In Frankreich formiert sich der Widerstand gegen die Windenergie
Das Kernkraftland Frankreich gilt mittlerweile als Boomland der Windenergie und ist als solches auch auf der Hannover Messe vom 20. bis 24. April in der niedersächsischen Landeshauptstadt vertreten. Doch ein Teil der Franzosen sieht den Trend zum Wind grundlegend anders: Ob die erneuerbare Energiequelle problemlos genutzt werden kann, hängt doch erheblich auch von lokalpolitischen Gegebenheiten ab, wie ein Blick über die Grenze zeigt. VDI nachrichten, Bougainville, 17. 4. 09, swe
Im kleinen Dorf Bougainville im Nordosten Frankreichs bläst ein strammer Wind. „Die Regionen Picardie und Nord-Pas de Calais gehören zu den europäischen Gebieten mit den besten Winddaten“, sagt Philippe Gouverneur. Er leitet als Geschäftsführer die französische Tochter des deutschen Windkraftunternehmens Enertrag Aktiengesellschaft in Brandenburg. „Die durchschnittliche Windgeschwindigkeit übers Jahr beträgt hier mehr als 7 m/s.“
In Bougainville drehen sich deshalb sechs Windturbinen des deutschen Herstellers Enercon mit einer Nennleistung von jeweils 2 MW. Die Beschränkung auf 12 MW ist auf eine – inzwischen aufgegebene – gesetzliche Regelung zurückzuführen, die ursprünglich große Windparks verhindern sollte.
Das Blatt hat sich grundlegend gewendet. Laut World Wind Energy Report 2008 sind in Frankreich einschließlich der Überseegebiete 3400 MW Windleistung installiert – zum Vergleich: In Deutschland ist es sechsmal so viel. Damit nimmt Frankreich in der Welt zwar den siebten Rang ein, gemessen am Potenzial der Windenergie steht Frankreich bei deren tatsächlicher Nutzung aber erst am Anfang.
„Unser Umweltminister Borloo will jetzt die Priorität auf Großparks von 100 MW bis 200 MW setzen“, erläutert Gouverneur die neue politische Linie in Frankreich in Sachen Windenergie. „Ich frage mich nur: Wo soll das stehen?“
Platz ist nun wirklich genug da, denn Frankreich ist über weite Strecken ein dünn besiedeltes Land. Aber Gouverneur hat keine geografischen Betrachtungen im Sinn. „Sie müssen bei der Windenergie in Frankreich den politischen Aspekt betrachten“, erklärt er.
Die Sympathie der örtlichen Verwaltung und der Bevölkerung sei eine der Grundvoraussetzungen, um den umständlichen und aufwändigen Genehmigungsparcours für einen Windpark in Frankreich erfolgreich zu durchlaufen. In Bougainville sei das gelungen. Enertrag habe die Gemeinde sogar so weit hinter sich, dass an eine Erweiterung des bestehenden Parks gedacht sei. Das sei auch ein gutes Geschäft für die Gemeinde. „Normalerweise fallen pro Jahr und Windrad rund 10 000 € Steuern an“, sagt Gouverneur.
Das überzeugt allerdings längst nicht alle Franzosen. Gegen den weiteren Ausbau der Windenergie regt sich in Frankreich auf allen politischen Ebenen massiver Widerstand. Im Dachverband „Vent de Colére“ (Wind des Zorns) haben sich rund 250 Bürgerinitiativen zusammengeschlossen, die auch vor rauer Polemik nicht zurückschrecken. So argumentierten die „Zornigen“ vor Baubeginn in Bougainville mit dem Lärm, den die 1000 m entfernten Windräder verursachen würden: Er wäre vergleichbar mit dem eines tief fliegenden Militärjets.
Weniger Radau, dafür aber mehr Einfluss machen die Aktiven der „Fédération Environment Durable“ (FED) geltend. Sie haben prominente und einflussreiche Mitstreiter wie den ehemaligen Präsidenten Frankreichs, Giscard d“Estaing, in ihren Reihen.
Die FED argumentiert hauptsächlich mit dem Landschaftsschutz gegen die Windkraft, spielt aber auch die nationale Karte. Der Ausbau der Windenergie in Frankreich komme hauptsächlich der deutschen und dänischen Windindustrie zugute, hieß es jüngst bei d“Estaing.
Sachlich betrachtet ist da etwas dran. Die deutschen Unternehmen Repower, Enercon und Nordex sowie die dänische Vestas dominieren mit knapp 80 % tatsächlich den französischen Markt. Eine einheimische Windindustrie gibt es in Frankreich nur in Ansätzen.
Der einzige französische Hersteller, Vergnet, kann lediglich auf 1 % Marktanteil verweisen. Andererseits beschäftigt die französische Windindustrie auch ohne große Hersteller schon jetzt 7000 Mitarbeiter und setzt jährlich 2 Mrd. € um.
Die Agitation der FED zeigt aber durchaus Wirkung, vor allen Dingen bei den Verwaltungschefs der Departments, den Präfekten. „Es gab im Department Somme insgesamt elf Windenergieprojekte, mit denen wir fest gerechnet hatten“, erinnert sich Enertrag-Manager Gouverneur. „Neun Projekte wurden vom Präfekten storniert.“
Mit Rückendeckung aus Paris, denn die Zentralregierung verhält sich nicht immer eindeutig. Die Förderbedingungen für die Windenergie sind zwar gut – es gibt eine Einspeisevergütung für Windstrom in Höhe von 8,2 Cent/kWh und Steuergutschriften für die Investition. Gleichzeitig bastelt die Regierung jedoch an einer neuen Klassifizierung der Windräder als Hochrisikobauwerke. Das würde den ohnehin schon langen und komplizierten Genehmigungsweg weiter verlängern – für potenzielle Investoren ein kleiner Alptraum.
Laure Kaelble von der Koordinierungsstelle Windenergie, die den Windenergieausbau in Frankreich fördert, ist dennoch optimistisch. In Frankreich verändere sich wie in anderen EU-Ländern das Bewusstsein. „Umfragen zeigen: Fast 80 % der Franzosen sind für die Windenergie.“ Daran komme auf Dauer niemand vorbei. JÖRN IKEN
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