Intelligenz im Stromnetz soll Blackouts verhindern
VDI nachrichten, Düsseldorf, 8. 2. 08, mg – Stromnetze müssen zunehmend größer werdende und schwankende Energieflüsse verkraften. Sie sollen dabei ausfallsicher bleiben. Unterstützung bietet eine intelligente Netzsteuerung, an der Hersteller und Energieversorger arbeiten. Auch über eine flexible Laststeuerung, etwa durch dynamisches Ein- und Ausschalten von privaten und industriellen Verbrauchern, sowie den Einsatz von Energiespeichern im Netz wird nachgedacht.
Dreißig Minuten nach Ende des Fußballfinales in der Champions League 2020 geht das Licht aus: Die Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee sowie die Onshore-Windparks im Norden Deutschlands laufen wegen unerwarteten Starkwinds auf Hochtouren und drücken statt der erwarteten 20 GW nunmehr 40 GW ins Netz. Enorme Strommengen sind im europäischen Verbundnetz unterwegs. Auf diese unerwartete Stromlieferung waren die Netzbetreiber nicht eingestellt – die Hochspannungsleitungen sind überlastet. Daraufhin bricht das Stromnetz zuerst lokal und in der Folge im gesamten Verbundnetz zusammen.
Ein ähnliches Szenario gab es bereits am 4. November 2007 beim weitreichenden Netz-Blackout in Europa, der ebenfalls vom Norden Deutschlands ausging. Die Belastung des Stromnetzes könnte sich sogar noch ausweiten, wenn in Zukunft ein Großteil des europäischen Fahrzeugparks mit Hybrid- bzw. Elektroantrieb ausgerüstet ist und viele Fahrzeuge gleichzeitig zur Ladung am Stromnetz hängen.
Die Konsequenzen liegen auf der Hand. „Das deutsche und das europäische Verbundnetz müssen flexibler, also intelligenter werden, um die riesigen, schwankenden Stromflüsse vor allem von den unsteten, aber klimafreundlichen Quellen Wind und Sonne auszugleichen,“ sagt Dr. Michael Weinhold, Experte für Stromübertragungstechnik bei Siemens. „Der Stromtransit zwischen den deutschen und europäischen Netzregelzonen muss auch bei höherer Belastung ausfallsicher bleiben.“
Die Zeit drängt, denn der Ausbau regenerativer Energien mit Schwerpunkt Windenergie ist beschlossene Sache: Nach dem Willen der EU-Staats- und Regierungschefs vom März 2007 sollen die Erneuerbaren von rund 6 % im Jahr 2005 auf einen Anteil von 20 % an der europäischen Energieversorgung bis 2020 steigen. Die Liberalisierung des Stromhandels setzt das Leitungsnetz zusätzlich unter Druck, weil dadurch die Mengen des durchzuleitenden Stroms stark ansteigen.
An der Entwicklung und Einführung intelligenter Netzsteuerungstechnik arbeiten Hersteller und Energieversorger, unterstützt durch die europäische Technologieplattform „SmartGrids“. Im November 2007 berieten Experten von europäischen Forschungsinstituten, Energieversorgern und Herstellern im Kloster Banz auf der zweiten Smart-Grid-Vollversammlung über die Zukunft der Stromnetze. Flexible Laststeuerung, etwa durch dynamisches Ein- und Ausschalten von privaten und industriellen Verbrauchern, sowie der Einsatz von Energiespeichern im Netz ermöglichen erst die problemlose Integration erneuerbarer Energiequellen. Dies bringt das Netz auch bei fluktuierender Einspeisung in ein dynamisches Gleichgewicht und sorgt so für hohe Ausfallsicherheit.
Doch die Kontrolle der Energieeinspeisung und -steuerung alleine genügt nicht, damit die Netze den steigenden Anforderungen gewachsen sind. „Wir brauchen eine intelligente Netzinfrastruktur mit Kommunikations- und IT-Technik zur Fernsteuerung von Anlagen und von Verbrauchern“, sagt Dr. Wolfgang Woyke, Netzexperte bei E.on Energie. „Offshore-Windparks und der europaweite Stromhandel bringen zusätzliche Energiemengen ins Netz, die nur durch den Ausbau des Höchstspannungsnetzes langfristig gesehen unter anderem mit HGÜ-Technik störungsfrei übertragen werden können.“
Nach heutigen Planungen soll die installierte Leistung der deutschen Windenergieparks bis zum Jahr 2030 von heute 23 GW auf künftig rund 50 GW steigen, wobei Offshore-Windparks mit Schwerpunkt Nordsee am stärksten wachsen werden. Für den Stromtransport eignet sich die Technologie der Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ, engl. HVDC) von ABB oder Siemens. Weinhold, an der Neuentwicklung HVDC PLUS (High Voltage Direct Current Power Link Universal System) beteiligt, spricht deswegen auch lieber von „nachhaltigen integrierten Energiesystemen, die den verlustarmen und wirtschaftlichen Transport von Energiemengen bis 1000 MW und darüber hinaus, etwa von Windparks, über große Entfernungen ermöglichen.“
Mittelfristig stehen weitere Herausforderungen für das Stromnetz ins Haus: Wird künftig ein großer Teil des Fahrzeugparks auf Hybridtechnik oder reinen Elektroantrieb umgestellt, müssen Millionen Fahrzeuge an das Stromnetz angeschlossen werden, deren Batterien Strom entnehmen, aber gegebenenfalls auch einspeisen können – vorausgesetzt, die nötigen Steckdosen beziehungsweise Ladestationen werden flächendeckend installiert. Dies entspräche einem gigantischen virtuellen Energiespeicher, der überschüssige Energiemengen aus dem Netz zwischenspeichern und bei Bedarf wieder abgeben könnte – ferngesteuert, und je nach Geschäftsmodell auch unter aktiver Beteiligung des Verbrauchers zu dessen finanziellem Nutzen. Der Consumer wird dann zum „Prosumer“, einer Mischung aus Stromproduzent und -verbraucher.
Die Verbrauchssteuerung über finanzielle Anreize ist auch integraler Bestandteil des intelligenten Netzkonzepts mit Smart Meters, den kommunikationsfähigen Stromzählern. Hier wird ein Preissignal an den Verbraucher gesendet, so dass Endverbraucher – etwa eine Waschmaschine – automatisch bei einem bestimmten Preisniveau einschalten werden können. In Italien hat die Zukunft bereits begonnen: Alle Stromzähler wurden bereits für eine Fernsteuerung um- und das Netz dafür aufgerüstet. HASSO MÜLLER
Unstete Energiequellen lassen die Stromflüsse schwanken
Ein Beitrag von: