Serie zum Jahr der Chemie (3): Trotz vieler Alternativen ist noch kein Ersatz für Öl gefunden
Der Westen hat sich nie aus der Abhängigkeit vom Öl befreit. Muss er jetzt dafür bezahlen? Besonders die Autoindustrie steht unter Druck.
Auf der Suche nach Alternativen zum Öl gehen Konzerne und Institute zuweilen ungewöhnliche Wege.
Öle: von Oleum abgeleitete Sammelbezeichnung für wasserunlösliche, bei Raumtemperatur flüssige organische Verbindungen mit relativ niedrigem Dampfdruck – so das Chemielexikon Römpp. Eine trockene Definition für Flüssigkeiten, um die Kriege geführt werden, die Salate schmackhaft machen und Maschinen schmieren.
Mit einem Anteil von 40 % ist Erdöl heute vor Kohle und Erdgas (jeweils rund 25 %) die weltweit wichtigste Energiequelle. Nicht auszudenken, welchen Schaden eine Störung des Nachschubs anrichten würde. Schon vor zwei Jahren hat Karl Hiller, Ölfachmann bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover, prognostiziert: „Trouble lies ahead“ – es wird Ärger geben.
Laut Auskunft von Wissenschaftlern, die im Auftrag der Autokonzerne nach Alternativen zum Öl forschen, ist besonders der „Leidensdruck“ der Automanager bereits „viel größer, als öffentlich wahrgenommen wird“. Ihnen macht zu schaffen, dass Mineralöl, obwohl zunehmend knapp, nach wie vor so billig und praktisch ist, dass es bisher „keine ernsthafte Alternative gibt im Transportbereich“, wie Robert Priddle, Chef der Internationalen Energie-Agentur, sagt.
Otto- und Dieselmotoren verfeuern in Deutschland etwa 55 Mio. t Kraftstoff. Dabei ist das Produkt, das aus den Zapfsäulen strömt, fast zu schade zum Verbrennen. Der Aufwand, der getrieben werden muss, um aus dem schwarzen Gold Kraftstoff, Heizöl, Flugzeugkraftstoffe, Schmierstoffe und Bitumen herzustellen, ist enorm. Erst wird destilliert und je nach der Qualität des Rohöls erhalten die Raffinerien mehr Benzin oder mehr Bitumen.
Entsorgungstechniker der Fachhochschule Gießen-Friedberg stellen in ihren Laboren Rohöl im Schnellverfahren aus Tiermehl und Klärschlamm her. Sie erhitzen die organischen Abfälle auf etwa 400 °C – ohne Druck und vor allem ohne Sauerstoff. „Das Produkt entspricht etwa gefördertem Rohöl aus der Nordsee“, vergleicht der wissenschaftliche Mitarbeiter Andreas Frank.
Gefördert wird das Projekt von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt: Eine Pilotanlage im bayrischen Füssen ist bereits in der Entwicklungsphase. Das Verfahren testet eine Kläranlage, die ihren Klärschlamm bereits mit Solarenergie vortrocknet. Später wollen die Wissenschaftler dann auch Tiermehl im großen Maßstab in das schwarzes Gold umwandeln.
Einer Tonne kostenpflichtigem Abfall entlocken die Gießener etwa 250 l Rohöl. Bei 1 Mio. t Tiermehl und 3 Mio. t Klärschlamm, die in Deutschland jährlich anfallen, könnte so manches Auto Sprit aus Abfallöl tanken. Noch habe sich jedoch keine Raffinerie für das Öl aus Gießen interessiert, sagt Frank. Und auch das Laboröl muss wie Rohöl aus der Erde destilliert und aufbereitet werden. Ohne diese Prozesse verwenden es die Forscher als Stützfeuerung für Klärschlammverbrennungsanlagen.
