Kernenergie 17.01.2003, 18:23 Uhr

Atommüll soll unter die Erde

Alle Länder, die irgendwann einmal einen Reaktor betrieben haben – und sei es auch nur einen kleinen zu Forschungszwecken – , haben ein Müllproblem.

Das Problem mit dem atomaren Müll ist nicht zu vernachlässigen, denn nach Berechnungen der Internationalen Atomenergieagentur IAEA werden allein die weltweit 438 kommerziellen Reaktoren bis zum Jahr 2005 rund 190 000 t abgebrannten Kernbrennstoff produziert haben. Hinzu kommen die Strahlenquellen aus Medizin und Materialprüfung, die Abfälle der Forschungsreaktoren und der Müll der Kernwaffenprogramme. Deshalb veranstaltete die IAEA in Wien eine Tagung zum Umgang mit Atommüll.
„Der Nuklearmüll ist da und, gleichgültig wie die Zukunft der Kernenergie aussieht, wir müssen etwas damit tun“, betonte Tagungsleiter Alec Baer, ehemals stellvertretender Direktor des Schweizer Bundesamtes für Energie. Besondere Probleme bereiten die langlebigen Überreste aus den Reaktoren der Kernkraftwerke und den Kernwaffenprogrammen. Ihre Strahlung klingt zum Teil erst im Laufe von Hunderttausenden von Jahren ab. „Es ist absolut unmöglich, diese Abfälle über Jahrhunderte einer grundsätzlich krisenanfälligen Gesellschaft anzuvertrauen“, warnte Markus Buser, Entsorgungsfachmann aus der Schweiz. Daher waren sich die Experten weit gehend einig, dass eigentlich nur die Endlagerung tief unterhalb der Erdoberfläche als Lösung in Frage kommt. Hier sollen kilometerdicker Fels oder dichte Ton- und Salzschichten eine Ausbreitung der radioaktiven Strahlung verhindern.
Alternativen, wie etwa der Müllexport ins All, auf den Mond oder in die Tiefseegräben, sind zu den Akten gelegt. Der Umwandlung der langlebigen radioaktiven Elemente durch Bestrahlung in kurzlebigere, der so genannten Transmutation, wird ebenfalls keine große Chance eingeräumt. „Die Idee ist interessant und auf jeden Fall eine nähere Untersuchung wert“, meinte etwa Gordon Linsley, Chef der IAEA-Sektion für radioaktiven Müll, „aber sie befindet sich erst in einer frühen Entwicklungsstufe und ist sehr teuer. Außerdem fällt ebenfalls Müll an, um den man sich kümmern muss.“ Das gilt auch für die Aufarbeitung, die etwa von Japan weiterhin verfolgt wird.
Bleibt als einzige derzeit erkennbare Lösung eben der Gang tief unter die Erde. Zentral ist die Wahl des geeigneten Gesteins: Erste Wahl sind Ton und Salz, dazu kommt der Granit. Der ist zwar wegen seiner Hitze-Unempfindlichkeit gut geeignet, hat aber Risse und Klüfte, durch die Gase austreten oder Wasser eindringt. Dagegen sind Ton- und Salzvorkommen weit gehend dicht. Die Hand voll Endlager, für die derzeit die Erkundungen laufen, decken das gesamte Spektrum ab. In Deutschland startet man nach den Auseinandersetzungen um den Salzstock Gorleben zu einer erneuten Suche nach einem wissenschaftlich geeigneten und gleichzeitig gesellschaftlich akzeptierten Standort in den Salzstöcken, Ton- und Granitvorkommen des Landes. Das Verfahren dazu hat der Arbeitskreis Endlagersuche Ende vergangenen Jahres vorgeschlagen.
In der Schweiz hat die Entsorgungsgenossenschaft Nagra ihren Abschlussbericht über einen Endlagerstandort für hochradioaktiven Müll nahe der deutsch-schweizerischen Grenze am Hochrhein vorgelegt. Das fragliche Tonvorkommen, 500 m tief unter dem Zürcher Weinland, ist nach Ansicht der Nagra-Experten der bestmögliche Standort, um die Abfälle der Schweizer Kernkraftwerke zu lagern. „Das Gebiet ist das ruhigste Gebiet, über das wir in der Schweiz verfügen“, betonte Nagra-Präsident Hans Issler. Denn die Alpen heben sich immer noch und weite Teile des Jura gehören zur Erdbebenzone des Oberrheintalgrabens. Allerdings nehmen sich die Eidgenossen viel Zeit für ihre Entscheidung, nachdem das Endlager für schwach- und mittelaktiven Müll im Kanton Nidwalden erst im vergangenen September von den Bürgern endgültig abgelehnt worden war. Erst 2020 soll der Standort für hochaktiven Müll bestimmt werden.
Dann sollen die beiden ersten europäischen Endlager bereits in Betrieb sein. Schweden will 2015 mit der Einlagerung beginnen, Finnland 2020. Beiden Staaten ist das Kunststück gelungen, den Standort im gesellschaftlichen Konsens festzulegen, so dass sie jetzt an die technische Umsetzung gehen können. Konzepte und geologische Situation sind weit gehend identisch. Beide Lager werden 500 m tief im 2 Mrd. bis 3 Mrd. Jahre alten Granit errichtet werden. Als Hauptbarriere gegen das dort allgegenwärtige Grundwasser dienen korrosionsfeste Kupferlagerbehälter, in denen der abgekühlte Brennstoff gasdicht eingeschweißt wird. Zum zusätzlichen Schutz werden die Behälter mit einem speziellen Ton, dem Bentonit, bedeckt. „Bentonit quillt auf, wenn er mit Wasser in Berührung kommt und wirkt so schützend“, erklärte Peter Nygards, Chef der schwedischen Entsorgungsfirma SKB.
Beeindruckender als das Konzept fanden die Experten die Art, wie die Skandinavier ihr Projekt durchgesetzt hatten. „Man muss sich sehr intensiv mit den Leuten und ihren Repräsentanten auseinander setzen”, umriss Nygards das Rezept, „man muss Vertrauen aufbauen und ihnen zeigen, dass sie der Arbeit der Wissenschaftler vertrauen können.“ Andere Länder, wie Deutschland, die Schweiz oder aber Großbritannien, die sich im ersten Anlauf die Finger verbrannt haben, versuchen daher jetzt, den transparenten und auf Dialog angelegten Entscheidungsprozess der Skandinavier zu kopieren. HOLGER KROKER

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