Biotechnologie 26.11.1999, 17:23 Uhr

Kleine Algen groß im Geschäft

Aus Mikroalgen lässt sich eine ganze Palette interessanter Stoffe gewinnen. Rentablere Bioreaktoren und die Erschließung neuer Märkte könnten den biotechnisch noch kaum genutzten Algen zu einem Boom verhelfen.

Lichtenergie, Kohlendioxid, Wasser, Phosphor und Stickstoff – viel mehr brauchen Mikroalgen nicht zum Leben. Wachstum und Stoffwechsel dieser einzelligen Organismen beruhen, wie bei höheren Pflanzen auch, auf der Photosynthese. Wegen ihrer enormen Wachstumsrate sind Mikroalgen um ein Vielfaches produktiver als landwirtschaftliche Nutzpflanzen. Theoretisch sind mit Mikroalgen 200 t bis 250 t Biomasse pro Hektar und Jahr erzielbar. Zum Vergleich: Ölsaaten bringen es auf 12 t bis 15 t. Algen-Biomasse ist sehr kohlenhydrat- und proteinhaltig. Zudem bilden Mikroalgen eine ganze Palette sekundärer Stoffwechselprodukte, die von großem Wert für die Lebensmittel-, Kosmetik- und Pharmaindustrie sind.
Trotzdem wird das biotechnische Potential von Mikroalgen noch kaum genutzt. Das liegt, neben einer recht spärlichen Artenkenntnis, vor allem daran, dass die Aufarbeitung der gewünschten Substanzen gut die Hälfte der Produktionskosten verschlingt. Also lässt sich nur mit genügend Masse wirtschaftlich produzieren.
„Bisher ist es jedoch nicht gelungen, Bioreaktoren zu konstruieren, in denen Algen-Biomasse in einer Konzentration heranwächst, die eine auf Dauer rentable Produktion erlauben würde“, konstatiert Professor Dr. Walter Trösch vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB). Schwerpunkt seiner Arbeitsgruppe ist es deshalb, einen solchen idealen Photo-Biorekator zu entwickeln. Es gilt dabei, ein spezifisches Problem bei der Mikroalgenanzucht zu lösen: Die meisten Arten wachsen in der Natur bei diffusem Licht besser als bei direkter Strahlung, die das Wachstum sogar limitieren kann. Das heißt aber, dass wesentliche Lichtanteile nicht genutzt werden und ein Teil der möglichen Biomasse „verschenkt“ wird.
Um dies zu vermeiden, nutzen die IGB-Wissenschaftler die Tatsache, dass der Photosynthese-Prozeß aus zwei Reaktionsfolgen besteht: Bei der „Lichtreaktion“ wird Strahlungsenergie in chemische Energie umgewandelt. In der anschließenden „Dunkelreaktion“ baut die Pflanze aus Kohlendioxid energiereiche Zuckermoleküle auf. „Wir entkoppeln die Lichtaufnahme der Algen reaktionstechnisch vom Prozess der Umsetzung der Energie in Biomasse und bekommen damit eine erhöhte Lichtausbeute“, erläutert Trösch.
Dafür wurde in Zusammenarbeit mit Physikern des Fraunhofer-Institutes für Energietechnik ein patentiertes Verfahren entwickelt, das ein gezieltes Lichtregime, einen sogenannten „Flashing-Light-Effekt“, ermöglicht. Der Clou dabei: Nicht die Lichteinstrahlung wird variiert, sondern die Verweilzeit der Algen im Licht. Dafür werden sie in sogenannten Blasensäulen gezogen, in denen Pressluft oder Gasblasen eine Schlaufenbewegung erzeugen. Diese wird so eingestellt, dass die Algenzellen ständig durchmischt werden, sich also nur kurze Zeit im äußeren Bereich des intensiv beleuchteten Reaktors befinden. So bekommen sie für Sekundenbruchteile gerade so viel Licht ab, wie sie für eine optimale Dunkelreaktion und damit Biomasseproduktion benötigen. Momentan wird dieses neue Prinzip bei Chlorella, einer Süßwasseralge, mit gutem Erfolg erprobt. Im Vergleich zum Standard bisheriger Reaktoren ließ sich die Biomasse-Ausbeute bereits um den Faktor 3 steigern.
