Gaspreise treiben neue Fördertechnologien voran
VDI nachrichten, Stavanger, 8. 9. 06, mg – Der Weltmarkt für Erdgas hat im vergangenen Jahr enorme Turbulenzen und Preissteigerungen erlebt. Länder wie England oder die Ukraine spürten dies besonders hart. Die Energiewirtschaft verspricht nun mit riesigen Investitionen und neuen Technologien die Förderung auch in Europa deutlich auszuweiten. Einen Überblick dazu bot die weltgrößte Ölmesse, die Offshore Northsee (ONS), im norwegischen Stavanger Ende August.
Die Förderung von Erdgas in Europa hat ihren Höhepunkt trotz des inzwischen weit fortgeschrittenen Versiegens der Förderfelder in den Niederlanden, in Großbritannien und Deutschland noch längst nicht erreicht, verschiebt sich jedoch zunehmend in die von extremen klimatischen Bedingungen geprägten Regionen Sibiriens und der zu Norwegen gehörenden Barentssee. Hier werden heute schon mehr als drei Viertel des in Europa benötigten Gases gefördert, Tendenz stark steigend.
Kälteunempfindliche Stähle, flexible, dem Wasserdruck in mehr als 1000 m Tiefe standhaltende Pipelines, unterseeische vollautomatische Bohr- und Förderstationen sind für den erfolgreichen Betrieb der inzwischen erkundeten Lagerstätten in der norwegischen Barentssee oder im sibirischen Jarmal notwendig – und auch längst entwickelt. Sie sollen nach Angaben des norwegischen Ölministeriums dafür sorgen, dass die Gasfördermenge mindestens bis 2012 noch weiter anwachsen kann. Dann dürften in dem nordeuropäischen Land rund 50 % seiner Förderleistung auf Öl und die andere Menge auf Gas entfallen.
Bereits 2007 sollen zwei neue große Förderfelder in großer Meerestiefe in Betrieb genommen werden. Während das „Schneewittchenfeld“ (Snohvit) der Statoil ab Herbst 2007 verflüssigtes Gas vor allem in die USA liefern soll, presst die Norsk Hydro bereits einige Monate früher aus einer bis zu 1100 m tiefen Meeresregion im hohen Norden Gas in eine neue Pipeline nach Großbritannien. Allein dieses neue Feld soll rund 20 % des Verbrauchs der Briten decken, die im letzten Winter die Versorgung nur durch teure Zukäufe am Spotmarkt sichern konnten.
„Mit unserer Investition von rund 8 Mrd. € erschließen wir nicht nur das Feld Ormen Lange, wir stoßen auch in eine neue Dimension mit einer neuen Technologie vor“, sagt Norsk-Hydro-Pressesprecher Erik Gonder. Das neue Feld soll mindestens 30 Jahre in Betrieb sein und an der Wasseroberfläche nicht mehr durch die riesigen, aber auch sehr personalintensiven Plattformen für die Förderung auffallen. Die gesamte Fördertechnik mit zunächst zehn automatischen Untersee-Plattformen und Kompressorstationen sowie ein aus Beton gefertigtes Pipelinesystem werden fest auf dem Meeresgrund installiert, ebenfalls mit ferngesteuerten Baumaschinen. Die Lagerstättentiefe reicht bis 2500 m unter dem Meeresspiegel, wobei von jeder der Untersee-Plattformen bis zu acht Bohrlöcher abgeteuft werden können.
Statoil will zugleich mit der Aufnahme der Förderung erstmals in großem Umfang im hohen Norden Gas verflüssigen und errichtet in Hammerfest eine entsprechende Fabrik. Das bei der Erzeugung der Kälte anfallende Kohlendioxid wird über eine weitere Pipeline wieder zurück in die Lagerstätte geführt. Man wolle damit den hohen Auflagen an den Umweltschutz in Norwegen gerecht werden, sagte dazu Marketingchef Sverne Kojendal. Der hohe Aufwand sei bereits zu den Preisen von 2003 als lukrativ eingeschätzt worden, jetzt lohne das Projekt natürlich noch viel mehr. Auch sei später eine Belieferung von Deutschland mit Flüssiggas durchaus denkbar, sofern entweder in Rotterdam oder Wilhelmshaven ein Terminal gebaut werde. Nach seiner Einschätzung sei der Transport des auf -163 °C gekühlten und durch die Verflüssigung hoch komprimierten Gases konkurrenzfähig gegenüber einer Pipeline vom Nordkap. „Rund 8 % der Gasenergie werden wir für Kühlung und Transport aufwenden müssen, da können Pipelines auf so langen Strecken nicht mithalten.“
Doch auch die älteren Felder in der Nordsee und in Mittelnorwegen könnten durch die hohen Preise für Öl und Gas einen zusätzlichen Schub bekommen. Bisher wurden im Kontinentalschelf kleinere Lagerstätten nicht ausgebeutet, deren Erschließung von den großen Konzernen als wenig attraktiv angesehen wurde. Das hat sich inzwischen geändert, selbst Unternehmen aus der zweiten Reihe wie Gaz de France, E.on Ruhrgas in Essen und neuerdings auch Verbundnetz Gas (VNG) in Leipzig streben nach eigenen Schürfrechten.
„Wir beteiligen uns an Konsortien, die sich vor allem in den gut erschlossenen Lagerstätten um die Nischen kümmert“, so VNG-Chef Klaus-Ewald Holst bei der Gründung seiner norwegischen Tochtergesellschaft. Damit könne die bereits vorhandene Infrastruktur dieser Felder weiter genutzt werden und auch die Restlaufzeit der großen Lagerstätten werde effizienter genutzt. Ruhrgas, bereits mit bis zu 30 % an solchen Gesellschaften beteiligt, werde jetzt sogar anstreben, als Operator tätig zu werden, kündigte Sprecher Helmut Roloff an. Damit könnte in ein oder zwei Jahren das Firmenlogo der Essener auf einer Plattform prangen. Für die deutschen Unternehmen stehe dabei die erhöhte Versorgungssicherheit im Vordergrund, profitabel sei das Engagement zumindest kurzfristig eher nicht, so Holst. MANFRED SCHULZE
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