Ein Dorf macht sich energieautark
VDI nachrichten, Jühnde 16. 5. 08, swe – Jühnde im südlichen Niedersachsen versorgt sich selbst mit Strom und Wärme aus nachwachsenden Rohstoffen. Am Ortsrand stehen Biogasanlage und Biomasseheizwerk, ein Nahwärmenetz verteilt die Energie an die Haushalte. Initiator war das Interdisziplinäre Zentrum für Nachhaltige Entwicklung (IZNE) der Universität Göttingen. Engagierte Dorfbewohner stemmen das Projekt gemeinsam. Weitere Dörfer wollen folgen.
Zwei große Gaskuppeln markieren die Bioenergieanlage von Jühnde – der ganze Stolz des 780-Seelen-Dorfes im niedersächsischen Landkreis Göttingen. Das Interesse an alternativen Energiekonzepten lockt jährlich bis zu 7000 Besucher aus aller Welt ins erste deutsche Bioenergiedorf.
Die Besucher wollen wissen, wie die Dorfgemeinschaft die autarke Energieversorgung mit Strom und Wärme aus heimischer Biomasse auf die Beine gestellt hat. „Wir erzeugen ungefähr zweimal so viel Strom, wie Jühnde selbst verbraucht“, berichtet Prof. Hans Ruppert, Leiter des Projekts Bioenergiedorf, das das Interdisziplinäre Zentrum für Nachhaltige Entwicklung (IZNE) der Universität Göttingen initiierte und wissenschaftlich begleitete.
Sich von Energiekonzernen unabhängig machen, steigenden Energiepreisen trotzen und aktiv zum Klimaschutz beitragen: Diese Argumente des IZNE überzeugten die Dorfbewohner. Ihr soziales Engagement war letztlich neben der technischen Machbarkeit entscheidend, Jühnde als Modellprojekt auszuwählen.
„Wir haben es gemeinsam gemacht und eine Genossenschaft gegründet“, freut sich Eckhard Fangmeier vom Vorstand der Betreibergesellschaft Bioenergiedorf Jühnde eG. „Der Kunde ist gleichzeitig der Erzeuger – ein einzigartiges Modell.“
Seit über zwei Jahren ist die am Ortsrand von Jühnde errichtete Bioenergieanlage in Betrieb. Fünf der sieben örtlichen Landwirte liefern Gülle, Acker- und Grünlandpflanzen, die im Fermenter der Biogasanlage zu Biogas vergoren werden. Damit kann das Blockheizkraftwerk bis zu 5 Mio. kWh Strom im Jahr produzieren. Der wird ins öffentliche Stromnetz eingespeist und gemäß dem Erneuerbare-Energien-Gesetz vergütet.
Für die Dorfbewohner ändert sich dadurch – außer dem Wissen, selbst grünen Strom zu produzieren – nichts: Sie beziehen den Strom weiter von ihrem bisherigen Stromversorger.
Ein kleiner Teil der bei der Stromerzeugung anfallenden Abwärme hält die Biogasanlage auf leicht fiebriger Temperatur. Der größte Teil dient der Wärmeversorgung des Dorfes. Sie deckt ca. 60 % des Bedarfs.
Im Winter reicht die Abwärme der Biogasanlage jedoch nicht aus. Deshalb baute man eine weitere Bioenergieanlage: ein Heizwerk für Holzhackschnitzel aus der Forstwirtschaft. Sollten alle Stricke reißen, kommt bei extremer Kälte ein Heizölbrenner zum Einsatz.
Um die Häuser mit Heizwärme und Warmwasser zu versorgen, musste ein unterirdisches, 5,5 km langes Nahwärmenetz verlegt werden. Der Bau lohnte sich, weil drei Viertel aller Haushalte in Jühnde einen Anschluss wünschten.
Dadurch wurde die private Heizung überflüssig. Stattdessen genießt man den Komfort einer modernen, bequemen „Dorfzentralheizung“. Also kein Bestellen von Heizöl oder Flüssiggas, kein Holz machen, kaum Wartungs- und Reparaturarbeiten. Und das auch noch billiger: Denn die aktuellen Wärmepreise wurden vorerst auf dem Heizölpreisniveau von 2002 festgelegt. Durch die Energiepreissteigerungen lassen sich inzwischen bis zu 750 € im Jahr einsparen.
Allerdings mussten die Kunden erst einmal die etwa 5,4 Mio. € Investitionen für Bioenergieanlage, Nahwärmenetz und Hausübergabestationen zumindest teilweise refinanzieren. 1000 € Anschlussgebühr für die Betreibergesellschaft, 2000 € bis 2500 € für hausinterne Umstellungsarbeiten. Außerdem muss jeder Kunde Mitglied der Jühnder Betreibergesellschaft sein, Mindesteinlage 1500 €.
Auch für die Landwirtschaft gab es Veränderungen durch die Umstellung auf erneuerbare Energie, für die Biomasse als Energieträger gewählt wurde. Denn Biomasse ist auf dem Land reichlich vorhanden, lässt sich als Silage problemlos lagern und ermöglicht somit eine wetterunabhängige Strom- und Wärmeversorgung.
Nun bebauen die Jühnder Landwirte ca. 300 ha Ackerfläche mit Energiepflanzen – ca. 30 % der Gemarkung. Konkurrenz zu Nahrungs- und Futterpflanzen bestünde nicht. Dafür blieben noch genug Flächen übrig, versichert Fangmeier.
„Monokulturen brauchen wir nicht“, betont Projektleiter Ruppert. Im Gegenteil: Ein Mix verschiedener Energiepflanzen mit Gülle gibt die beste Biogasausbeute. Wintergetreidearten, Raps, Mais, Sonnenblumen, Gras: Der Anbau ist seitdem vielfältiger geworden. Teure Spritzmittel sind weitgehend überflüssig, denn auch Wildpflanzen dürfen dabei sein.
Die Erfahrungen von Jühnde fassten die Wissenschaftler des IZNE jetzt in einem Leitfaden „Wege zum Bioenergiedorf“ zusammen – ein Ratgeber für Dörfer, die auf eine nachhaltige Energieversorgung umstellen wollen.
Interessierte gibt es einige, allein acht Dörfer im Landkreis Göttingen wollen Bioenergiedorf werden. Fangmeier ist zuversichtlich: „Wenn wir im Kuhdorf Jühnde das geschafft haben, müssen es andere auch schaffen.“ Zum Beispiel: Rai-Breitenbach im Odenwald, Gutenzell bei Ulm, Mauenheim am Bodensee und Lohne bei Fritzlar. CARLA REGGE
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