Mechatronik-Technologien drehen an der Organisation
VDI nachrichten, Heidelberg, 1. 4. 05 – Vernetzung ist eines der großen Themen auf der Hannover Messe, vom 11. bis 15. April. Wie sehr der Wandel aber neben den Produkten auch die Organisationsstrukturen in den Unternehmen beeinflusst, zeigt das Beispiel der Mechatronik bei Heidelberger Druckmaschinen. Als Zulieferer sind zunehmend Systempartner gefragt und auch die Kunden ändern ihre Wartungsstrategien.
Leidvolle Erfahrungen mit Elektronikproblemen in der Automobilindustrie zeigen, wie schwer es selbst große Unternehmen haben, die Integration von mechatronischen Systemen zu meistern. In der Druckindustrie, wo es weniger auf Fahrspaß, sondern eher auf Produktivität und Verfügbarkeit der Anlagen ankommt, formuliert es Manfred Jurkewitz, Leiter der Forschung und Entwicklung bei Heidelberger Druckmaschinen AG (Heidelberg) so: „Trotz Elektronikintegration sind unsere Zuverlässigkeitsziele konstant geblieben. Das ist die Herausforderung für unsere Entwickler.“ Was als Integration von Elektronik und Software in mechanische Systeme, kurz als Mechatronik bezeichnet wird, greift dabei tief in die Organisation von Entwicklungs- und Produktionsunternehmen ein, wie das Beispiel des Druckmaschinenherstellers zeigt.
Entwicklungsleiter Jurkewitz sieht es als wichtiges Ziel, die zunehmende Komplexität der Systeme zu kapseln: „Nach wie vor soll beim Anwender ein Drucker an der Maschine stehen, weil er am besten das Produktionsergebnis beurteilen kann. Wenn dazu ein Mechatroniker gebraucht wird, dann haben wir etwas falsch gemacht.“
Steuerungstechnik ist dabei neben der Kernkompetenz im Maschinenbau für das Heidelberger Unternehmen ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. „Mit dem Hintergrund eine kosten-, anwendungs- und zuverlässigkeitsoptimierte Lösung zu bekommen, entwickeln wir die Steuerungen für unsere Bogendruckmaschinen selbst“, so Jurkewitz. Darin stecke viel Prozess-Know-how, z. B. über die richtige Bogenführung des frisch bedruckten Papiers und weitere entscheidende Parameter.
Mittels dynamischer Tragluft werden die Papierbögen dabei berührungslos durch die Maschine transportiert. Optimal reagierende Positioniersysteme sind hier wichtig, damit das Papier bei jeder Geschwindigkeit weder Kontakt zur Maschine bekommt, noch sich überschlägt und dadurch beschädigt wird. Dazu werden teilweise die Luftdüsen einzeln geregelt. Vorteile habe diese Technik insbesondere beim Einstellen und Einrichten der Maschine. „Was früher beim Vier- oder Fünffarbdruck über eine Stunde dauerte, erfolgt nun durch die Regelung in wenigen Minuten“, erklärt der Entwicklungsleiter.
Das Beispiel lässt ahnen, wie intensiv sich die Branche mit dem Thema Mechatronik bereits beschäftigt hat. Nicht umsonst gehört sie neben der Textil- und Verpackungsmaschinenindustrie sowie der Automobilindustrie zu den Vorreitern dieser Technologieentwicklung. Manfred Jurkewitz erinnert sich an die Anfänge: „Früher haben wir versucht, einem Entwickler das Wissen für das komplette System zu vermitteln. Davon sind wir abgekommen.“ Heute konzentriere sich der Maschinenbauer auf seine Kernkompetenz und arbeitet eng mit den Automationsspezialisten zusammen. Für die mechatronischen Lösungen wurde die Abteilung „Elektromechanik“ geschaffen, die für die Integration zuständig ist. Der Leiter dieser Abteilung, Peter Theobald Blaser, beschreibt deren Funktion: „Wir führen ständig konstruktive Diskussionen, welche Lösung aus Mechanik, Elektronik und Software im Gesamtsystem die Beste ist.“ Entwicklungsleiter Jurkewitz umreißt dazu die Anforderungen an die Mitarbeiter: „Der Ingenieur braucht sowohl Basis-als auch viel Spezialwissen. Der Projektleiter muss dagegen die Mechatronikentwicklung vorantreiben und coachen.“ Seine Philosophie lautet dabei, „die Teams nicht zu sehr zu reglementieren.“ „Wichtig ist, dass das Management die Mechatronikstrategie unterstützt“, so der Entwicklungschef.
