Chipindustrie vor neuem „Schweinezyklus“
VDI nachrichten, Los Angeles, 18. 6. 04 -Die US-Chipindustrie ist mal wieder obenauf. Beim traditionellen Halbleiter-Ausblick am 9. Juni korrigierte die Semiconductor Industry Association (SIA) ihre Prognosen nach oben. Doch der nächste Abschwung ist nur noch zwei Jahre entfernt.
Beim traditionellen Mittjahres-Ausblick der Semiconductor Industriy Association (SIA) wurden alle bisherigen kaum zaghaften Prognosen noch einmal höher gehängt: Um knapp 29 % soll nun 2004 das Halbleiter-Verkaufsvolumen steigen, auf weltweit 214 Mrd. $. Auch im nächsten Jahr gibt es laut SIA noch einen kräftigen Zuwachs von 4,2 %. Dann, 2006, soll ein kleines Minus von 0,6 % kommen, eher eine Stagnation. Und schon 2007 soll der Chipboom mit robustem Wachstum von 11,7 % weiter rollen, auf ein Jahres-Hoch von 250 Mrd. $.
Entsprechend siegessicher paradierte SIA-Präsident George Scalise vor seinen Branchenkollegen: „Wir erwarten, dass der weltweite Industrieabsatz die letzte Rekordmarke ein Jahr früher als vorhergesagt überholt. Die mittleren Wachstumsraten liegen damit wieder im gewohnten Ausmaß der traditionsbewussten Chipmacher. „Ein sehr gesundes Wachstum für eine 200-Mrd.-$-Industrie.“
Das inspirierende Zahlenwerk der SIA spiegelt sich in der Kapazitätsauslastung der bestehenden wie der in diesem Jahr zu installierenden Waferfabs. Bummelten die Fabs Ende 2001 mit einem Auslastungsgrad von gerade mal 63 % lustlos vor sich hin, laufen sie seit dem ersten Quartal 2004 wieder auf vollen Touren. Insbesondere die fernöstlichen Auftragsfertiger oder Silicon-Foundries nähern sich mit 99 % Auslastung gefährlich dem roten Überhitzungsbereich.
So zufrieden wie die Gesichter der Chipstrategen leuchten, so unbehaglich wird es den Fab-Managern angesichts ihrer sensitiven Zulieferketten und deren geostrategischen Labilitäten. Sie manifestieren sich derzeit allerdings zunächst in energiebedingt steigenden Rohstoffpreisen. Zweitens aber drücken ihnen die hohen Investitionen in neue Fertigungskapazitäten und neue Wafertechnologien auf den Magen. Sie sind, verglichen mit den weltweiten kurzwelligen Nachfrage-Swings für die den Halbleiterumsatz tragenden Consumerprodukte, immer noch recht langfristig angelegt.
Das hat die Infrastruktur der Industrie und ihre Organisationsmodelle wieder einmal nachhaltig verändert. Bis ins Boomjahr 2000, so Jon Cassell vom US-Marktforscher iSuppli, dominierten immer noch die traditionellen IDMs (integrated device manufacturer) mit vertikal strukturierter Eigenfertigung. Deren Effizienz ergab sich aus der Massenfertigung.
Dann, bei rezessionsbedingt sinkenden Stückzahlen und Preisen, lief dieses Modell rasant aus der Mode. Bis 2003 schlossen mehr als 60 dieser traditionellen Chipfertigungen, und die IDMs senkten ihre Investitionen und verließen sich ihrerseits verstärkt auf Foundries. Fazit: Slow-down auch bei den ebenso innovationstragenden Herstellern von Fertigungsequipment. Sie stehen unter der gleichen zyklischen Dynamik aus Absatz und Investition in die Fertigung.
Hinter der derzeitigen Fröhlichkeit der Chipstrategen lauern aber schon wieder die zyklischen Gefahren für die Profitabilität. Die neuen Fabkapazitäten, 2004 und 2005 weltweit vor allem in Asien installiert, so Cassell, werden die Chipmacher von der gegenwärtigen Unterversorgung (mit deftig gestiegenen Preisen) in weniger als zwei Jahren in die Überversorung treiben. Resultat: der von der SIA bereits klar voraus gesehene „Absatzstau“ im Jahr 2006. Wobei man bei iSuppli sogar noch ein geringfügiges Wachstum von 1,7 % prognostiziert.
Investitionen in neue Waferfabs werden dieses Jahr um knapp 35 % steigen: auf 45 Mrd. $. Das freut und belebt auch mal wieder die weltweit von den Chipmachern abhängige Equipment-Industrie. Die war seit 2002 (Umsatzvolumen: 31 Mrd. $) regelrecht von der Schwindsucht befallen. Sie musste gleichzeitig aber auf Geheiß ihrer Abnehmer innovativ auf der Höhe sein und ihrerseits heftig in neue Prozesse (feinerer Strukturgeometrien und 300-mm-Wafer) investieren. Alles das, um den gegenwärtigen Chipboom nicht vorzeitig abzuwürgen.
Da gilt es nun die goldenen Zeiten zu nutzen, denn schon 2005 werden die Investitionen in die Fabs nur mehr um 6,2 % steigen. Und sie werden schon 2006 in die nächste Talsohle rollen. Dann, 2007, soll es aber wieder wie gewohnt nach oben gehen. Bei so viel Auf und Ab muss man sich um die Zukunft der Chips wohl keine Sorgen machen. WERNER SCHULZ
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