Geradezu ideal ist das Verfahren für Regionen mit starker Sonneneinstrahlung, besonders Mittelmeerraum und tropische Meere bieten sich an für die Massenproduktion von Mikroalgen. Ziel sind große marine Anlagen mit wassergängiger Technologie, denn in einzelligen Meeresalgen vermuten die Forscher ein großes Potential wertvoller, teils noch gar nicht entdeckter Substanzen. Marine Standorte lösen zwei weitere Probleme. Bisherige Photo-Bioreaktoren benötigen sehr viel Kühlenergie. Das verursacht erhebliche Kosten und widerspricht dem Prinzip einer energiesparenden und umweltgerechten Produktion. Außerdem sind viele Meeresregionen vor allem im Bereich der Flussmündungen stark mit Phosphaten und Stickstoff belastet. Mikroalgenzucht im großen Maßstab könnte einen Teil dieser Schmutzfracht wieder zurückholen und sinnvoll nutzen.
Nur mit einer Kreislaufstrategie lässt sich auf Dauer gewinnbringend wirtschaften. Am Anfang der Produktkette steht zumindest ein High-Value-Produkt, das den gesamten Produktionsprozess finanzieren soll. In Frage kommen hier Lipide und Fettsäuren, Vitamine wie Vitamin E oder beta-Carotin sowie Pigmente wie Phycocyanin und Carotinoide. Pharmazeutisch besonders interessant sind Antioxidantien wie Tocoferole oder Omega-Fettsäuren, die Sauerstoffradikale „wegfangen“. Inzwischen scheint es immer wahrscheinlicher, dass diese Substanzen beim Menschen vorbeugend gegen Arterienverkalkung und Infarkt wirken. Bislang werden sie aufwendig und mit hohen Kosten aus Fischölen gewonnen – also letztendlich indirekt aus Mikroalgen, nachdem diese die Nahrungskette bis zum Fisch durchlaufen haben. Ein weiteres Produkt der Algen ist Methan. Es kann zu Methanol umgewandelt werden und – die Entwicklung geeigneter Brennstoffzellen vorausgesetzt – als Treibstoff für Autos dienen.
Bei einem gemeinsamen Projekt des Institutes für Getreideverarbeitung (IGV) im brandenburgischen Bergholz-Rehbrücken und der Bitterfelder „Bioprodukte Professor Steinberg GmbH“ wagt man sich bereits an die Großproduktion von Algenbiomasse. Dazu baut die Bisantec, eine ehemalige Preussag-Tochter, in Klötze nordöstlich von Wolfsburg auf dem Gelände der ÖPA GmbH die erste „Mikroalgenfarm“ in Deutschland, die im März 2000 mit der Produktion beginnt. In einem 6000 m3 umfassenden, geschlossenen Bioreaktorsystem werden aus Chlorella-Algen jährlich 150 t bis 200 t eines Tierfutter-Additivs erzeugt. „Untersuchungen belegen den ernährungsphysiologischen Wert von Algen-Wirkstoffkomplexen bei Zuchttieren“, erläutert Dr. Heiner Terkamp von „Bioprodukte“. Geeignet ist das Zusatzfutter für Legehennen und Puten, für die Sauenhaltung und Ferkelaufzucht. Die Tiere bringen damit mehr auf die Waage, wachsen oder schlüpfen besser und sind gesünder zudem zeigt sich in Hochleistungsbeständen ein antibiotischer und stressmindernder Effekt durch die Algenwirkstoffe.
Dies alles wird bislang durch sogenannte „Leistungsförderer“ erreicht – also einem chemischen Cocktail, der bei Züchtern und Verbrauchern immer verpönter und von den EU-Behörden zunehmend eingeschränkt oder verboten wird. Bis vor einigen Jahren waren noch zwölf solcher Leistungsförderer zugelassen, heute sind es nur noch vier, denen ebenfalls ein Verbot droht. Vor allem Vermarkter, die von der Zucht über die Mast bis zur eigenen Produktion einwandfreier Futtermittel in einem integrierten Verband produzieren, sind an natürlichen Leistungsförderern interessiert: Diese Betriebe müssen jederzeit nachweisen können, dass ihre Tiere „sauber“ sind. BURKHARD JUNGHANSS
Jörg Degen vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut an einem Labor-Bioreaktor für Mikroalgen. Hier werden die Kulturbedingungen entwickelt, die zur großen Biomasse-Ausbeute im Industriemaßstab nötig sind.
Algen schlucken beim Wachstum viel CO2. Das nutzt die Brandenburger Firma IGV in einer Pilotanlage, um die CO2-Emissionen eines Kalkwerks zu reduzieren.

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