Wie viel Nutzen bringt RFID wirklich?
Ware beschriften, mit einem Strichcode versehen oder besser einen Funkchip (RFID) befestigen und ihn mit auf die Reise schicken? Der antwortet auf Anfrage per Funk mit Informationen, die in ihm gespeichert sind. Ein tolles Logistiksystem zur Transportüberwachung oder auch zur Ausspähung von Kundenverhalten?
Steffen Binder
Soreon Research-Direktor
Die größten Vorteile verspricht der RFID-Einsatz für Warenhäuser und Supermärkte. In weniger als einem Jahr werden hier Investitionskosten durch Einsparungen und Mehrumsätze hereingeholt. Der Return on Investment (RoI) über drei Jahre liegt im Warenhaus bei hervorragenden 130 %. Supermärkte erzielen einen RoI von 31 %. Die Prozesse am Point of Sale sind heute noch weitgehend ineffizient. Regalpflege, Inventur und Kassiervorgang enthalten viel manuelle Arbeit. Durch RFID lassen sich diese Prozesse massiv verkürzen und optimieren. Auch in der Supply-Chain des Handels finden sich Einsparungsmöglichkeiten: Warenausgangs- und Wareneingangskontrolle, Kommissionierung von Sendungen und Schutz vor Warenschwund lassen sich mittels RFID weit schneller und präziser durchführen.
In der Zwickmühle sitzen die Produzenten und Hersteller. Sie werden durch die Marktmacht der großen Handelsketten gezwungen, vom Barcode auf RFID umzustellen und die derzeit noch um die 50 Cent pro Stück teuren Transponder im Produktionsprozess anzubringen. So zahlen die Hersteller die Zeche für die Vorteile des Handels.
Steffen Binder
Cordula Gotthardt
Forschungs- und Innovationsmanagement FraportAG
Am Flughafen Frankfurt/Main werden seit Mai 2004 in einem Pilotprojekt mit dem Flughafen Tokio/Narita RFID-Transponder in Gepäckanhängern getestet. Ziel des Projekts ist es, die RFID-Technologie im praktischen Gepäckbetrieb unter realen Bedingungen zu testen. Beteiligt sind die beiden größten japanischen Airlines JAL und ANA, die Frankfurt nonstop anfliegen. In der Gepäckförderanlage des Flughafenbetreibers Fraport werden die RFID-Transponder ausgelesen und die Daten online nach Tokio transferiert. Die IATA, die Vereinigung der Luftverkehrsgesellschaften, unterstützt die weltweite Erprobung dieser Technologie. In einem zweiten Pilotversuch gemeinsam mit SAP findet die RFID-Technologie Anwendung im Rahmen der dokumentationspflichtigen Wartung im Facility-Management, beispielsweise bei Brandschutzeinrichtungen. Weitere Anwendungsbereiche sind im Instandhaltungsmanagement in der Implementierung. Als einer der großen Dienstleister in der Aviation-Branche prüfen wir derzeit gemeinsam mit unseren Kunden weitere Einsatzmöglichkeiten der RFID-Technologie.Cordula Gotthardt
Edgar Mentrup
IT Experte bei Aventis Deutschland
Im Pharmabereich sind Produktfälschungen eine große Bedrohung. Ob Viagra oder Antibiotika – alles wird von Produktpiraten angeboten. Im besten Fall sind die Fälschungen wirkungslos, eventuell aber auch schädlich. RFID-Chips könnten zum einen helfen, die Authentizität der Verpackung sicherzustellen. Zum anderen könnte RFID die Lieferkette der Arzneimittelversorgung stärken – vom Hersteller über den Großhandel bis hin zur Apotheke. Wir sind zurzeit in der Pilotphase, die Technik macht große Fortschritte, allerdings reicht die EDV noch nicht für die vollständige Nachverfolgung aus. Ein zu früher Einsatz könnte zu einem Toll-Collect-Effekt in der Pharma-Industrie führen. Allein Aventis Deutschland verarbeitet jährlich rund 100 Mio. Verpackungen. Sinnvoll wären vor allem auch EU-weite und unternehmensübergreifende Lösungen.
Dr. Edgar Mentrup
Dirk Morgenroth
Marketing Manager Transport & Logistik, Philips Semiconductors
Der größte Nutzen ist die Kosten- und Zeitersparnis von RFID sowie die eindeutige Zuordnung und lückenlose Verfolgung von Waren von der Produktion, Distribution bis hin zum Einsatz von RFID im Einzelhandel. Deshalb wird zunächst die Wirtschaft insgesamt und der Handel im speziellen profitieren. Aber natürlich haben auch Konsumenten etwas davon. Durch die zunehmende Automatisierung des Warenflusses können die Ersparnisse auf den Kunden übertragen werden. Die Warenabwicklung wird viel schneller, was in Zukunft an der Kasse zu sehen sein wird, wenn man nur noch mit dem Einkaufswagen durch ein Gate schieben muss und Preise sekundenschnell erfasst sind.
In Tickets für Veranstaltungen oder den öffentlichen Nahverkehr und bei Bibliotheken sorgen Funkchips bereits heute weltweit für reibungslosen Ablauf. Die persönliche Sicherheit steigt mit kontaktloser Chiptechnologie. Der Autoreifendruck wird heute schon per Funkchip überprüft und elektronische Wegfahrsperren arbeiten auch auf der Basis von RFID, alles Applikationen, die schon in hohem Volumen im Markt benutzt werden. Nutztiere werden mit Chips einfach und sicher überwacht und identifiziert – was sich in Zukunft bis hin zu den qualitätsgesicherten Fleischprodukten in den Kühlregalen des Einzelhandels fortsetzen wird.