Aber auch ohne Sprit aus Tiermehl tut sich etwas an Deutschlands Zapfsäulen. Aus einigen sprudelt Biodiesel und das Verbraucherschutzministerium fördert das „100 Traktoren-Demonstrationsprojekt“, bei dem Schlepper ihre Rapsöltauglichkeit unter Beweis stellen. Statt das Fett aus Raps in seine Bestandteile zu zerlegen und mit Methanol zu Rapsmethylester – eben dem Biodiesel – umzubauen, tanken die Landwirte reines Rapsöl. „Die Idee dahinter sind regionale Kreisläufe“, erzählt Volker Wichmann vom Lehrstuhl für Kolbenmaschinen und Verbrennungsmotoren der Universität Rostock. „Der Bauer baut den Raps für seinen Traktor selber an.“ Und verarbeitet ihn nach Möglichkeit in der hofeigenen Mühle zu seinem eigenen Sprit.
Und die Hydraulik des Traktors wird am besten auch gleich mit biogenen Schmierstoffen gefettet – denn die haben sich als Hochleistungsschmiermittel bereits etabliert. In den letzten zwei Jahren wurden etwa 4000 Industriemaschinen mit dem Markteinführungsprogramm des Ministeriums auf umweltverträgliche Schmierstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen umgerüstet. Die Palette reicht von Baumaschinen über Windkraftanlagen bis zur Kettensäge des Waldarbeiters. Allerdings verläuft die Umstellung nicht immer ganz problemlos: In Österreich haben ausgewilderte Braunbären ihre Leidenschaft für das Motorsägeöl aus Raps entdeckt. Sie knacken die Ölkanister und vergreifen sich auch schon einmal an einer zurückgelassenen Säge.
Bei aller Forschung an Alternativen werden pflanzliche Öle aber „nie das Energieproblem lösen“, ist Professor Wulf Diepenbrock vom Institut für Acker- und Pflanzenbau der Universität Halle-Wittenberg überzeugt. Das drängt sich schon allein bei einem Blick auf die Landwirtschaft auf. Etwa 12 Mio. ha Ackerfläche stehen in Deutschland zur Verfügung. Davon wächst auf 1 Mio. ha Raps. Zum Vergleich: Weizen ist mit 2,7 Mio. ha die Hauptkultur. „Es kann immer nur eine Nischenlösung sein“, erklärt er.
„Auch 2003 wird der Absatz von Bio-Motorenölen zwar etwas wachsen, der Gesamtabsatz wird aber unter 1000 Tonnen liegen“, sagt Rolf Luther von der Mannheimer Fuchs Petrolub AG. „Besser sieht die Gesamtsituation aus: Auf alle Schmierstoffe gerechnet haben die unweltverträglichen Produkte einen Marktanteil von vier bis fünf Prozent erreicht.“ Das sind immerhin 40 000 t Hydrauliköle, Getriebeöle und Lagerfette, die nicht aus Mineralöl gewonnen werden.
Panikmache wegen vermeintlich zur Neige gehender Ölreserven hält der hiesige Mineralölwirtschaftsverband für unbegründet: Tatsächlich lagern in ölhaltigem Sand oder Schiefer noch gewaltige Energiereserven – und zwar vor allem außerhalb der nahöstlichen Krisenregionen, in Nord- und Südamerika. Vor uns lägen gute Zeiten, das „zweite Ölzeitalter“ beginne erst 2020, lautet die frohe Botschaft des Verbands.
Abwarten. Nichtkonventionelles Öl sei „so ähnlich wie Braunkohle“, sagen Energieforscher der Ludwig-Bölkow Systemtechnik GmbH. Um den begehrten Stoff aus dem Gestein herauszulösen, sei ein enormer Energieeinsatz nötig – der Ausstoß von Kohlendioxid würde sich verdoppeln oder gar verdreifachen. Für die schon heute wegen ihres Beitrags zur Erderwärmung umstrittene Autoindustrie seien solche Verheißungen deshalb „kein Heilsversprechen, sondern ein Katastrophenszenario“. JO SCHILLING/eb
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