Alles andere als glasklar
VDI nachrichten, München, 18. 4. 08, mg – Photovoltaik- und Glasindustrie zeigen sich uneinig über die Versorgung der Solarzellenhersteller mit Glas. Die Solarbranche fürchtet nach dem Silizium-Engpass nun weiter wachstumshemmende Versorgungsprobleme. Die Glasindustrie jedoch bleibt bei dem Problem gelassen.
Die 2. PV Glass Conference in München mit rund 450 Teilnehmern aus der Solar- und Glasbranche konnte sich nicht entscheiden: Droht der Photovoltaikindustrie ein neuer Rohstoffengpass oder kann die Glasindustrie die explosionsartig ansteigende Nachfrage nach Solarglas dauerhaft befriedigen?
Die Fronten waren klar auszumachen. Vertreter großer Glashersteller sehen in der Ausstattung der Photovoltaikproduzenten mit Solarglas kein Problem. „Die nehmen den Solarboom nicht ernst“, lässt sich hingegen aus den Reihen der Photovoltaikbranche vernehmen. Einige Solarunternehmen schreiten zur Selbsthilfe und haben bereits eigene Glasfertigungen aufgebaut. Erich Merkle, Vorstand der Solartec AG, die eine eigene Solarglasproduktion vorbereitet, wandte sich mit einer klaren Botschaft an die Konferenz: „Die großen Glashersteller sind nicht die richtigen Partner für die Photovoltaik.“
Hintergrund der unterschiedlichen Einschätzungen ist die nach wie vor weltweit ansteigende Nachfrage nach Solarmodulen. Glas ist eine der Hauptkomponenten der flachen, meist blau schimmernden Standard-Solarmodule – es schließt sie gegen Witterungseinflüsse ab. Außerdem verbessern Antireflexschichten auf dem Glas und andere spezielle Oberflächenbehandlungen die Energieausbeute. Die verwendeten Flach- und Strukturgläser sollten daher Licht über einen weiten Wellenbereich durchlassen können. Die Transmissionsgrade liegen dabei über 90 %.
Eine besondere Anwendung findet Glas in der Dünnschichttechnik: Die photoaktiven, nur mikrometerdicken Schichten aus Silizium oder anderen Halbleitern werden auf Glassubstraten abgeschieden, die bis zu mehreren m2 Fläche groß sein können.
Einigkeit herrscht bei den Beteiligten in der Überzeugung, dass der Bedarf an Solarglas in den nächsten Jahren exponentiell wächst – wie stark, ist allerdings in der Photovoltaikbranche heftig umstritten. Die Schätzungen des Photovoltaik-Marktvolumens im Jahre 2010 reichen von 5 GW bis 17 GW Gesamtleistung. Der Glasbedarf würde sich dann – bedient man sich der höheren Zahl – innerhalb von nur drei Jahren auf etwa 120 Mio. m2 Fläche vervierfachen.
„Macht gar nichts“, sagt die Glasindustrie. Sie verweist auf den aktuell geringen Anteil des Solarglases an der weltweiten Flachglasproduktion von nur 2,5 %. Einer Vervierfachung sehe man daher gelassen entgegen, sagte Alain Garnier, Leiter des Geschäftsbereichs Solar beim Glashersteller Saint-Gobain. „Die Wachstumsraten sind für uns keine Überraschung. Wir folgen dem Marktwachstum“, unterstrich Garnier und kündigte, wie andere Hersteller auch, den Ausbau der Fertigungskapazitäten an.
Das markige Statement indes beruhigte nicht. Schon gar nicht, als der amerikanische Branchenanalyst Michael Rogol die Konferenz mit neuen Prognosen überraschte. Er gehe nicht mehr von bloß 17 GW Photovoltaikproduktion im Jahre 2010 aus, sondern von 26 GW, im Jahre 2012 gar von 45 GW. Die benötigte Glasmenge beliefe sich dann jährlich auf fast 400 Mio. m2 Fläche – mit stark steigender Tendenz. Auch für die gigantischen Flachglaslinien der großen Hersteller wären das endgültig keine Peanuts mehr. Rogol vermisst allerdings entsprechende Anstrengungen bei den Glasproduzenten: „Sie antworten nicht auf diese Nachfrage, weil sie nicht an den Boom glauben.“
Die Diskussion hat – über die bloße Menge hinaus – auch eine technologische Komponente. Solartec-Vorstand Merkle stellte in Abrede, dass die traditionellen Glasfabriken zukünftig speziell beschichtetes, selbstreinigendes und eisenarmes Glas in benötigter Qualität für High-Tech-Solarmodule liefern können: „Das Glas für Dünnschichtanwendungen ist keine Massenware, die man mal von A oder B beziehen kann.“ Merkle erwartet darüber hinaus logistische Probleme. Die Solarfabrik der Zukunft habe eine Jahreskapazität von 1 GW, und das sei nicht kompatibel zu den Losgrößen einer konventionellen Flachglaslinie, die in so genannten „Kampagnen“ weit größere Mengen einer Glassorte fertigt.
Abkoppeln möchte sich die Photovoltaikbranche auch von der erwarteten Preisentwicklung im Glasbereich. Aufgrund steigender Rohstoff- und vor allem Energiepreise gehen alle Beteiligten davon aus, dass der Glaskostenanteil bei der Modulfertigung von 5 % auf 15 % anwachsen wird – eine kleine Katastrophe für die Photovoltaikindustrie, die momentan unter starkem Kostendruck steht. Aber auch hier liege der Erfolg in der Eigeninitiative, betonte Merkle. Er versprach für seine eigene Solarglasfertigung sogar Kostensenkungen. Möglich machen soll das unter anderem der Einsatz eines Schmelzofens, der statt mit Luft und Erdgas mit einem Erdgas-Sauerstoff-Gemisch befeuert wird und 25 % weniger Energie verbrauchen soll als das herkömmliche Verfahren. JÖRN IKEN
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