Biogas aus organischen Abfällen
Anlagenkonzepte müssen optimal an die jeweiligen Standortbedingungen angepasst werden. Doch sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt – auch nicht im Abfallbereich.
Das Potenzial ist da. Die Abfallwirtschaft kennt es, die Kommunen ahnen es. „Wir gehen davon aus, dass in Deutschland jährlich rund 16 Mio. t organische Abfälle anfallen“, sagt Thomas Raussen, der beim Witzenhausen-Institut den Geschäftsbereich Bio-Rohstoffe und Energie leitet. „Davon kommen 8 Mio. t aus der Biotonne und von Grünabfällen. Die andere Hälfte ist in der grauen Tonne wiederzufinden.“ Beeindruckende Mengen, die zu Hochrechnungen verleiten – vielleicht auch in mancher Kreis- oder Stadtverwaltung.
„Die Vergärung von 1 t Bioabfall bringt bis zu 150 m3 Biogas, woraus man 900 kWh Energie erzeugen kann“, erklärt Experte Raussen. Würde die Abfallwirtschaft ihre organischen Materialien total vergären, entspricht das der Stromproduktion zweier Atomkraftwerke.
Das zum Potenzial. Die Realität sieht anders aus. Nur rund 1,5 Mio. t Bioabfälle jährlich werden gegenwärtig bundesweit in etwa 75 Anlagen vergoren. „Unwirtschaftlich, rechnet sich nicht“, war früher das Urteil vieler Akteure der Entsorgungsunternehmen.
Eine Einschätzung, die heute nicht mehr stimmt. Das hat gute Gründe. Im Zuge der klimapolitischen Zielsetzungen steigt die Bedeutung der erneuerbaren Energien. Dazu gehören auch die Bioabfälle, die originär aus der Natur stammen und damit zu einem guten Teil CO2-neutral sind. Bei steigenden Energiepreisen und einer nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) höheren Vergütung rechnet sich inzwischen eine Vergärung dieser organischen Müllfraktion, ohne dass der Nährstoffkreislauf unterbrochen wird.
Allerdings warnen Experten vor falscher Ideologie. „Ich bin kein Freund von Vergärung per se“, gibt Dr. Martin Wittmaier vom Bremer Institut für Kreislaufwirtschaft zu bedenken. Von Pauschalierungen hält er nicht viel. „Man darf die Kompostierung nicht gegen Biogas ausspielen, genauso wenig wie die Verbrennung gegen die mechanisch-biologische Aufbereitung.“ Stattdessen setzt Wittmaier auf eine differenzierte Betrachtung von Fall zu Fall. Gesamtkosten, Kohlendioxid-Bilanz und Altbestand sind nur drei der wichtigsten Faktoren, die es abzuwägen gilt. Wittmaier plädiert daher für eine Vielfalt von Lösungen, die die Abfall- und Biomassebranche auf der Bremer Messe „waste to energy“ Anfang Mai offerieren wird. Auf der gleichnamigen Fachkonferenz werden Branchenexperten über die neuesten Trends diskutieren.
Der Informationsbedarf in der Abfallwirtschaft ist dabei heute größer denn je. Denn seit der Novellierung des EEG im Jahr 2004 erlebt die Biogasbranche ein starkes Wachstum. Vor allem mit Anlagen, die mit nachwachsenden Rohstoffen (Nawaro) betrieben werden. Während so mancher schon vor lauter Maisfelder nicht mehr richtig durchblickt, hinkt die Nutzung der organischen Anteile im Müll hinterher. Nicht zuletzt, weil das EEG einen klaren Trennstrich zwischen Bioabfall- und Nawaro-Anlagen zieht: Nur Betreiber, die ausschließlich mit Nawaro beschickt werden, bekommen nämlich den so genannten Nawaro-Bonus von 6 Cent pro 1 kWh Strom.
Wenngleich das Vergären von Mais und Gülle und Ähnlichem lukrativ ist, wäre es aber wenig klug, die Bioenergie aus Speiseabfällen und Biotonne aus dem Blickfeld zu verlieren. Bietet doch gerade dieser Bereich für Kommunen gute Chancen, um die schmalen Budgets der öffentlichen Hand zu schonen, meint die Berliner Rechtsanwältin Dr. Antje Kanngießer, die für Kommunen die rechtlichen Rahmen für Kooperationen u. a. im Bereich der Energieerzeugung aus Bioabfällen auslotet.
Schon heute gibt es viele Beispiele, wie eine Zusammenarbeit von privatwirtschaftlichen Unternehmen und öffentlicher Hand gut funktioniert, etwa in den bayerischen Landgemeinden rund um Passau. Dort wird eine Kompostanlage mit einer vorgeschalteten Biogasanlage (Trockenvergärung) betrieben. Das Kombikonzept erstellte die Homburger Planungsfirma Sius, die auch Mitbetreiberin ist. „Wir sind mit der Energieausbeute sehr zufrieden“, sagt Sius-Chef Wilhelm Kühn.
Der Anlage in Passau kommt zugute, dass die angelieferte Biomasse in den Landgemeinden nur geringe Schwankungen aufweist und daher weniger Störungen im Gärprozess auftreten können. Neben Passau hat Sius mit ähnlichen Kombianlagen in Weißenfels und im Allgäu langjährige Erfahrungen gemacht. „Die Wirtschaftlichkeit ist entscheidend“, distanziert sich Kühn von unrentablen Projekten. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, viele Kooperationen möglich und an Ideen mangelt es nicht. „Einen Boom in der energetischen Verwertung von Bioabfällen haben wir dennoch nicht“, beurteilt Kühn die Situation nüchtern. „Aber wir hoffen, dass da in Zukunft noch mehr kommt.“ DIERK JENSEN
Experten warnen vor falschen Ideologien
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