Stromnetze 19.12.2003, 18:28 Uhr

Blackouts häufen sich

VDI nachrichten, Düsseldorf, 19. 12. 03 – Eine Serie von Blackouts hat die Stromverbraucher wachgerüttelt. Von „nicht verwunderlich“ (USA) über „Pech gehabt“ (London) bis „zu hohe Importe“ (Italien) reicht die Analyse der Experten. Noch gilt die deutsche Stromversorgung als stabil.

Tagesthemen-Zeit war es in Deutschland, als in New York Computer ausfielen und U-Bahnen stoppten. Anne Will, die ARD-Moderatorin an jenem 14. August, erhielt die Nachricht von dem Strom-Blackout in den USA gerade nach ihrer ersten Meldung, der erneuten Warnung vor dem Computervirus „Lovesan“. Was lag da näher, als terroristische Computerhacker hinter dem Stromausfall zu vermuten. Doch einige Stunden später stand fest: Zwei Kraftwerksausfälle in Kanada und ein Buschfeuer hatten die Kettenreaktion ausgelöst. Was der normale Mitteleuropäer kaum noch kennt, schien in diesem Jahr zum Normalfall zu werden: große, überregionale Stromausfälle.
Den US-Blackout kommentierte Bill Richardson, früherer Energieminister unter Präsident Bill Clinton: „Wir sind eine Supermacht mit dem Stromnetz eines Dritte-Welt-Landes.“ Von Ontario in Kanada über Ohio, Cleveland, Michigan bis zum New Yorker Osten fielen nahezu im Sekundentakt Leitungen aus. Die erste Störmeldung aus Kanada erfolgte um 12.00 Uhr mittags. Um 16 Uhr, 10 min und 41 s registrierte Cleveland den Blackout. 7 s später ging in Big Apple nichts mehr.
Exakt 14 Tage später, am 28. August um 18.11 Uhr, erhielt die britische National Control eine Alarmmeldung. Gut 400 000 Londoner hatten keinen Strom mehr. Der Übertragungsnetzbetreiber, National Grid Company (NGC), meldete später den größten Fehler, der ihm seit mehr als zehn Jahren unterlaufen war: Ein Schutzrelais war falsch installiert worden.
Die nächste Meldung folgte kaum vier Wochen später mit einem Stromausfall in Südschweden und Ostdänemark. Hier war die entscheidende Ursache der Bruch eines Isolators in den Doppel-Sammelschienen. „Ein absolut seltenes Ereignis“, urteilen die Experten des deutschen Verbandes der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik (VDE). Nach rund 6,5 h war der Fehler behoben.
Fünf Tage später war es erneut so weit. Am 28. September um 03.00 Uhr registrierten Italiens Nachtschwärmer und -arbeiter einen Stromausfall, der im Norden des Landes nach rund 7 h behoben war.
Der VDE kommt in einer ersten Analyse der Sommer-Blackouts zu folgenden Ergebnissen: Der größte Stromausfall in den USA verwundert keinen Experten. Seit der ersten Deregulierung Ende der 90er-Jahre hat sich die Situation in Amerika zunehmend verschlechtert. Weder in neue Kraftwerke noch in die Netze wird ausreichend investiert. Leitungslängen von mehreren 100 km bis 1500 km sind üblich. Es gibt keine aufeinander abgestimmte Technologie. In der Schalt-, Umspann-, Schutz- und Leittechnik gibt es einen Gerätemix, der das Sicherheitsrisiko erhöht. Die Investitionen in Transportnetze sanken in den USA von rund 5 Mrd. $ jährlich (1970) auf derzeit rund 1 Mrd. $ pro Jahr.
Gegenüber dem düsteren Energieszenario der Wirtschaftsmacht USA stehen die Europäer gut da. Der Blackout in Skandinavien und der Stromausfall in London fallen eher unter das Stichwort „Pech“ – Fehler, die zwar nicht passieren dürfen, aber eben doch vorkommen können.
Die Italiener hingegen beziehen rund 70 % ihres Energiebedarfs aus benachbarten Ländern, überwiegend aus Frankreich. Nach der Stilllegung von Kraftwerken in den 90er-Jahren wurden keine neuen Anlagen mehr gebaut. Die Zulieferung über das europäische Verbundsystem UCTE (Union zur Koordination des Transports elektrischer Energien) stoppte in der Nacht vom 27. auf den 28. September durch Leistungsausfälle im Schweizer Netz. Die Italiener hatten keine eigene Möglichkeit der Kompensation.
Zwar gibt es auch in Deutschland immer wieder kurzfristige Stromausfälle, doch in der Zuverlässigkeit seiner Energielieferanten ist Deutschland Weltmeister. Mit nur 15 min durchschnittlicher Unterbrechungsdauer pro Kunde liegt die Bundesrepublik nach Zahlen des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft (VDEW), Berlin, unangefochten an der Weltspitze. Hingegen müssen die Italiener im Durchschnitt jährlich mit 191 min Stromausfall rechnen.
Dennoch sind sich die Experten von VDE und VDEW einig, dass sich die Deutschen nicht auf der vermeintlichen Sicherheit ihres Systems ausruhen können. Zwar wird derzeit ein Blackout wie in den USA völlig ausgeschlossen, doch auch hier zu Lande wird zunehmend weniger in den Ausbau der Netze investiert. Der ABB-Manager Jochen Kreusel warnt: „Längerfristig wird es brenzlig.“
Die Energiewirtschaft investiert nur zögerlich, weil ihr nach Ansicht des VDE-Vorsitzenden Prof. Wolfgang Schröppel die Planungssicherheit fehlt. Um die Zukunft auch mit den politisch gewünschten erneuerbaren Energien meistern zu können, pocht der VDE darauf, dass erheblich mehr Mittel als heute in Forschung und Entwicklung investiert werden und vor allem „ein energiepolitisches Gesamtkonzept“ vorgelegt wird. BIRGIT BÖHRET

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