Photovoltaik 02.04.1999, 17:21 Uhr

100 000 Solarzellendächer – und dann viele Investitionsruinen

Hochgeschraubt sind die Erwartungen an die Photovoltaik und das 100 000- Solardächer-Programm. Daß zur Sonnenenergie sinnvolle Alternativen bestehen, erläutert nachfolgend der ehemalige ABB-Vorstand Dr.-Ing. Bertold Romacker.

Solargeneratoren bewähren sich seit Jahrzehnten bei der Stromversorgung von Satelliten. Die Investitionskosten dafür spielen im Vergleich zum Gesamtpreis eines Satellitensystems keine Rolle. Interessante terrestrische Anwendungen der Photovoltaik ergeben sich dort, wo die Infrastruktur keinen Zugang zum weltumspannenden Stromnetz zur Verfügung stellt, etwa zur Versorgung nachrichtentechnischer Einrichtungen auf Bergen oder zum Heraufpumpen von Grundwasser in Wüstengegenden.
Ist die Photovoltaik aber auch geeignet, einen signifikanten Beitrag zur Lösung der grundsätzlichen Energieprobleme einschließlich des Treibhauseffektes zu leisten? Können fossile oder atomare Großkraftwerke nennenswert entlastet oder gar abgelöst werden? Genau in diese Richtung zielt das 100 000-Dächer-Programm, das die neue Bundesregierung aufgelegt hat, denn der Strom aus den Solarzellendächern soll ja in das allgemeine Stromnetz eingespeist werden. Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen dieses Programms lassen sich leicht abschätzen.
100 000 Dach-Solargeneratoren von jeweils 3 kW Leistung erbringen eine installierte Gesamtleistung von 300 000 kW. Demgegenüber hat ein großes Kernkraftwerk oder Kohlekraftwerk eine Leistung von 1 300 000 kW. Unsere Solardächer bringen es auf 23 % der Leistung eines konventionellen Großkraftwerkes. Es wäre ein Fehlschluß anzunehmen, wir könnten jetzt fast ein Viertel der Energielieferung eines Großkraftwerkes durch Solarenergie ersetzen. Die jährliche Laufzeit des Großkraftwerkes ist nämlich deutlich höher.
Das konventionelle Großkraftwerk liefert 10 Mrd. kWh/Jahr. Jeder Pfennig Zusatzkosten für die Kilowattstunde bedeutet eine volkswirtschaftliche Belastung von 100 Mio. DM pro Jahr. Die Kosten für photovoltaisch auf Dächern oder Fassaden erzeugtem Solarstrom werden auch langfristig nicht unter 0,3 DM/kWh fallen. Wer glaubt, mit Solarzellendächern einen merklichen Beitrag zur großtechnischen Energieversorgung leisten zu können, der hat noch nie nachgerechnet, was das kosten würde. Allein die auf die Dächer verteilte Anlagentechnik stellt bereits eine nicht zu überwindende Kostenhürde für den großtechnischen Einsatz von Solarstrom dar. Das 100 000-Dächer-Programm ist ein unüberlegter Schnellschuß, Aktionismus um seiner selbst willen, eine Verschleuderung volkswirtschaftlichen Vermögens. Was bliebe nach 15 Jahren übrig? Wahrscheinlich Zehntausende über das Land verteilter kleiner Investitionsruinen.
Langfristig ist die Solarenergie dennoch unverzichtbar. Bis zum Ausbrechen der großen Energiekrise in 6 bis 8 Jahrzehnten, wenn die fossilen Energieträger knapp zu werden beginnen, was die Zivilisation in den Kältetod zu stürzen droht, muß Solarenergie in großem Umfang zur Verfügung stehen. Nur muß sie dort entwickelt und etabliert werden, wo die Sonne doppelt so lange scheint wie bei uns, und man muß Großanlagen bauen, statt sich mit Minigeneratoren zu verzetteln.
Wahrscheinlich wird sich zeigen, daß die solarthermische Stromerzeugung um vieles wirtschaftlicher ist als die photovoltaische. Teure Umformerschaltungen werden bei den meisten solarthermischen Stromerzeugungssystemen jedenfalls nicht benötigt. Beim Parabolrinnenverfahren etwa, installiert in der kalifornischen Mojave-Wüste, wird durch die Sonne Öl in einer Röhre, die sich über die optische Brennlinie der Rinne erstreckt, erhitzt und zur Dampferzeugung benutzt. Der Dampf wird wie in einem konventionellen Kraftwerk weiterverarbeitet. Eine Zusatzheizung wird bei ungenügendem Sonnenschein eingesetzt.