Dirk Morgenroth
Gerd Wolfram
MGI Metro Group Information Technology
Die Metro Group wird RFID als weltweit erstes Handelsunternehmen entlang der gesamten Prozesskette in der Logistik einsetzen. Die erste Phase des Roll-outs beginnt bei uns im November 2004 mit zunächst rund 20 Lieferanten. In der Folge werden in Deutschland sukzessive ca. 100 Lieferanten, acht Läger und 269 Standorte der Vertriebslinien Metro Cash & Carry, Real und Kaufhof einbezogen. Mit den so genannten Smart Chips werden Paletten und Transportverpackungen versehen.
RFID wird die Handelswelt verändern. Mit Hilfe dieser Technik lassen sich für Handelsunternehmen Warenströme optimal sichtbar machen, Prozessabläufe optimieren und manuelle Arbeiten reduzieren. Vor allem aber unsere Kunden haben davon Vorteile: RFID unterstützt den Handel dabei, das Einkaufen schneller, komfortabler und sicherer zu machen.
Die Metro Group sieht in ihrem Engagement für diese innovative Technik auch ein Bekenntnis zum Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland. Dr. Gerd Wolfram
Matthias Jarke
Präsident der Gesellschaft für Informatik
Die Gesellschaft für Informatik steht dem Einsatz der RFID-Technik grundsätzlich sehr positiv gegenüber. Die Vorteile für Industrie und Verbraucher gegenüber dem jetzigen, sehr viel undifferenzierteren und zeitaufwändigeren Barcodeverfahren liegen auf der Hand. Diese Vorteile kommen aber nur dann zur Geltung, wenn die Technik bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine hohe Akzeptanz findet. Verdächtigungen und Befürchtungen, wie sie zurzeit im Zusammenhang mit den RFID-Tags allenthalben geäußert würden, stehen einer breiten Nutzung entgegen. Deshalb ist es nun um so wichtiger, den technischen Fortschritt von Seiten des Gesetzgebers adäquat zu begleiten und möglichen Missbrauch von vorneherein zu unterbinden. Die Gesellschaft für Informatik nimmt deshalb aktiv in einem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit ins Leben gerufenen Diskussionsforum zur RFID-Technik teil.
Prof. Dr. Matthias Jarke
Rena Tangens
Vorstand Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V (FoeBuD e.V.) und Jury-Mitglied der Big Brother Awards Deutschland
Die Einführung von RFID birgt vielfältige Risiken für eine demokratische Gesellschaft, da diese Technologie zur umfassenden Kontrolle, Überwachung und Manipulation der Bürger eingesetzt werden kann. RFID-Chips mit weltweit eindeutigen Seriennummern in Koppelung mit Datenbanken ermöglichen die Erfassung von Alltagsdaten in bisher ungeahntem Umfang und ermöglichen ihre Kombination und Weiterverarbeitung zu detaillierten Bewegungs-, Konsum- und Interessenprofilen von Menschen. Bei der Einführung der RFID-Technologie sind daher nicht nur die Interessen der Hersteller, des Handels und der Verbraucher berührt, sondern auch fundamentale Rechte der Bürger, der Arbeitnehmer und auch Belange des Umweltschutzes. Industrie, Handel und Politik würden gut daran tun, den gesellschaftlichen Diskurs zu führen. RFID bietet die Chance, eine Technologie kritisch zu betrachten und technische Details bürgerrechtsfreundlich zu gestalten, noch bevor sie weiträumig eingeführt wird. Eine gesetzliche Regulierung würde die Firmen, die die Privatsphäre der Bürger tatsächlich achten, schützen – vor den Firmen, die es nicht tun und nicht zuletzt vor ihren eigenen Aktionären.
Rena Tangens
Thilo Weichert
Stellv. Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz, Schleswig-Holstein
Einfach und praktisch, aber damit nicht zwangsläufig gut – das ist RFID. Praktisch ist die Technik mit den Funkchips bei der Organisation von Logistikabläufen oder bei der Bestandsverwaltung von Sachen. Werden mit RFID dagegen personenbezogene Daten gesammelt, so geht es oft nicht mit rechten Dingen zu: Werden die Chips in Produkten eingesetzt, die
einer Person zugewiesen sind oder zugeordnet werden
können, so können sensible Personendaten unbemerkt erhoben werden: Wo hat sich die Person aufgehalten, welche Waren sind in ihrem Einkaufswagen, welche Kleidung hat sie an, welches Ticket wird von ihr genutzt? Das Vertrackte an RFID ist, dass die Betroffenen zumeist nichts davon mitbekommen, wie über sie Daten gesammelt werden. Und dies verstößt gegen den grundlegenden Satz des Datenschutzes, dass die Menschen wissen sollen, wer was bei welcher Gelegenheit über sie erfährt. Gegen den selbstbestimmten Einsatz von RFID, wenn die Funkkommunikation von den Betroffenen kontrolliert werden kann und wird, haben Datenschützer keine Einwände.
Dr. Thilo Weichert
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