Chips aus Silicon Saxonia gehören zur Weltspitze
In und um Dresden ist eine lebhafte Mikroelektronik-Industrie mit rund 18 000 Arbeitsplätzen entstanden.
Sachsens „König Kurt“, Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, hieße besser Hans. Denn ein bisschen geht es ihm wie dem Hans im Glück im Märchen: Vieles, was er anpackt, wird zu Gold oder besser zu Silizium. Wenn heute Infineon-Technologies am Standort Dresden Speicherchips zu weltmarktfähigen Kosten produziert, wenn an der Elbe die erste Pilotfertigung für 300-mm-Wafer entsteht, wenn AMD mit K7-Chips aus „Silicon Saxonia“ Erzrivalen Intel das Fürchten lehrt, dann ist das auch ein Verdienst der Standortpolitik der sächsischen Landesregierung.
Weder Infineon- noch AMD-Verantwortliche bestreiten, dass die Subventionen des Freistaates mit zu ihrer Entscheidung beigetragen haben, doch versichern sie ebenso glaubhaft, dass diese keinesfalls die allein ausschlaggebenden Gründe waren. Um diese zu finden, muss man zurückblicken in die letzten Jahre des Honnecker-Regimes, als die DDR in ihrem Prestige-Betrieb VEB Kombinat Mikroelektronik in Frankfurt/Oder, Dresden oder Erfurt an die Entwicklung im Westen anzuknüpfen suchte.
Müßig die Frage, ob der 1-Mbit-Chip „Made in GDR“ nun – wie westliche Spötter behaupteten – der größte begehbare Speicherchip, oder ob der 32-Mbit-Prozessor aus ostdeutscher Entwicklung nur abgekupfert war. Tatsache ist, dass es in den späteren neuen Bundesländern eine Fülle gut ausgebildeter Mikroelektronik-Spezialisten gab und gibt.
Das zeigt sich auch daran, dass den Milliardeninvestitionen von Siemens/Infineon, Motorola und AMD längst weitere gefolgt sind. Die Halbleiterindustrie beschäftigt in und um Dresden inklusive aller Zulieferer heute bereits nach Schätzungen rund 18 000 Menschen. Und die Investitionen gehen weiter: Erst im Mai hat Infineon-Vorstandschef Ulrich Schumacher den Grundstein für den Ausbau des Speicherwerks in Dresden Klotzsche gelegt. Zum guten Umfeld des „Silicon Saxonia“ gehört auch eine lebhafte Forschungs- und Universitäts-Landschaft mit den Unis in Dresden und Chemnitz sowie Instituten der Fraunhofer- und Max-Planck-Gesellschaft.
Auch der Rohstoff der Chipindustrie kommt traditionell aus Sachsen. Einst vom VEB Spurenmetalle aus Freiberg, heute von den daraus entstandenen Firmen Wacker-Siltronic mit einer brandneuen Fertigung von 200-mm-Wafern und nach eigenen Angaben 15 % Weltmarktanteil, sowie der in israelischen Händen befindlichen Freiberger Compound Materials FCM, die Galliumarsenid-Wafer für den Weltmarkt produziert.
Doch was ist mit den anderen Standorten des ehemaligen VEB Mikrolelektronik? In Erfurt wurde ein Teil des alten Kombinats schon früh privatisiert, als nach zähen Verhandlungen mit Hilfe der US-Firma LSI Logic der Halbleiterhersteller Thesys ins Leben gerufen wurde. Nach mehrfachen Wechseln der Hauptbeteiligten – kurze Zeit gehörte die Thesys fast ganz dem Land Thüringen – ist das Unternehmen seit Juli 1999 Teil des belgischen Chip-Konzerns Melexis.
Ebenfalls durch rauhe Fahrwasser segelte lange das Zentrum Mikroelektronik Dresden, das sich aber im Publicity-Schatten der Infineon- und AMD-Investitionen gemausert hat. Seit 1998 – ein Jahr nachdem erstmals Gewinn verbucht wurde – gehört das ZMD zum Automobilzulieferer Sachsenring. In 1999 betrug der Umsatz fast 66 Mio. DM, in diesem Jahr will der Chiphersteller um 54 % auf über 100 Mio. DM zulegen. Ehrgeizige Pläne hat das ZMD auch für die weitere Zukunft: Bis 2003 soll der Umsatz noch einmal um 200 % steigen. Sachsenring will seine 82 %ige Tochter in naher Zukunft an den neuen Markt bringen.
Auch in Frankfurt an der Oder hat man nach der Wende weiter auf Chips gesetzt. Allerdings nicht ganz so erfolgreich wie in Dresden. Mit fast 8000 Beschäftigten war die Stadt vor der Wende einer der wichtigsten Mikroelektronik-Standorte der DDR. Die Nachfolgefirma System Microelectronic GmbH ging 1997 in Konkurs, die daraus hervorgegangene Silicium Integration GmbH stellte Anfang des Jahres Insolvenzantrag, nachdem die EU Landes- und Treuhand-Beihilfen in Höhe von 140 Mio. DM zurückgefordert hatte. Im Juli gab die Stadtverordnetenversammlung nun grünes Licht für eine neue Chipfabrik, in der ein nicht genannter Investor 1,5 Mrd. DM investieren will. Entstehen sollen 1000 Arbeitsplätze.
Erfolgreicher ist das Institut für Halbleiterphysik IHP, ein Institut der Leibnitz Wissensgemeinschaft, das in Kooperation mit dem Berliner Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) ein Magnet für die Ansiedlung weiterer Firmen sein soll. Industrie-Partnerschaften unterhält das IHP unter anderem mit dem US-Konzern Motorola, der in Dresden Partner von Infineon ist.
Es ist sicher nicht übertrieben zu sagen, dass die Stärke der neuen Bundesländer in Sachen Mikroelektronik mit dazu beigetragen hat, dass eine Frage heute ernsthaft nicht mehr gestellt wird: ob es einer europäischen Chip-Produktion gelingen kann, im Weltmaßstab konkurrenzfähig zu sein. Noch 1990 wurde das von mehr als einem Experten bezweifelt. Heute ist nicht zuletzt am Standort Dresden eine der Zentren des technologischen Halbleiter-Fortschritts zu finden – und eben nicht im Silicon-Valley oder in Japan. JENS D. BILLERBECK
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