Der Solarprophet von Geesow
Gerd Hampel, ein Ingenieur für Elektrotechnik aus dem Westen, hat die kleine Gemeinde Geesow an der polnischen Grenze zum Spitzenreiter der Solarbundesliga gemacht.
Das Wetter gibt Gerd Hampel Recht. „Geesow hat die meiste Sonne in ganz Deutschland“, verspricht er. Und während das Radio eine „dichte Wolkendecke und Dauerregen für ganz Berlin und Brandenburg“ meldet, reißt der Himmel tatsächlich kurz vor der polnischen Grenze auf und die Sonne wärmt die roten Ziegelmauern der „Gaststätte zur Bismarckeiche“.
Nur den großen Festsaal der „Bismarckeiche“ erreicht die Wärme nicht. Im Saal ist es kalt, dafür aber proppenvoll. Die Leute aus Geesow und der ganzen Uckermark sind gekommen, um die Sonnenenergie in ihrer Region heimisch zu machen. Und einige sicher auch, weil sonst nicht viel los ist in einem der am dünnsten besiedelten Gebiete in Deutschland, in dem die Dörfer Tantow, Storkow und Radekow heißen und die polnische Grenze so nah ist, dass das Handy auf der Fahrt über „Katzenköppe“ immer wieder auf PolKom umstellt.
Gut hundert Menschen sitzen an den drei langen Tischreihen mit weißen Papierdecken. Sie hören schweigend den Referenten zu. Es mag an der feuchten Kälte liegen, dass die Leute auf den Bänken so steif wirken wie beim SED-Kreistag. Doch davon dürfen sich die Redner am lichtschwachen Overheadprojektor nicht abschrecken lassen. Die Nord-Ost-Brandenburger sind nun mal verschlossen und schwer aus der Reserve zu locken.
Gerd Hampel, 57 Jahre, sitzt als Einziger am Kopfende eines Tisches. Solche Gesten werden hier aufmerksam registriert: Macht sich da einer wichtig? Das kann Sympathien kosten, zumal, wenn man aus dem Westen kommt. Doch Hampel darf am Kopfende sitzen. Er ist der Solarprophet von Geesow, seit er das 212-Seelen-Örtchen nordöstlich von Berlin an die Spitze der Solar-Bundesliga geführt hat.
Auf einer alten Mülldeponie 100 m hinter dem Ortsausgang stehen die Reihen mit aufgeständerten Solarpaneelen. 2800 m2 Silizium-Zellen, finanziert über das 100 000-Dächer-Programm, produzieren eine Leistung von 300 kW und machen Geesow zur Gemeinde mit der höchsten Solarproduktion pro Einwohner in Deutschland. Die Geesower könnten so ihren jährlichen Strombedarf rein rechnerisch von der Sonne decken.
Hampel hat viel erreicht: Vor vier Jahren kam er mit seiner Frau Angela Wagener aus Berlin und hat die 700 Jahre alte Salvey-Mühle am Ortsausgang gekauft. Hier wurde einmal Holz mit Wasserkraft geschnitten und Korn gemahlen. Doch als Hampel kam, war die Mühle nur noch eine Ruine auf nassem Grund. „Aus dem Keller mussten wir 30 t matschiges Getreide rausschau-feln“, sagt Hampel, wenn er jetzt mit Besuchern über den gefegten Betonboden geht.
Er quetscht die Finger in die engen Taschen seiner Jeans, so dass die Ellenbogen eckig vom kräftigen Körper abstehen. In so einem Moment wirkt er mit seinem graublonden Vollbart wie der letzte aufrechte Öko.
Doch wenn er den renovierten Elektromotor anwirft, die alten Wellen und Transmissionsriemen kreischend anlaufen, ein polierter Aufzug an einem breiten Lederriemen bis in den vierten Stock seiner Mühle saust und er ruhig verspricht, dass auch die alte Wasserturbine sich bald wieder drehen wird, bleiben keine Zweifel an Durchsetzungsfähigkeit und Schaffenskraft. Da macht man sich eher Sorgen um die Beamten der hiesigen Wasserbehörden, die sich einer neuen Turbine mit allerlei zickiger Bürokratie entgegenwerfen.
Hampel glaubt an seine regenerativen Projekte. Er wuchs in Biblis auf und studierte in Frankfurt am Main Elektrotechnik. In den 90ern hat er in Berlin bei WATT, der Werkstatt für angepasste Technologie, und der Bewak, dem Berliner Wind-Arbeitskreis, gearbeitet.
Hampel wirkt weder bärbeißig noch verdrießlich, die Praxis ist sein Element. „Ich habe das auch angefangen, weil ich Spaß habe an allem, was sich dreht und bewegt“, sagt er über die Windkrafträder im Park und die Rekonstruktion seiner Mühle. Dabei vertiefen sich die Falten in seinem Gesicht zu Lachgruben.
