Ist Fusion machbar?
Bekäme der Mensch die Kernfusion in den Griff, wäre die Energieversorgung kein Problem mehr. In den kommenden zwei Jahren wird sich entscheiden, ob das erste Plasmakraftwerk finanzierbar ist.
Schon beim Eintritt in die Halle wird ein Mensch von einer Art überdimensionalem Stehtisch zum Zwerg gemacht. Das muss die Rumpelkammer eines Riesen sein! Dahinter hat der Gigant offenbar ein ausgemustertes Stück Ofenrohr deponiert, 4 m hoch, 6 m lang, in dem sich scheinbar Bienen oder Hornissen eingenistet haben. Denn an diesem gekrümmten Monstrum summt irgendetwas stetig vor sich hin.
„Das ist die Vakuumpumpe des Testkryostaten“, sagt Isabella Milch und macht mit diesen Worten urplötzlich Schluss mit dem Gedankenausflug ins Phantastische. Der zu groß geratene Tisch, erklärt die Pressesprecherin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München, sei in Wahrheit ein Gerüst für die Prüfung tonnenschwerer Magnetspulen, und das Ofenrohr ist eher das Gegenteil von dem, was es suggeriert: nämlich eine Kältemaschine, auch Kryostat genannt, wie sie für die Kühlung des künftigen Fusionsexperiments „Wendelstein 7-X“ zum Einsatz kommen soll.
Bei den Fusionsforschern wird es langsam konkret. Laut einer im Auftrag des Schweizer Wissenschaftsrats herausgegebenen Studie ist die Kernfusion die am besten untersuchte Zukunftstechnologie aller Zeiten. Und dennoch ist keineswegs klar, ob es jemals für die Stromversorgung geeignete Fusionskraftwerke geben wird. Denn innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre stehen in den beteiligten Ländern weichenstellende Entscheidungen für oder gegen den Bau des rund 3,5 Mrd. ¿ teuren „Internationalen Thermonuklearen Experimentalreaktors“ (ITER) an. In der Zeit muss die Aufteilung der Kosten auf die Partner ausgehandelt werden. Offen ist, ob die nötigen Milliarden überhaupt zusammenkommen.
Sollte ITER nicht gebaut werden, wird die Nutzung der Fusionsenergie um weitere Jahrzehnte verzögert, wenn nicht endgültig begraben. Die USA haben sich schon 1998 aus dem ITER-Projekt verabschiedet. „Die Europäer sind gut beraten, wenn sie dem Beispiel der Amerikaner folgen“, meint Hans-Josef Fell, Forschungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. „Da die Kernfusion erst um das Jahr 2050 nutzbar sein soll, käme sie zur Lösung der drängenden globalen Energieprobleme um Jahrzehnte zu spät.“
Mit einer deutlich abgespeckten Version (ITER-FEAT) – so wurde die angepeilte Fusionsleistung von 1500 MW auf 400 MW, die Plasmatemperatur von 128 Mio. °C auf 90 Mio. °C und das Budget von rund 8 Mrd. ¿ auf 3,5 Mrd. ¿ reduziert – will die EU mit der Schweiz, Japan, Kanada und Russland, aber auch ohne die USA am ITER-Projekt festhalten.
Seit wenigen Monaten allerdings gibt es auch in den USA Überlegungen, ob man nicht doch wieder bei ITER-FEAT einsteigt oder alternativ ein eigenes Fusionsexperiment auf die Beine stellt. Schließlich gilt die Fusion als eine fast unerschöpfliche Energiequelle. Die zur Fusion verwendeten Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium sind in den Weltmeeren zuhauf vorhanden, und schon geringe Mengen setzen enorme Energie frei: 1 g Deuterium und Tritium, das in den Kraftwerken zu Helium fusionieren würde, erzeugt etwa 100 000 kWh elektrische Energie – rund zehn Millionen Mal mehr als 1 g Öl.
Und das mit vertretbarem Risiko. Bei einem Fusionskraftwerk ist schon allein aus physikalischen Gründen eine Katastrophe wie etwa in Tschernobyl ausgeschlossen. Denn jede Änderung der Betriebsbedingungen – sei es durch Fehlbedienung, Ausfall von Anlagenteilen oder einem Flugzeugabsturz auf den Reaktor – bringt den Brennvorgang wegen Instabilitäten im Plasma sofort zum Erlöschen. Allenfalls ein Unfall mit vergleichsweise leichter Verstrahlung der Umgebung könnte eintreten. Als Abfall fällt vorwiegend das Wandmaterial des Reaktors an. Es wird durch den Beschuss mit Neutronen, die bei der Fusion frei werden, radioaktiv. „Aber nach 200 bis 500 Jahren ist der Abfall aus Fusionskraftwerken nur noch so radioaktiv wie die Asche eines Kohlekraftwerks“, sagt Pressesprecherin Milch. Auch setzt die Fusion im Gegensatz zu Kohlekraftwerken keine Treibhausgase oder Luftschadstoffe frei.
Vor allem die Energie aus heutigen Atomkraftwerken wird der Fusion jedoch das Leben schwer machen, denn Atomstrom ist konkurrenzlos billig. Aber wenn der politische Wille besteht, sowohl die Kernspaltungsenergie als auch die Emission von Kohlendioxid zu reduzieren, hat die Fusion laut einer Studie der Niederländischen Energieforschungsgesellschaft (ECN) aus dem Jahr 1999 durchaus eine Chance, sich auf dem Markt zu behaupten.
