Gezerre um Graufleckigkeit
VDI nachrichten, Hannover, 30. 11. 07, mg – Über die Bedeutung von Graufleckigkeit bei Getrieben von Windkraftanlagen gehen die Meinungen weit auseinander. Ein Arbeitskreis des Bundesverbands Windenergie (BWE) versucht, gemeinsam mit allen Akteuren die Zusammenhänge zu beschreiben und Lösungen zu finden.
Das Thema ist heikel. Denn die wirtschaftliche Bedeutung kann groß sein – nicht nur für Betreiber und Hersteller von Windkraftanlagen (WKA), sondern auch für Banken oder Versicherungen. Daher versucht der Arbeitskreis „Graufleckigkeit“, der kürzlich zum sechsten Mal in Hannover tagte, möglichst viele Fachleute aus den unterschiedlichsten Berufszweigen an einem Tisch zu versammeln.
Technisch lassen sich die grauen Flecken, die durch feinste Risse im Material von Getriebezahnrädern entstehen, mit verschiedenen Theorien beschreiben. Doch die Frage der Haltbarkeit der betroffenen Getriebe ist ebenso wenig eindeutig zu klären wie die juristischen und versicherungstechnischen. Daher lud der BWE-Arbeitskreis in seiner Novembersitzung Erwin Bauer vom Allianz Zentrum für Technik (AZT) zum Gespräch. Der Diplom-Ingenieur untersucht seit vielen Jahren die Verzahnungsschäden an den Getrieben.
Anhand von Fotos und Mikroskopuntersuchungen zeigte Bauer, dass es sich bei der Graufleckigkeit um eine Vielzahl von Flankenanrissen handelt. Die Risstiefe ist jedoch gering und auf den oberflächennahen Bereich beschränkt. Nach seinen Erkenntnissen treten die Risse jedoch nur bei randschichtgehärteten Werkstoffen auf. Werden die Materialien lediglich vergütet, ist nicht mit Graufleckigkeit zu rechnen.
Dass es sich bei den Rissen materialtechnisch um Schäden handelt, steht für Bauer außer Frage. Wie diese jedoch in der Praxis einzuschätzen sind, sei unklar. So könnte Graufleckigkeit in einem frühen Betriebsstadium als Einlaufeffekt gedeutet werden. Entscheidend ist, wie sich der Schadenverlauf entwickelt – es kann bei einer optisch auffälligen Veränderung bleiben, die keinen Verzahnungsschaden nach sich zieht. Wenn jedoch dreieckförmige Flankenausbrüche auftreten, ist es eindeutig. „Das Ende der Lebensdauer des Getriebes ist dann erreicht“, sagt Bauer. „Es gibt Getriebe mit Graufleckigkeit, die noch 15 Jahre gelaufen sind. Und es gibt andere, bei denen die Anrisse sehr schnell fortschreiten“, berichtet er aus der Praxis des AZT.
Deutlich in der anschließenden Diskussion wurde, dass der Schadensbegriff unterschiedliche Deutungen zulässt. Während der Materialexperte die Risse eindeutig als Schäden definiert, hielt er sich in Hannover mit einer rechtlichen Bewertung zurück. Vielmehr stellt Bauer ausdrücklich fest, dass er damit keine haftungsrechtliche Aussage trifft oder die Graufleckigkeit grundsätzlich als Mangel im juristischen Sinne ansieht.
An die Hersteller appellierte der Experte vom AZT bereits bei der Konstruktion darauf zu achten, nicht in den von Graufleckigkeit gefährdeten Bereich zu kommen. Allerdings sei die Berechnung durch das Lastverhalten der Anlagen äußerst komplex. Die für stationäre Lastfälle anerkannten Rechenverfahren müssten aufwendig für eine Vielzahl von Lastfällen durchgeführt werden. „Bauen Sie so elastisch wie möglich“, riet Bauer. Denn die dynamischen Belastungen in Windkraftanlagen würden die Graufleckigkeit besonders begünstigen.
Da der Begriff „Schaden“ je nach Interessenlage von den Akteuren eine andere Bedeutung erhält, einigten sich die Teilnehmer des Arbeitskreises darauf, von dem „Phänomen Graufleckigkeit“ zu sprechen. Dies solle dazu beitragen, voreilige Schlüsse oder Schuldzuweisungen zu vermeiden.
„Wir wollen das Wesen der Graufleckigkeit beschreiben“, sagt Arbeitskreissprecher Hubert Gregorius. Ziel sei es, eine technische Beschreibung zu erarbeiten. Die Klassifizierung von Graufleckigkeit sei hierbei ein wichtiger Schritt. Auch wollen die Teilnehmer bereits vorhandene Erkenntnisse kanalisieren. Außerdem soll ein Vergleich mit anderen Branchen erfolgen. „Wir möchten die Kenntnisse zur Grau- fleckigkeit über die gesamte Wertschöpfungskette verdichten – daher hoffen wir, dass sich noch mehr Fachleute dem Arbeitskreis anschließen“, sagt Gregorius. Hierbei scheint er besonders an Experten auf Herstellerseite zu denken. JENS VOSHAGE
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