Die Kraft aus dem strömenden Meer
Der Testbetrieb eines Kraftwerkes zur Ausnutzung der Meeresströmung liefert mehr Energie als erwartet.
Das Meeresströmungskraftwerk vor der Küste Nord Devons sieht ein bisschen aus wie eine Windkraftanlage beim Schnorcheln. Über der Wasseroberfläche ist nur eine Plattform und ein Teil des rot-schwarz gestreiften Stahlturms zu sehen. Der gewaltige Zwei-Blatt-Rotor mit einem Durchmesser von 11 m dreht sich unter Wasser in dem Zu- und Abstrom von Ebbe und Flut. Der Testbetrieb in nur 2 km Entfernung vor der britischen Küste läuft seit dem Sommer letzten Jahres und die ersten Ergebnisse zeigen: Manchmal haben großtechnischen Pilotanlagen auch positive Überraschungen parat. Das Projekt „Seaflow“ liefert 25 % mehr Energie, als die Computermodelle vorausgesagt haben.
„Die höhere Leistung liegt daran, dass der Rotor nicht wirklich frei umströmt ist, wie für die Modelle angenommen“, erklärt Jochen Bard vom Institut für Solare Energietechnik ISET. Die Kasseler haben Rotor, Elektrik und Steuerung der Anlage in dem britisch-deutschen Projekt optimiert. Der Rotor dreht sich 2,5 m über dem Meeresgrund und auch der Abstand zur Wasseroberfläche ist – je nach Gezeiten – mehr oder weniger gering. „Dadurch wird etwas mehr Wasser durch den Rotor durchgedrückt und das bewirkt dann tatsächlich, dass der Leistungsbeiwert höher ist, als er bei einem ideal umströmten Rotor sein kann.“
Schön, wenn die Realität die Erwartungen übertrifft, aber auch allein die Erwartungen in die Meeresströmungsanlagen versprechen eine echte Alternative zur Windenergie. Das Prinzip beider Technologien ist gleich. Sogar die Bauteile für Seaflow stammen aus der Windtechnik. Allerdings drehen sich die Unterwasserrotoren gemächlicher als die Verwandten in der Luft. Dass die erheblich langsameren Gezeitenströmungen dennoch ausreichen, um Strom in nennenswerten Mengen zu erzeugen, liegt an der Dichte des Wassers. Bei gleicher Strömungsgeschwindigkeit ist die Leistung der Flüssigkeit etwa 1000-mal höher als die von Luft. Damit reicht eine Strömungsgeschwindigkeit von 2 m/s bis 3 m/s aus, um aus dem Unterwasserrad eine Leistung von 290 kW herauszuholen – zumindest zu Spitzenzeiten.
„Ein Quadratmeter Rotorfläche erzeugt bei einer Meeresströmungsturbine etwa achtmal so viel Leistung wie bei einer Windkraftanlage“, vergleicht der Physiker Bard. „Während also eine 1-MW-Windkraftanlage etwa 55 m Rotordurchmesser hat, braucht eine 1-MW- Meeresströmungsturbine nur 20 m Rotordurchmesser.“ Der Preis für die hohen Leistungsdichten des Wassers ist eine aufwändigere Technik. Rotor, Getriebe und Generator sind nicht fest auf einer Kuppel installiert, sondern können für Wartungsarbeiten auf einem Schlitten über die Wasseroberfläche gehoben werden. Die Bauteile müssen wasserdicht verpackt werden, damit sie nicht im aggressiven Nordseewasser verrotten.
Muscheln und Algen besiedeln die Hebearme. Und einen gut 42 m langen, etwas über 2 m dicken und 80 t schweren Stahlturm so fest im Meeresgrund zu verankern, dass er mit den erheblichen dynamischen Lasten beim Betrieb der Anlage fertig wird, ist auch nicht trivial. „Es ist schon ein Problem, wenn man einen Turm 15 m tief in die Erde steckt, genau zu berechnen, welche Kräfte er dann aufnehmen kann, denn das hängt stark von der Struktur des Untergrundes ab“, berichtet Bard. „Und eine Fehleinschätzung des Untergrundes nach der Bodenprobe hat schon zu den ersten Problemen geführt.“
Ansonsten hatten die Techniker nur mit den für Pilotanlagen typischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Anlage hat keinen Netzanschluss und dadurch mussten sie auf der Plattform zusätzlich Batterien und ein Dieselaggregat unterbringen. „Damit ist die Technik anfälliger, als sie es mit Netzanschluss wäre. Das hat uns die Testphase etwas erschwert.“ Davon einmal abgesehen, hat sich die Anlage als so alltagstauglich herausgestellt, dass schon die nächste Projektphase in Planung ist.
Bis 2006 soll der Prototyp für eine kommerzielle Doppelrotoranlage mit 1,2 MW Nennleistung fertig sein. Mit diesem Anlagentyp wollen die Projektpartner einen Seaflow-Park mit 20 Anlagen in den Meeresgrund treiben und würden damit das gleiche Kostenniveau erreichen wie der große Offshore Windpark im dänischen Hornsrev. „Hornsrev ist etwas billiger und hat etwas mehr Volllaststunden, aber die Ergebnisse sind im Prinzip mit unserer Technik im Rahmen der Genauigkeit vergleichbar. Irgendwo zwischen 5 Cent und 10 Cent pro 1 kWh wird die Wahrheit für solch einen 20-MW-Park liegen. Und das sind auf dem Markt für erneuerbare Energien konkurrenzfähige Kosten“, betont Bard.
Ein großer Vorteil der Meeresströmungsenergie gegenüber der unberechenbaren Windkraft: Sie kommt und geht auf die Minute genau – fünf Stunden Strom, eine Stunde Wasserrichtungswechsel, Drehen der Rotorblätter und wieder für fünf Stunden Strom. Mit einer geschickten Verteilung der Turbinen entlang der Küste ist eine Energieversorgung rund um die Uhr gesichert.JO SCHILLING
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