Hoher Ölpreis belebt Kohlehydrierung
Alle Versuchsergebnisse der Kohleverflüssigung liegen vor und sie sind positiv. Doch es stellt sich die Frage, ob diese Technologie erst den weiten Weg nach Übersee und zurück nehmen muss, bis sie auch hier zu Lande rentabel betrieben werden kann. Unter dem Druck absehbar versiegender Ölquellen und immer teurer werdender Importe handelt China schon heute.
Das Thema Kohleverflüssigung ist wieder aktuell, wenn auch längst noch nicht auf der Agenda. Woran es hakt, erklärt Dr.-Ing. Manfred Kaiser: „Man hat aus dem Kleinen nie das ganz Große gemacht.“ Den Technikums-Maßstab hinter sich zu lassen und das Scale-up-Risiko auf sich zu nehmen, habe man sich hierzulande stets gescheut, ergänzt der Leiter Kokereitechnik bei der Deutschen Montan-Technologie GmbH (DMT) in Essen. Und dabei trumpft die an heimischen Reißbrettern entwickelte Kohleverflüssigung als die weltweit führende Technologie auf. Wird die Chance endlich auch an Rhein und Ruhr genutzt oder wieder einmal verpasst?
Bei deutlich steigenden Rohölpreisen und zusehends versiegenden Quellen hätte schon längst gehandelt werden müssen. Experten sind sich einig, dass eine Verflüssigung von Kohle zu Motorkraftstoffen bei einem Preis von etwa 60 $ pro Barrel wirtschaftlich ist. Genau in dieser Größenordnung dümpelt er derzeit. Unter anderen Vorzeichen hatten Kohlehydrierung, Kohleextraktion und Benzinsynthese schon einmal Konjunktur. Die Autarkie fest im Blick, arbeitete in den Kriegsjahren eine Kohleextraktionsanlage mit einer Kapazität von 30 000 t/Jahr. Ein Dutzend Kohlehydrierungsanlagen wurden damals im Reichsgebiet betrieben mit einer Spitze von 4 Mio.t flüssiger Treibstoffe in den Jahren 1943/44. Neun deutsche Fischer-Tropsch-Anlagen synthetisierten jährlich 600 000 t Kohle zu Benzin und Diesel.
Die in Deutschland entwickelten drei Grundprozesse sind mittlerweile in alle Welt ausgeschwärmt. Großtechnisch eingestiegen ist man in Südafrika in die Fischer-Tropsch-Synthese, im kommerziellen Maßstab produziert man in USA, und jetzt tritt die Volksrepublik China bei der Kohleverflüssigung auf den Plan. In den drei Ländern gibt es reichlich Kohle zu relativ günstigen Preisen. Sie liegen in den USA bei etwa 50 Cent je 1 Mio. British thermal unit (Btu), verglichen mit 4 $ bis 5 $ je 1 Mio. Btu bei Erdgas. Eine Btu entspricht 1,055 kJ. Dieses Preisverhältnis zusammen mit Fortschritten in der Fischer-Tropsch-Technologie und dem zunehmenden Bedarf an umweltfreundlichen Energieträgern für die Stromerzeugung sind in Amerika die Antriebsfeder für die Kohleverflüssigung.
Weil auch im Reich der Mitte der steigende Ölbedarf nicht mehr aus heimischen Quellen gedeckt werden kann, werden dort gleich Nägel mit Köpfen gemacht. Um das Know-how ins Land zu holen und Praxiserfahrungen zu sammeln, wurde im Vorjahr (VDI nachrichten 2004, Nr. 32) die im Technikummaßstab ausgelegte Kohleöl-Anlage der DMT im Auftrag der Shenhua-Gruppe demontiert und nach Shanghai verschifft. Bereits vorher lieferte die DMT gemeinsam mit Unternehmen der RAG AG eine Feasibility-Studie für großtechnische Kohleverflüssigungsanlagen. Das Stichwort lautet IGOR+-Technologie.
Bei dieser integrierten Gesamtöl-Raffination ist die Kohlehydrierung entscheidend verbessert. Für die Provinz Yunnan wurde eine Anlage für einen Durchsatz von 2 x 2500 t Hydrierkohle pro Tag ausgelegt. Das entspricht einem Scale-up-Faktor von 12,5 gegenüber der mit 200 t/Tag betriebenen ehemaligen Kohleöl-Anlage Bottrop. Neben dem Hydrierrückstand wird zusätzlich Kohle zur Wasserstofferzeugung vergast. Durch Destillation wird das Produktöl in eine Dieselfraktion sowie ein Benzinvorprodukt getrennt, das durch Reformierung zu Superbenzin weiterverarbeitet wird. Eine weitere Besonderheit: Die Anlage kann ohne petrochemische Infrastruktur arbeiten. Und in Deutschland? Fehlanzeige, erfährt man bei der Essener DMT. Es gab Ansätze für Großprojekte am Orsoyer Rheinbogen, auch in Bottrop und in Scholven wollte man große Kohleverflüssigungsanlagen bauen. Bis zur Planungsreife ist man auch gekommen. Als dann Erdöl wieder billiger wurde, hat man die Vorhaben eingestellt. „In Deutschland müsste man schon sehr viel Phantasie mitbringen, um an eine Realisierung zu glauben“, urteilt Manfred Kaiser. Wer nehme schon mehr als 1,5 Mrd. ? Investitionssumme in die Hand und wo fände sich eine 1 Wirtschaftsministerium stützt noch die Forschung und betreibt Überzeugungsarbeit.
Gefahr für diese Technologie droht auch aus einer ganz anderen Richtung. Den Anlagenbauern schwindet mit den Mitarbeitern das nötige Know-how, einen Hydrier-Reaktor und den Gesamtprozess richtig auszulegen.
Heute gibt es gerade noch zwei bis drei Hände voll Experten auf diesem Gebiet, die in die Planung einsteigen könnten. Wenn Investoren hier zu Lande tatsächlich großtechnische Kohleverflüssigung aus dem Boden stampfen wollten, kämen sie um eine Feststellung nicht herum. Kaiser: „Man braucht bis zur betriebsfertigen Anlage eine Vorlaufzeit von sechs Jahren.“ Vermutlich wird man sich später Know-how aus dem Ausland holen müssen.
KLAUS NIEHÖRSTER
China lernt von deutschem Know-how
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