Erdgas aus dem Salz
VDI nachrichten, Berlin, 23. 11. 07, rb – Östlich von Berlin werden riesige Hohlräume im Steinsalz ausgespült, um Erdgas hineinzupumpen – und wieder heraus. In Rüdersdorf entsteht so bis 2009 eine riesige Speicherstätte für den Energieträger.
Mehr als ein graues Rohr ist nicht zu sehen. Einen guten halben Meter ist es dick und verschwindet in einer Betonplatte. „Durch dieses Rohr wird Erdgas in den unterirdischen Speicher gepumpt“, sagt Jörg Schattling, Betriebsleiter des Gasspeichers in Rüdersdorf bei Berlin. Weit unter seinen Füßen, in rund 1000 m Tiefe, wird derzeit die erste Kaverne im Steinsalz mit Erdgas befüllt.
Insgesamt vier dieser unterirdischen Speicher will der Gasversorger EWE hier errichten. Sie sollen sicherstellen, dass bei den Kunden in Ostbrandenburg immer genügend Erdgas ankommt. Vor allem in kalten Wintermonaten, wenn mehr Gas verbraucht wird, als in den Lieferverträgen mit den Vorlieferanten festgelegt ist. In diesen Zeiten können die Gasversorger zwar nachordern, doch dann ist der Energieträger deutlich teurer. Und es kann höchstens so viel geliefert werden, wie dann in den Gasfeldern – beispielsweise in Russland – gefördert wird.
Diese Abhängigkeit ist ein weiterer Grund, warum einige Gasversorger solche unterirdischen Zwischenlager anlegen. Wenn aus politischem Kalkül die Pipelines geschlossen werden, wie es etwa Russland vor zwei Jahren tat, ist die Versorgung der Kunden vorerst gesichert.
Die zweite Kaverne in Rüdersdorf ist bereits im Bau. Um den Hohlraum in 1000 m Tiefe zu schaffen, wird dort Steinsalz mit Hilfe von Wasser gelöst. „Von oben aus gesehen entsteht die Kaverne in der Nähe des Gehöftes dort drüben“, sagt Schattling und deutet mit einem Kopfnicken auf ein paar Gebäude in knapp 300 m Entfernung.
Der Zugang zu diesem Speicher befindet sich jedoch nur wenige Schritte neben dem unscheinbaren Kopf der ersten Kaverne: Durch abgelenkte Bohrungen kann der Untergrund weiträumig erschlossen werden, ohne an der Oberfläche viel Platz zu beanspruchen. Der Bohrturm ist bereits abgebaut. Stattdessen steht dort nun ein Häuschen aus Wellblech, zu dem mehrere Rohrleitungen führen. „Das haben wir gebaut, damit im Winter das Wasser zum Solen nicht einfriert und um bei den Arbeiten Schutz vor dem Wetter zu haben“, sagt Schattling und vergräbt die Hände in den Taschen seiner Fleecejacke.
Tatsächlich, hinter dem Blech ist von dem kalten Herbstwind nichts mehr zu spüren. Hier drinnen löst sich auch das Gewirr der unterschiedlichen Rohre: Sie sammeln sich in einem gut 50 cm dicken Strang, der in die Erde abtaucht.
„Über ein einziges Bohrloch müssen drei unterschiedliche Medien transportiert werden. Wasser zum Lösen des Salzes muss hinein, die Salzsole heraus und dann kommt noch Stickstoff hinzu, der eine Sperrschicht zwischen der Salzsole und der Decke der Kaverne schafft, damit diese nicht weiter aufgelöst wird“, erläutert Schattling.
Durch ein ausgeklügeltes System ineinandersteckender Rohre gelingt es den Ingenieuren, den Strom der Flüssigkeiten und des Gases einzeln zu steuern. Denn erst dadurch können sie die Gestalt der Kaverne beeinflussen.
„Je nachdem, in welcher Richtung das Wasser im Untergrund fließt und wie schnell es strömt, wird das Steinsalz an bestimmten Stellen gelöst und an anderen nicht“, erklärt der Tiefbohringenieur. Am Ende soll die Kaverne wie ein riesiger Zylinder aussehen, etwa 150 m hoch und knapp 100 m breit.
Um herauszufinden, ob der Plan aufgeht, wird regelmäßig eine Ultraschallsonde in den Untergrund herabgelassen. Sie ist schwenkbar und misst durch die Salzlösung hindurch den Abstand zur Kavernenwand. Das Ergebnis hat mit den schematischen Zeichnungen aus den Planungsunterlagen allerdings nur selten etwas gemein.
