Spiele-Industrie auf der Jagd nach neuen Zielgruppen
VDI nachrichten, München, 18. 4. 08, jdb – Die Games-Branche legt ihr Schmuddel-Image ab. Vor allem Nintendo gelingt es, mit den Konsolen „Wii“ und „DS“ neue Zielgruppen für die Spielewelt zu begeistern. Von diesem Erfolg könnte auch die Konkurrenz profitieren, Hersteller und Entwickler aller Genres hoffen auf einen Wachstumsschub.
Die Rentner jubeln, die Kegel sind gefallen. Doch eine schwere Bowling-Kugel hält in der Seniorengruppe niemand in den Händen, und auch eine Bahn sucht man hier vergeblich. Stattdessen stehen die Bewohner des Altenheims vor einem Bildschirm und warten darauf, mit der Steuerung, die einer Fernbedienung ähnelt, die nächste Kugel ins Rennen zu schicken.
Mit der „Wii“-Konsole und dem dazugehörigen bewegungssensorischen Controller hat Nintendo geschafft, wovon andere Hersteller in den vergangenen Jahren nur geträumt haben. Der asiatische Anbieter erreicht seit 2006 mit den „Wii“-Sport- und Partyspielen immer neue Zielgruppen und macht das Thema Games im Massenmarkt zunehmend populär. Dabei ist nicht nur die Wii erfolgreich, auch für die Handheld-Konsole Nintendo DS gibt es immer mehr Anhänger, etwa mit „Dr. Kawashimas Gehirnjogging“. Vor allem Frauen und die so genannten „Silver Gamer“, also die Spielefans mit ergrauten Haaren, finden inzwischen über die Konsolen zu einem neuen Hobby.
Diesen Durchbruch mussten auf dem Kongress „Munich Gaming“, der Anfang April als Ableger der Medientage München in dieser Form zum ersten Mal stattfand, sogar die Konkurrenten Microsoft und Sony eingestehen. „Der Erfolg der Wii hat später positiven Einfluss auf die gesamte Branche“, erklärte Uwe Bassendowski, Managing Director bei Sony Computer Entertainment. „Da die Wii in direkter Konkurrenz zu unserer Playstation 2 steht, hilft sie uns sogar, in diesem Segment Marktanteile zu halten.“ Denn trotz der Einführung der Next Generation Box Playstation 3 hatte die PS2 im vergangenen Jahr noch den größten Marktanteil im deutschen Konsolenmarkt, vor allem Spiele wie Singstar sind bei den Fans beliebt. Je mehr Gamer den Einstieg über die Wii und die DS finden, desto größer wird der Spielemarkt insgesamt, hoffen die Unternehmen.
Schon jetzt nehmen PC und Konsolen in der Freizeit der Deutschen eine große Rolle ein. Ein Drittel (35 %) der Bundesbürger spielt laut Branchenverband Bitkom Computer- und Videospiele, bei den 14- bis 29-Jährigen sind es sogar zwei Drittel (64 %). Beliebtestes Gerät ist der PC, dahinter folgen Konsole und Handy. Immer mehr Anhänger finden zudem Online-Spiele, vor allem die so genannten Multi- player-Games, in denen die via Internet verbundenen Teilnehmer miteinander oder gegeneinander spielen.
Das Marktvolumen für Games und Geräte erreichte im vergangenen Jahr laut Ernst & Young 1,6 Mrd. €. Diese Zahl kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland im internationalen Vergleich noch deutlich hinterherhinkt.
Da kommt das Bild der älteren Wii-Fans gerade recht, denn es bringt der Branche dringend benötigte Sympathien ein. Regelrecht erleichtert resümierte denn auch eine Runde um Jugendmedienschützer Wolf-Dieter Ring während der Munich Gaming, dass sich die Diskussion um den Games-Bereich „versachlicht“ habe. Dass es nun vor allem um neue Entwicklungen und nicht mehr um die alten Vorurteile gehe. Und so wurden die Themen Suchtgefahr bei Online-Rollenspielen wie „World of Warcraft“, drohender Empathieverlust durch Gewaltspiele oder das Problem der fehlenden Alterskennzeichnungen für Online-Spiele eher am Rande diskutiert.
Fast konnte der Eindruck entstehen, der Spielemarkt bestehe vor allem aus harmlosen „Casual“ und „Serious“ Games, also gewaltlosen Spiele, die keinen großen Zeitaufwand benötigen und zum Teil sogar Weiterbildung bieten. Oder aus Strategie- und Aufbauspielen, die vor allem bei Männern von 30 bis 55 Jahren beliebt sind.
Doch die so genannten „Core“-Gamer, so waren sich die Experten in München einig, werden auch in den kommenden Jahren die wichtigste Kundschaft der Branche bleiben. In dieser Zielgruppe werden weiterhin „Shooter“, „Adventures“ und Rollenspiele auf den etablierten Konsolen, am PC und online genutzt.
Zur Freude der Nintendo-Konkurrenz, denn: „Wii spricht die unprofitabelste Zielgruppe an“, sagte Stephan Brechtmann, Director Home Entertainment bei Microsoft. „Sie kaufen die Konsole und meist nur ein einziges Spiel.“ Die Core-Gamer dagegen würden sich für ein System entscheiden, und dann viel mehr Inhalte und Zubehör anschaffen. Das bringt den Anbietern, die die Konsolen stark subventionieren, die nötigen Umsätze.
Ob sich der Schritt in den Massenmarkt weiter für Nintendo auszahlt, wird sich zeigen. In der neuen Boxengeneration hat sie die Konkurrenz mit einem Marktanteil von rund 44 % (Xbox 360: 34 %, PS3: 21 %) schon auf die Plätze verwiesen. SIMONE FASSE
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