EU-Vorstoß zur bleifreien Elektronik in USA umstritten
Zehn Jahre ist es her, da waren die USA unter den Vorreitern der Verbannung des giftigen Schwermetalls Blei als Lötmittel in der Elektronikfertigung. Die EU will das Material ab 2006 aus der Fertigung verbannen, doch jetzt regt sich Widerstand in den USA, werden neue Tests zur Gefährlichkeit von Blei gefordert.
Aus Kraftstoffen, Haushaltfarben und Wasserleitungen ist Blei in den USA längst verschwunden. Deshalb wurde erwartet, dass die Lötmassen aus Blei-Zinn-Legierungen (63Pb/37Sn) ebenfalls schnell durch alternative Materialien ersetzt werden würden. Doch bislang ist daraus nicht viel geworden. Plötzlich aber vernimmt man auch in den USA das Trommeln der Umweltschützer. Die Japaner sind schon einen Schritt weiter: Viele Gerätehersteller löten ihre „grünen“ Consumergeräte freiwillig und marketinggerecht schon heute ohne Blei – in Erwartung strikterer Gesetze rund um den Globus.
In Europa versucht die EU-Kommission ihre lange konzipierten Direktiven WEEE (Waste Electrical and Electronic Equipment) und ROHS (Restriction of Hazardous Substances) zu verabschieden. Sie formulieren zahlreiche Auflagen beim Entsorgen von Elektrogeräten und beim Einsatz von Blei in elektronischen Geräten. Am 15. Mai hielt das Europäische Parlament sein erstes Votum zum Thema „Bleifrei“ und zog das Einführungsdatum um zwei Jahre vor: auf den 1. Januar 2006. Ein mutiger, aber terminlich recht aggressiver Beschluss.
Hauptargument der Skeptiker ist, dass der Übergang zur bleifreien Elektronikmontage der Industrie erhebliche Kosten aufbürden würde – wegen der forschungsaufwendigen Änderungen der Prozesstechnik. Die anvisierten bleifreien Ersatzlote schmelzen bei höheren Verarbeitungstemperaturen und gefährden damit die winzigen Bauelemente und Substrate. Das bringt Risiken in gut beherrschte, preisgünstige Prozesse. Eine ungetestete Metallurgie und eine rigide Bürokratie zu ihrer umweltgerechten Entsorgung – so sagt die Industrie – sei nur eine Hintertür für neue Auflagen und Abgaben, um sie ihrer Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Anbietern zu berauben, die schon heute unter strikteren Umweltauflagen produzieren.
Deshalb ist denkbar, dass in den USA eine neue Kampagne anläuft, die „Bleifrei“ zur unfairen Handelsbarriere erklärt. Ironischer Weise könnte die US-Industrie diesmal ihren europäischen Partnern sogar helfen, die drängende Terminlage der EU-Direktiven pragmatisch zu entzerren. Schon jetzt sind Ausnahmen in WEEE und ROHS eingebaut, vor allem für existierende Produktgenerationen. Auch hat der US-Industrieverband AEA die EU-Kommission aufgefordert, die Risiken von Blei und anderen Schwermetallen „wissenschaftlich“ zu belegen. In anderen Worten: neue Tests.
Ähnlicher Ärger kochte nur zwei Tage nach dem EU-Votum beim Jahrestreffen des Welt-Halbleiterverbandes „World Semiconductor Council“ in Japan hoch. Vertreter nationaler Halbleiterverbände nannten die EU-Direktive ein „Desaster“ und bezichtigten zudem die europäischen Parlamentarier der Unfähigkeit, die wirtschaftlichen Verluste der bleifreien Elektronik abzuschätzen.
In den USA stößt „Bleifrei“ also auf Widerstand. Die Leiterplattenhersteller haben über ihren Verband IPC die Washingtoner Umweltbehörde EPA verklagt, weil diese auch kleinen Lohnbestückern die detaillierte Dokumentation ihrer Entsorgungsprozeduren vorschreibt, wenn sie jährlich mehr als 45 kg Blei verbrauchen. Das unterwirft die Kleinbetriebe laut IPC einer neuen, kostspieligen Bürokratie. Auch hier wird die wissenschaftliche Legitimation der Blei-Regulierung bezweifelt.
Besonders die Kategorisierung der Schwermetalle Blei, Quecksilber und Cadmium durch die Clinton-Ära-EPA als „dauerhaft, bio-akkumulativ und toxisch“ wird vom IPC als „wissenschaftlich unhaltbar“ attackiert. Bleibt abzuwarten, ob die deutlich weniger umweltfreundliche Bush-Administration diese EPA-Vorschrift durchsetzen wird.
Unbeeindruckt von der laufenden Kontroverse haben einige der mehr umweltbewussten Neu-England-Staaten wie Massachusetts und Vermont ihre eigene Gesetzgebung lanciert. Sie verlangen die Kennzeichnung von elektronischen Geräten mit Schwermetallgehalt und deren Rücknahme durch die Händler am Ende ihrer Lebensdauer. Andere US-Bundesstaaten und große Städte sind dabei, spezifische Entsorgungs- und Recycling-Vorschriften zu erlassen.
Eins ist klar: Den Geräteherstellern bietet sich derzeit kein einfacher Ersatz für das bequeme und stabile Löten mit bleihaltigen Loten. Lange Testreihen und Experimente in Industriefirmen und Forschungskonsortien haben das belegt. Doch es gibt auch kein Zurück vom Übergang in die bleifreie Elektronik. Toxidität und Abfallentsorgung sind zwingende Gründe, besonders in den dicht besiedelten Stadtlandschaften Europas. Deswegen müssen die Schwermetalle aus der Elektronik verschwinden. So bald wie möglich – und je eher, desto besser. Andernfalls könnten umweltbewusste Konsumenten das zu einer Wettbewerbsfrage machen. WERNER SCHULZ
Stand der Technik
ZVEI-Broschüre
Schon 1999 hat der ZVEI einen ersten Leitfaden zum bleifreien Löten vorgelegt. Anfang 2000 wurde dann die Task-Force „Bleisubstitution“ gegründet, die gerade einen Bericht „Stand der Anlagentechnik“ fertig gestellt hat. Dieser befindet sich derzeit im Druck, eine Zusammenfassung ist im Internet abrufbar. jdb
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