Schrittmacher zwischen Labor und Produktion
VDI nachrichten, Bonn, 5. 9. 08, ws – Der kurze und schnelle Weg von der Entdeckung oder Erfindung zur marktgängigen Innovation ist das Erfolgsgeheimnis der Hightech-Industrie. Deshalb haben Verfahrensingenieure eine Schlüsselfunktion und beste Berufsaussichten.
Es begann mit Rohrleitungen und Behältern, um etwa aus Erdöl Benzin zu gewinnen. Inzwischen sind große Raffinerien ein Hauptschauplatz im Zusammenspiel der Ingenieure für chemische Umwandlungsprozesse und den dabei unentbehrlichen Kollegen vom Maschinen- und Anlagenbau.
Die Synergie spiegelt sich auch im Namen der traditionsreichen, auf das Jahr 1926 zurückgehenden „Deutschen Gesellschaft für chemisches Apparatewesen“ (Dechema). Seither sind gerade im Energiesektor neue Herausforderungen an die Verfahrenstechnik mit dem Schwerpunkt Chemie hinzugekommen: Wärmegewinnung aus Biogasanlagen etwa oder der Abfallwirtschaft (Kunststoff), Kraftstoff aus der Landwirtschaft (Bioethanol), Strom demnächst aus der Brennstoffzelle.
Wer seinen künftigen Arbeitsplatz in dem weiten und vielfältigen Gebiet sucht, kann sich laut amtlichem Hochschulkompass darauf bundesweit an rund 30 Universitäten oder Fachhochschulen im Vollzeitstudium vorbereiten. Auch ein Doppelabschluss zum Chemikanten, also in einem Ausbildungsberuf, und gleichzeitig zum akademischen Bachelor, ist möglich, etwa an der FH Niederrhein in Krefeld und ihrem Industriepartner Ineos in Köln.
In einzelnen Bundesländern wie Baden-Württemberg bieten auch Berufsakademien eine duale, berufspraktische wie akademische Qualifizierung in chemischer Verfahrenstechnik.
Ingenieure mit Expertise für die Prozesssteuerung bei der chemischen Stoffumwandlung brauchen sich um einen Arbeitsplatz keine Sorgen zu machen. Denn Deutschland ist nach den USA und Japan der weltweit drittgrößte Produktionsstandort der chemischen Industrie. Namentlich Nordrhein-Westfalen hat nicht nur das größte Studienangebot in ganz Europa, sondern zugleich mindestens fünf internationale Chemie-Unternehmen als Arbeitgeber: Bayer, Cognis, Degussa, Henkel und Lanxess.
Der jüngste und besonders vielversprechende Zweig von Forschung, Lehre und Innovation in der Verfahrenstechnik ist die Biotechnologie im Schnittpunkt von Ingenieurkunst, Chemie und Biologie. Bezeichnend für den neuen Schwerpunkt ist die „Fakultät für Bio- und Chemie-Ingenieurwesen“ an der Technischen Universität Dortmund.
Daneben gibt es an der Universität Erlangen-Nürnberg ein Institut mit umgekehrtem Namen.
Die größere Dortmunder Fakultät umfasst Lehrstühle von der Anlagen- und Prozessteuerung über Biomaterialien und Kunststoffwissenschaften bis zur Mikrobiologie und Thermodynamik. „In unserer Ausbildung spiegelt sich der Griff der Chemie-Industrie nach der Biotechnologie“, erklärt Rolf Wichmann, Prodekan für Lehre und Studium. „Unsere Absolventen haben gelernt, aus den Ergebnissen in Laborprozessen industrielle Produktionsverfahren zu generieren, zu steuern und zu überwachen.“ Sie sind also die Schrittmacher von der Entdeckung oder Erfindung zur verkaufbaren Innovation, insoweit die Seele des Geschäfts.
Dabei wird, so Wichmann, vor allem die industrielle Mikrobiologie oder „weiße“ Biotechnologie zur Trumpfkarte im Innovationswettbewerb. Dabei geht es etwa um Waschmittel, die das schmutzige Hemd schon bei 40 °C in der Maschine säubern können. Das machen Enzyme, Mikroorganismen möglich, die den Energieeinsatz bei der Reinigung vermindern.
Aus der gleichen Branche stammt Zusatzfutter mit Aminosäuren, wodurch das Haustier gesund und kräftig bleibt. Ein weiterer Schlüsselbegriff des neuen Arbeitsmarktes heißt Polylactid (PLA), ein Biokunststoff, beispielsweise für Verpackungen, der anders als die herkömmliche Plastiktüte nicht erdölabhängig ist und als Abfall in Wochenfrist verwesen kann.
Ebenso können sich PLA-Implantate im menschlichen Körper von selbst abbauen: Eine Knochenplatte oder eine Schraube aus PLA löst sich synchron mit fortschreitender Heilung eines Knochenbruchs auf, muss also nicht mehr in einer Zweitoperation entfernt werden. Verfahrenstechniker werden also zu Wegbereitern moderner medizinischer Versorgung.
Der Anteil der weißen Biotechnologie am Weltumsatz der Chemie steigt nach einer Studie des Beratungsunternehmens McKinsey von 5 % auf 20 % bis Ende dieses Jahrzehnts. Die Bundesregierung unterstützt diese Entwicklung im Rahmen ihrer neuen „Hightech-Strategie“ mit 60 Mio. €. Chemie-Ingenieuren winkt offenbar eine goldene Zukunft.
HERMANN HORSTKOTTE
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