kalk und auch Schwermetalle bleiben im Gewebe hängen, entsalztes Wasser strömt hindurch. Neben Strom für die Umkehrosmose wollen die DLR-Forscher die Abwärme der stromerzeugenden Turbine zur thermischen Entsalzung nutzen.
Interessant sind solche Verfahren u. a. für die arabische Halbinsel. Die Region hängt am Tropf nicht erneuerbarer fossiler Wasserreserven, die Hunderte Meter tief lagern. Was hier einmal entnommen wird, kommt nicht zurück. Im Jemen sinkt der unterirdische Wasserspiegel deshalb um 10 m jährlich. Um langfristig Wasser zu haben, müssen die Menschen dort umdenken.
Eine Lösungsmöglichkeit: dezentrales Wasserrecycling. Speziell für trockene und dünn besiedelte Regionen der Erde hat ein deutsches Forschungskonsortium mit staatlicher Förderung unter der Überschrift „Komplett-Projekt“ ein Hightech-System für Hotelanlagen, Freizeit- und Shoppingcenter, Kleinsiedlungen oder Hochhäuser entwickelt. Abwässer werden sofort in Fäkal- und Grauwasser getrennt und praktisch im Keller in einem mehrstufigen Prozess wahlweise auf Trink-, Nutz- oder Brauchwasserqualität gereinigt. Das von Ingenieuren aus Sanitär-, Automations- und Abwassertechnik entwickelte System kann aus Deutschland fernüberwacht und gesteuert werden – eine wichtige Voraussetzung angesichts fehlender Spezialisten gerade in entlegenen Regionen, wo solche dezentralen Systeme dringend benötigt werden.
Ein beteiligtes Unternehmen ist die EnviroChemie GmbH aus Darmstadt. Das Unternehmen liefert dezentrale Wasser-Recycling-Anlagen für Fabriken in viele Länder – etwa Russland oder Rumänien. Wie beim neu entwickelten System des Forschungskonsortiums sitzen auch hier die Qualitätswächter in Deutschland. Hiesige Ingenieure behalten die Aufbereitung im Blick und können Fachkräfte vor Ort instruieren. Für das Gros der Fabriken in China, Indien und anderen Emerging Markets ist das bisher leider noch eine Zukunftswelt. PETER TRECHOW
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