Gegenwärtig konzentriert sich die Fusionsforschung auf zwei Anlagetypen. Das sind einerseits Fusionsexperimente vom Typ Tokamak, die mit ITER ihren vorläufigen Höhepunkt finden sollen. Das gegenwärtig weltweit größte Experiment dieser Art ist der Joint European Tokamak (JET) in Culham bei Oxford, ein 4000 t schwerer und insgesamt fast 12 m hoher Koloss. 1997 konnte JET bereits kurzfristig eine Fusionsleistung von 16 MW erzeugen.
Neben den Tokamaks gibt es die so genannten Stellaratoren wie den 480 Mio. DM teuren Wendelstein 7-X, das weltweit größte Stellarator-Experiment, das derzeit am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald aufgebaut und voraussichtlich 2006 in Betrieb gehen wird. Es hat die Hauptaufgabe, die Kraftwerkseignung dieses Anlagentyps zu demonstrieren. Im Oktober 2001 hat das Forschungszentrum Karlsruhe (FZK) die stärkste Mikrowellenheizung der Welt vorgestellt, mit der das Plasma im Wendelstein 7-X auf über 100 Mio. ºC aufgeheizt werden soll. Mit einer Ausgangsleistung von 1 MW ist diese Mikrowelle etwa tausend Mal so stark wie ein Mikrowellenherd.
Auf technologischer Seite liegen die Herausforderungen für beide Typen, Tokamak und Stellarator, heute insbesondere in der Materialforschung. Es gilt einen Werkstoff zu finden, der sich von den Fusionsneutronen möglichst wenig zu radioaktivem Material aktivieren lässt, enorm hitzebeständig ist und die nötige Festigkeit aufweist. „Diese Eigenschaften beeinflussen direkt den Wirkungsgrad des Fusionsreaktors und dessen Umweltfreundlichkeit“, sagt Günter Janeschitz, Leiter des Programms Kernfusion des FZK. Für manche ist das die Quadratur des Kreises, „dennoch haben wir in den letzten Jahren große Fortschritte dabei gemacht“, so Janeschitz. Ein vielversprechendes Ergebnis sei die Entwicklung von schwach aktivierbaren und dennoch hitzebeständigen Chrom-Stählen, die den Materialanforderungen für künftige Fusionsreaktoren am besten gerecht werden.
Ein weiterer Fortschritt gelang am FZK im August vergangenen Jahres mit dem erfolgreichen Test einer 60 t schweren, supraleitenden Modellspule für ITER-FEAT. Erstmals konnte ein Strom von 80 000 Ampere in einer supraleitenden Spule realisiert werden, mit dem das Magnetfeld zum Einschluss des heißen Plasmas erzeugt wird. „Damit hat die Vorbereitung für ITER einen vorläufigen Höhepunkt erreicht“, sagt Janeschitz.
Kanada hat bereits eine offizielle Bewerbung als Standort für ITER eingereicht, Frankreich und Japan wollen demnächst ihre Bewerbungen vorlegen. Und auf ITER, der etwa im Jahr 2014 mit Experimenten beginnen könnte, soll – wenn alles läuft wie geplant – um 2037 „DEMO“ folgen, eine noch größere Anlage von der Dimension eines kommerziellen Kraftwerks. Im Vergleich zu diesem Koloss wird selbst die Rumpelkammer des Riesen am IPP nur wie eine Puppenstube wirken. JOACHIM LAUKENMANN
Noch 60 Mrd. ! Fördermittel notwendig
Großes Geld für kleine Kerne
Bei aller wissenschaftlichen Begeisterung über die Fortschritte der Kernfusion: Die Fusionsforschung erfordert den „Einsatz von Fördermitteln in großem Maßstab über einen langen Zeitraum“. Darauf weist das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) jetzt hin. Die Ausgaben aller OECD-Länder für die Fusionsforschung lagen demnach zwischen 1974 und 1998 bei rund 30 Mrd. ! . Die jährlich in die zivile Kernfusionsforschung investierten Gelder betragen derzeit etwa 1,4 Mrd. !. Bis die erste Kilowattstunde Fusionsstrom ins Netz geht, müssen laut TAB noch einmal 60 bis 80 Mrd. ! – davon in der EU 20 bis 30 Mrd. ! – ausgegeben werden.
Die Kosten für ein 1000-MW-Fusionskraftwerk belaufen sich auf mindestens 5 Mrd. !. Als sicher gilt, dass bei einem solchen Kraftwerk die Investitionen die Betriebskosten dominieren. „Inwieweit sich Fusionskraftwerke in die zukünftige Energielandschaft einfügen werden, ist bei der derzeitigen Liberalisierung und Dezentralisierung der Energiewirtschaft schwer zu beurteilen“, so das TAB. Energieversorger werden jedenfalls nur dann in die Fusion investieren, wenn sie eindeutig preiswerter ist als andere Energien.
Trotz aller Bedenken hat die Fusion heute schon Gewinner. Vom Bau des Modellreaktors „Wendelstein 7-X“ in Greifswald profitieren einheimische Hightech-Firmen, an die Aufträge in Millionenhöhe gegangen sind. Die Rostocker Firma RST beispielsweise entwickelt gigantische Präzisionswerkzeuge wie so genannte Spulengreifer (Bild oben), mit denen die 5 t schweren Magnetspulen millimetergenau in den Reaktor eingefügt werden. cf
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