Schattling zeigt das Bild der bereits fertiggestellten Kaverne nach der letzten Ultraschallmessung: ein unförmiges Ei mit teilweise wild gezackten Rändern. Die Ursache dafür ist Anhydrit, ein Sulfatmineral, das häufig in Zusammenhang mit Steinsalz vorkommt. Anhydrit wird vom Wasser aber nicht gelöst. Deshalb ragen Sulfatlinsen an den Rändern der Kaverne wie Nasen in den Hohlraum hinein.
Die zweite Kaverne, die gerade ausgesolt wird, wird kaum anders aussehen. Ein Volumen von 500 000 m3 soll sie haben. Um so viel Salz zu lösen, benötigt man rund sechsmal so viel Wasser, also 3 Mio. m3. „Das Wasser wird aus dem Mühlenfließ heraufgepumpt und hier in den Speicher gedrückt“, sagt Schattling und tippt auf ein dickes, graues Rohr. Bis zu 150 m3 pro Stunde fließen darin hindurch – je nachdem wie weit die Techniker im zentralen Überwachungsraum die Ventile öffnen. Direkt daneben ist ein weiteres Rohr, das die Sole nach oben befördert.
An einem Stutzen, aus dem täglich Proben der Salzlösung entnommen werden, haben sich rostbraune Schlieren gebildet. „Die Sole ist ziemlich korrosiv“, sagt Schattling. Und sie ist so konzentriert, dass sie teilweise mit Frischwasser verdünnt werden muss, damit die Leitungen nicht von Salzkristallen zugesetzt werden.
Doch wohin mit all dem Salz? In der Nähe des künftigen Gasspeichers gibt es keine Abnehmer – beispielsweise Chemieindustrie oder Heilbäder. Deshalb muss die Sole entsorgt werden. „35 km von hier entfernt sind wir fündig geworden“, berichtet Schattling. Dort, in der Nähe von Eberswalde, gibt es in 1000 m Tiefe eine weitreichende Sandsteinschicht, die ausreichend Platz für die Lösung bietet. Über eine Pipeline wird die Sole dorthin gepumpt und in den Untergrund gebracht.
Seit 2003 spülen Schattling und seine Kollegen Hohlräume in das Salzkissen unter Rüdersdorf – es ist schon fast Routine. In den nächsten Wochen wird es aber noch einmal spannend: Dann ist die erste Kaverne vollständig mit Erdgas gefüllt und es soll zum ersten Mal „ausgespeichert“ werden, wie die Fachleute sagen. Wird das Zusammenspiel der Kompressoren, Druckrichter und Gastrockner funktionieren?
Die Geräte sind in mehreren Gebäuden untergebracht, die wenige Meter neben den Kavernenköpfen stehen. Sie steuern den Gasfluss zwischen den Leitungen des Ferngasnetzes, die einen Druck von bis zu 70 bar haben, und den Kavernen, wo ein Druck von bis zu 180 bar herrschen wird.
Die Anlage ist weitgehend automatisiert, nur eine Handvoll Techniker ist auf dem Gelände unterwegs, um die letzten Vorbereitungen für die erste Gasentnahme aus dem Untergrund zu treffen. Die beiden riesigen Heizkessel mit einer Leistung von 2 MW haben ihren Testlauf bereits bestanden. Sie sollen das Gas aus der Tiefe – immerhin bis zu 2000 m3 je Minute – auf gut 100 °C erwärmen. Denn durch die anschließende Druckabnahme wird es sich schlagartig abkühlen. Doch gerade im Winter wäre es verhängnisvoll, wenn die Leitung einfriert.
Betriebsleiter Schattling ist zuversichtlich, dass seine Anlage den Praxistest bestehen wird: „Ein paar Probleme könnten auftauchen, aber die kriegen wir in den Griff.“ Eine Gefahr gehe von dem Gasspeicher aber keineswegs aus, stellt er klar.
Zu oft wurde Schattling schon gefragt, ob es nicht passieren könne, dass das ganze Areal in die Luft fliege. Dann berichtet er immer wieder von den strengen Sicherheitsvorschriften und zahlreichen anderen Gasspeichern, die seit Jahren in Betrieb sind. Außerdem gebe es in 60 m Tiefe ein Sicherheitsventil: „Wenn irgendetwas passieren sollte, geht das binnen Sekundenbruchteilen zu.“ RALF NESTLER
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