Die Veränderungen in der Entwicklungsstrategie wirken sich zudem stark auf Beziehungen zu den Komponenten und Systemlieferanten des Druckmaschinenherstellers aus. Peter Blaser stellt dazu fest: „Die Zusammenarbeit mit Zulieferern ist uns wichtiger, als über Berater zu Produkten zu kommen.“ Und ergänzt: „Ein enger längerfristiger Kontakt zum Lieferanten ist uns dabei zunehmend wichtig, weil auch hier die ständige Produktoptimierung gefordert wird.“
Das kann Xaver Walter als Großkundenbetreuer von Festo mit Hauptsitz in Esslingen bestätigen: „Auch Spezialisten vom Zulieferer werden dabei einbezogen.“ Der Automatisierungsspezialist mit Wurzeln in der Pneumatik beliefert Heidelberg beispielsweise mit ca. 130 000 Ventilen pro Jahr und wird als strategischer Partner in Systementwicklungen angesehen.
Die Anforderungen sind dabei hoch: „Wir müssen Lieferanten suchen, die entsprechendes Systemverständnis haben und Systemverantwortung dafür übernehmen“, formuliert Jurkewitz. Systemlieferanten seien hier gefragt und keine „verlängerte Werkbank“. Rund 40 % bis 50 % der etwa 100 Hauptlieferanten verfolgen dabei bereits heute schon den Systemgedanken. Er fügt hinzu: „Wir sind immer aufs Neue gefordert, mit unseren Lieferanten die physikalischen Grenzen neuer Lösungen gemeinsam auszuloten. Dabei ist ein gutes Vertrauensverhältnis zwingend erforderlich, was sich in einer begrenzten Anzahl an solchen Lieferanten ausdrückt.“
Die Partner sind sich dabei der Sensibilität der Zusammenarbeit durchaus bewusst. Festos Großkundenberater Walter setzt dabei auf Kontinuität: „Wir stellen ein festes Team an Entwicklern für solche Kunden ab. Diese führen auch die ständige Weiterentwicklung durch.“ Das ist auch Peter Blaser sehr wichtig: „Ein fester Großkundenbetreuer mit dem entsprechenden Vertrauensverhältnis unterstützt uns bei unserer kontinuierlichen gemeinsamen Weiterentwicklung.“ Entwicklungsleiter Jurkewitz schwört auf individuelle Vereinbarungen in Bezug auf Exklusivität und Beteiligung an Entwicklungskosten. „Es gibt aber auch gemeinsame Entwicklungen, wie miniaturisierte Ventilinseln, die Festo auch am breiten Markt anbieten kann“, erklärt er.
Für das fertige Produkt, die Druckmaschine, bedeutet Mechatronik aber auch einen Wandel bei Wartung und Instandhaltung. Jurkewitz macht hierzu deutlich: „Sicher ist ein Industrie-PC gegenüber der reinen Mechanik wartungsanfälliger, hier gilt es die Qualität noch zu verbessern. Die Zuverlässigkeit der Anlage gewährleisten wir aber bereits heute durch kontinuierlichen Service.“
Peter Blaser betrachtet das Thema aus Anwendersicht: „Es gibt mittlerweile ein Umdenken bei den Druckern, die traditionell nicht gern den Service rufen.“ Im Anlagenbau sei es dagegen bereits üblich, dass jedes halbe Jahr ein Service-Check durchgeführt wird.
„Durch die Automatisierungstechnik haben wir hier zunehmend die Möglichkeit per ,remote service“ eine Fernwartung durchzuführen, mit den entsprechenden Zeit- und Kosteneinsparungen für beide Seiten“, bewertet Mechatronikspezialist Blaser die Chancen der neuen Technik. Zudem könne heute der Drucker an der Maschine weniger falsch machen, weil die meisten Abläufe automatisiert sind.
Für Entwicklungsleiter Jurkewiz steckt noch einiges Potenzial in der Mechatronik, das noch wesentliche Verbesserungen für die Prozesskette in der Druckbranche bringen wird. Grundsätzlich sei dabei mit kürzeren Produktlebenszyklen zu rechnen, denn: „Der Nutzungsgrad der Maschinen steigt, die Druckmaschinen werden deutlich stärker ausgelastet als in der Vergangenheit.In der Kombination mit dem Bedarf für Produktivitätssteigerung verkürzen sich die Zeiträume bis zur Neuinvestitionsentscheidung.“ MARTIN CIUPEK
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