Der Gemeinde im Rittersaal geht dieser Humor ziemlich ab. Der Regionalmanager der Sparkasse moderiert in elitärer Sprache. Der Mann vom Landesamt für Innovationen scheint persönlich mehr Freude an der Braunkohle und den runderneuerten Kraftwerken in der Lausitz zu haben als an dezentraler Energie. Und die kleine Frau Gillen von der Solarinitiative Schwedt warnt vor der apokalyptischen Klimakatastrophe.
Zwei Stunden lang hat der Regionalmanager keine Fragen zugelassen, nun bleiben sie spärlich. Nur Hampel beginnt mit ruhigen und sachlichen Fragen, den Vertreter für Brandenburger Innovationen nach allen Regeln der Kunst zu zerlegen: Dass die Brandenburger Förderlandschaft völlig unkalkulierbar sei, weil Anträge erst Jahre lang herum lägen und die Antragsteller dann binnen zwei Wochen ihre Bauten abschließen müssten. Dass sich Großanlagen nicht binnen zehn Jahren refinanzieren ließen, wie es das 100 000-Dächer-Programm vorschreibe. Dass Brandenburg darum Kredite für Anlagen bei den Banken absichern solle, anstatt mit EU-Mitteln eigene Förderprogramme auszuschreiben.
Die Menschen im Saal leben dankbar auf, weil einer sich auskennt und es denen da oben mal zeigt. Den offenen Protest ist man in Brandenburg nicht gewohnt. Gelernt hat man im vernachlässigten Grenzgebiet der DDR nur den schweigenden, den passiven Widerstand, gegen eine Obrigkeit, in deren Mühlen jede Anregung und Kritik verloren ging. Hampel ist hart in der Sache. Aber nach der Veranstaltung nimmt er Meier beiseite und verabredet sich mit ihm in Potsdam, um die Brandenburger Förderpolitik zu überdenken.
Denn das Photovoltaik-Projekt auf der Deponie hat Nachahmer gefunden und inzwischen sind bereits 25 ha Deponieflächen in der Umgebung als Sonnenland gesichert worden. Die Kommunen vermieten den sonst wertlosen Baugrund, und Privatleute bauen und betreiben auf diesen Flächen Solarzellen. Hampel will, dass die Abschreibung der Anlagen auf 20 Jahre gestreckt wird und Kredite über einen längeren Zeitraum abbezahlt werden können. Mit weniger hohen Tilgungen, davon ist er überzeugt, ist die Photovoltaik vom „ersten Tag an“ wirtschaftlich.
An diesem Abend kann Hampel zufrieden in seine alte Backsteinmühle gehen. In einer unerschlossenen Gegend im Windschatten der polnischen Grenze hat er seinen Boden bestellt: Unter den Solaranlagen weiden friedlich die Schafe. Touristen werden das Heimatmuseum auf dem Sackboden der alten Mühle, den Park mit den Windrädern hinter dem großen Haus bestaunen und die Gästezimmer füllen. Das Wetter ist jedenfalls auf Hampels Seite: Auf dem Rückweg nach Berlin fängt es schon wenige Kilometer hinter Geesow wieder an zu regnen. MARCUS FRANKEN
Sonnige Bundesliga
Die Kleinen werden die Ersten sein – so ist das nun mal in einer Bundesliga, in welcher der umweltfreundlich erzeugte Strom pro Kopf der Gemeinde gemessen wird. Die Spitzenreiter unter www.Solarbundesliga.de heißen darum – hinter Geesow natürlich – Dimbach in Bayer, Radekow in Brandenburg und Ense-Vollbringen in NRW. Nie gehört? Kein Wunder, die drei Örtchen haben gerade mal jeweils 150 Einwohner.
Besser bekannt sind die Spitzenreiter in der Tabelle für Mittelgewichte: Bei den Orten mit mehr als 100 000 Einwohnern führen Ulm, Freiburg und Bielefeld. Die Ulmer erzeugen zusammen gut 600 kW Solarstrom und im Durchschnitt hat jeder Bürger einen zwanzigstel m2 Solarmodule für heißes Wasser auf dem Dach.
Die ökologischen Bundesligen haben die Deutsche Umwelthilfe und die Zeitschrift Solarthemen im März dieses Jahres ins Leben gerufen. Die 121 Kommunen in der Liste nehmen freiwillig am Wettkampf teil und müssen nachweisen, welche thermischen und photovoltaischen Anlagen die angegebene Energie zusammenbringen. Dadurch werden meist nur die öffentlich geförderten Anlagen gezählt. Privat gebaute Anlagen sind den Behörden oft nicht bekannt und fallen unter den Tisch.
Kaum vertreten sind bisher die Superschwergewichte unter den Kommunen. Für sie ist es zu aufwendig, ihre Anlagen zu zählen. In der Liga können daher nur Dortmund (Platz 104) und Berlin (107) mit mehr als 500 000 Einwohnern aufwarten. mf
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