Um die Zeitspanne bis zum Eintritt der Welt-Energiekrise signifikant zu verlängern, gilt es kurz- und mittelfristig, die konventionellen Stromerzeugungsanlagen effizienter zu machen. Wenn der Wirkungsgrad eines großen Kohlekraftwerkes von 38 % auf 43 % gesteigert wird, werden pro Jahr bei gleichem Brennstoff-einsatz über 1,5 Mrd. kWh mehr an elektrischer Energie abgegeben, das Fünffache dessen, was ein 100 000-Solardächer-Programm leisten kann.
Modernste Kohlekraftwerke – selbst Braunkohlekraftwerke – bringen es schon auf 45 % Wirkungsgrad. Kohlekraftwerke mit druckaufgeladener Wirbelschichtverbrennung, bei denen eine Gas- und eine Dampfturbine im Verbund arbeiten, versprechen noch höhere Werte. Erdgasbetriebene GuD-(Gas- und Dampf-)Kraftwerke, bei denen ebenfalls eine Gas- und eine Dampfturbine zusammenarbeiten, laufen bereits mit bis zu 58 % Wirkungsgrad. Weltweit arbeiten Hunderte von Kraftwerken mit einem Wirkungsgrad von 30 % oder weniger. Bei vielen davon würde schon eine bessere Betriebsführung zu einer deutlichen Steigerung führen.
Aufhören muß die Verschwendung von Wärmeenergie. Viele Großkraftwerke laufen in der Nähe von Ballungszentren und blasen gigantische Wärmemengen in die Luft, während gleich daneben Industrieöfen und private Heizungsanlagen betrieben werden. Kraftwerkskonzepte, bei denen neben der Erzeugung elektrischer Energie auch die dabei anfallende Wärme ausgenutzt wird, sind von großer Bedeutung für die Ressourcenschonung. Kein Kraftwerksneubau mehr ohne Ausnutzung der Abwärme! Es wurde bereits eine ganze Reihe von GuD-Kraftwerken für Industrieanlagen gebaut, bei denen durch Wärmeauskopplung bis zu 90 % der eingesetzten Primärenergie ausgenutzt werden. Auch die – meist kleineren – Blockheizkraftwerke gehören in diese Kategorie. Die Dieselmotoren der Blockheizkraftwerke haben einen Wirkungsgrad von fast 45 %. Übertroffen werden könnten sie in er Zukunft durch Brennstoffzellen, die über 60 % versprechen.
Sinnvolle Energiestrukturpolitik kann nur weltweit betrieben werden. Zunächst kommt es darauf an, die Zeitspanne bis zum Aufbrauch der fossilen Brennstoffvorräte so weit wie möglich zu verlängern. Die zwei Maßnahmen dazu sind: Steigerung der Effizienz konventioneller Energieerzeugungsanlagen und Schluß mit der Verschleuderung von Wärmeenergie. Die technischen Möglichkeiten dazu bestehen bereits heute das Einsparungspotential ist gewaltig.
Die Politik ist gefordert, wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen so zu gestalten und weltweit zu koordinieren, daß ein Erneuerungs- und Verbesserungsprozeß eingeleitet wird, der schließlich zum Selbstläufer wird. Gleichzeitig muß die Entwicklung derjenigen Technologien vorangetrieben werden, von denen angenommen werden kann, daß sie in der nachfossilen Zeit geeignet sind, einen relevanten Anteil an der Stromversorgung zu leisten.
Das ist in erster Linie die Solarenergie, für die dort große Eignungstestanlagen unterschiedlicher Technologien errichtet werden müssen, wo die Sonne am meisten scheint und viel Platz vorhanden ist. Pumpspeicherkraftwerke irgendwo auf der Welt müssen gleichzeitig als Energiepuffer errichtet werden, auch hierfür besteht ein großes Potential schließlich ist die Wasserkraft auf der Welt nur zu einem Viertel erschlossen. Die wahrscheinlich weit voneinander entfernten Energieerzeuger und -puffer müssen zum Energieaustausch mit HGÜ-Leitungen (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung) miteinander verbunden werden. So kann modellhaft das globale Energieversorgungssystem der nachfossilen Zeit entstehen.
BERTOLD ROMACKER
Bertold Romacker: „Für die Solarenergie müssen dort große Eignungstestanlagen errichtet werden, wo die Sonne am meisten scheint und viel Platz vorhanden ist.“

Ein Beitrag von:

Themen im Artikel

Zu unseren Newslettern anmelden

Das Wichtigste immer im Blick: Mit unseren beiden Newslettern verpassen Sie keine News mehr aus der schönen neuen Technikwelt und erhalten Karrieretipps rund um Jobsuche & Bewerbung. Sie begeistert ein Thema mehr als das andere? Dann wählen Sie einfach Ihren kostenfreien Favoriten.