Vinyl – der tägliche Kampf um den sauberen Ton
Trotz CD-Boom und angekündigter Super-Audio-CD werden in Deutschland jährlich immer noch 60 000 neue Plattenspieler verkauft. Schon für unter 1000 DM bekommen Vinylfans die Grundlage für ein ausgereiftes Hörvergnügen.
Analog lebt. Zwar beginnt aus der Sicht der digitalen Messtechnik mit einem Plattenspieler der tägliche Kampf um den sauberen Ton – ein Wettbewerb mit Feinmechanik und Elektronik, der niemals abgeschlossen, geschweige denn gewonnen wird. Aber es ist ein Bemühen, das sich lohnt.
Beim Plattenspieler sieht man noch, wie die Musik entsteht. Die Drehung des Plattentellers, die feine Mechanik von Tonarm und Tonabnehmersystem üben eine Faszination aus, der man sich nur schwer entziehen kann.
Guter Klang bei analogen Plattenspielern ist keine Zauberei, sondern das Resultat intensiver Detailarbeit, bei der Schwingungen und Resonanzen eines intelligent konstruierten Feder-Masse-Systems mit präziser Mechanik und Elektronik gezähmt werden. Und so sind die fünf Modelle zwischen 500 DM und 1630 DM etwas für geduldige Spezialisten, nichts für Verbraucher.
Nach wie vor gibt es Verstärker- und Tonabnehmerkombinationen, die nicht gut klingen können. Hier verhindern interne Phono-Eingangswerte mit überzogenen Kapazitäten zum Schutz vor Hochfrequenz-Einstrahlungen, dass hohe Frequenzen vom Tonabnehmer zu hören sind. Damit kann der beste Plattenspieler und ein Super-Tonabnehmersystem nicht transparent klingen. Viele Verstärkerhersteller sparen an der Qualität des Phono-Einganges – weil sie davon ausgehen, dass er unbenutzt bleibt.
Bei den Schallplattenspielern ist der Direktantrieb out. Durchgesetzt hat sich der klanglich überlegene, weil „ruhigere“ Riemenantrieb.
Ganz wichtig sind die stabile und genaue elektronische Regelung des Motores und der Drehzahlen. Sie dient auch dem schonenden Wechsel der Drehzahl per Tastendruck (und nicht durch rabiates Umlegen eines Riemens auf eine andere Antriebsstufe, leider Standard bei den meisten Modellen dieses Testfeldes).
Kein Modell unseres Testfeldes war außer mit 33 U/min und 45 U/min noch mit der 78er Drehzahl ausgestattet. Bei den Drehzahl-Messungen lagen alle Werte innerhalb der DIN-Forderungen. Herstellerungenauigkeiten, abweichender Durchmesser des Innenloches oder dessen Exzentrizität beeinflussen die Messwerte erheblich mehr als die Plattenspieler selber. Deshalb haben wir auf eine Angabe der Drehzahlwerte verzichtet.
Es ist günstig, wenn der Netztrafo außerhalb des Plattenspielers angeordnet ist, weil das Netzteil immer mit 50 Hz schwingt. Seine Vibrationen überlagern sich dem kleinen Tonabnehmersignal und verfälschen es. Weiterer Vorteil des externen Trafos: Es gibt kein magnetisches Streu- und Brummfeld im Plattenspieler (Problem beim Rega- und NAD-Modell). Brummfreie Wiedergabe mit hochwertigen, aber in diesem Punkt besonders empfindlichen Moving-Coil-Tonabnehmern ist damit sichergestellt.
Plattenspieler sollen isoliert von Schall- und sonstigen Schwingungen aufgestellt werden. Isolierend wirken Subchassis-Konstruktionen, wie bei Dual und Phonosophie.
Schwingungsdämpfung spielt auch beim Plattenteller eine große Rolle. Einige Plattenteller (etwa Pro-Ject Debut) wirken wie ein Frühstücksgong beim Anschlagen mit einem harten Gegenstand. Das ruhigste Lager eines Plattentellers findet sich im Phonosophie-Spieler. Er weist den größten Abstand zwischen Stör- und Nutzgeräusch auf.
Beim Übersprechen zwischen den Stereokanälen erreichte Dual nur kleine Werte (monohafter Klang), bei NAD und Pro-Ject Debut waren sie stark unsymmetrisch – hohe, gleich große Messwerte sind ideal.
Beim Hörtest stellten sich die schon messtechnisch erahnten Unterschiede im Nachhinein als deutlich hörbare Qualitätsmerkmale heraus. Der Testsieger Phonosophie Nr.1 spielte alle Schallplatten so unmittelbar, klar und deutlich ab, dass niemand mehr an den Preis von über 1600 DM dachte. Man möchte damit nur noch hören, nicht mehr unruhig über die Platte zappen. Wie in einem Live-Konzert ist man gespannt darauf, was noch kommt. Dieser Spieler setzt Maßstäbe. Man glaubt, Besuch von den Musikern zu haben – entsprechende Anlage und Abhörlautstärke vorausgesetzt.
Schallplatten und damit auch die Plattenspieler scharen wieder eine wachsende Fangemeinde um sich. Das war 1983 anders, als mit der Compact-Disk das digitale Zeitalter in der Unterhaltungselektronik begann. Mit den CDs konnte man deutlich hören, wie armselig der Klang vieler Plattenspieler damals war. Außerdem musste man sich als anspruchsvoller Musikhörer entweder für hohe technische Qualität oder Komfort entscheiden. Nicht ganz einfach, wenn man bedenkt, dass 1983 „Bedienungskomfort“ schon die automatische Endabschaltung eines Plattenspielers bedeutete.
Heute sind die Weichen anders gestellt: Bedienungskomfort mit Titelwahl drahtlos vom Sessel aus ist bei CD-Playern selbstverständlich. Aber auch langweilig: Da gibt es keine Herausforderung mehr, die man meistert und für die man mit besserem Klang belohnt wird.
Nach der Gewöhnung an Compact-Disks sehnt man sich wieder danach, die Schallplatte nach der halben Spielzeit umzudrehen, die Nadel zu kontrollieren und zu säubern und den Anfang des dritten Titels mit dem Tonarm genau zu treffen. Faszination Musikerleben ist auf diese Weise mit CDs nicht möglich.
Trotz Sorgen um abgeschliffene oder verbogene Abtastnadeln, Knackern und Kratzern auf dem Staubmagneten – Langspielplatte und Plattenspieler sind in Spezialistenkreisen mehr denn je angesagt. REINHARD FRANK
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