Grünbuch Biosicherheit empört Forscher
Forschung und Industrie sollen Teil einer europäischen Lösung gegen Biorisiken werden. So will man auch verhindern, dass Terroristen mit Hilfe europäischer Labors B-Waffen basteln.
Lang ist die Liste der Grünbuch-Vorschläge, wie künftig mit gefährlichen Viren, Bakterien oder Pilzen umzugehen wäre (s. Kasten). Bis Oktober dürfen sie kommentiert werden.
Einer der führenden deutschen Virologen, Prof. Christian Drosten von der Uni Bonn, hat das Dokument mit wachsendem Unmut gelesen: „Da werden rhetorische Fragen gestellt, etwa, ob private und öffentliche Förderung für Forschung an Biomaterialien von der Einhaltung von Biostandards abhängig gemacht werden sollten. Anstelle einer differenzierten Antwort wird dazu verleitet, mit einem schlichten Ja zu antworten. Als wäre es ketzerisch, etwas dagegen einzuwenden. Als bräuchte die Kommission eine Legitimation für etwas, was schon längst beschlossene Sache ist.“
Zudem kann Drosten über die meisten Ideen nur den Kopf schütteln: „Die Schutzmaßnahmen in den Laboren sind – zumindest in Deutschland – so hoch, dass wir schon heute aufgrund der Auflagen kaum arbeiten können.“
Es sei schon heute unmöglich, so der Virologe, von außen in ein Hochsicherheitslabor einzudringen, weil die Türen massiv gesichert wären. Neue Mitarbeiter dürften mehrere Monate nur im Beisein des Laborleiters arbeiten. Zudem würden alle Vorgänge im Labor akribisch festgehalten. Verärgert fügte er hinzu: „Bei den Kollegen haben die Vorschläge nach dem ersten Schreck eine Welle der Empörung ausgelöst.“
Dennoch räumte er ein, dass es technisch nicht völlig ausgeschlossen sei, Erreger aus dem Labor zu entwenden. „Das muss auch möglich sein, weil wir sonst das Material mit anderen Forschern nicht mehr austauschen können. Das wäre der Tod der biomedizinischen Forschung“, erklärte Drosten. Der Austausch sei jedoch streng reglementiert.
Dagegen sollten beim Handel mit Genabschnitten von gefährlichen Erregern künftig strengere Vorkehrungen als heute getroffen werden, wie Ralf Wagner vom Regensburger Unternehmen GeneArt auf einer Konferenz im Februar in Berlin anregte. Er hatte in seinem Vortrag auf Sicherheitslücken hingewiesen. Im Grünbuch sind jedoch die Gene mit keinem Wort erwähnt.
Demgegenüber werde die Gefahr eines Missbrauchs durch gefährliche Keime weit überschätzt. „Die Vorstellung, dass ein Forscher einen Erreger mitnimmt und diesen draußen ausbreitet, ist grundfalsch“, so Drosten.
Eines der für den Menschen giftigsten Viren, das Ebola-Virus, wird zum Beispiel nicht über die Atemwege übertragen. Daher würde, sagte Drosten, auch nichts geschehen, wenn es in die Luft gelangt. Gentechnisch veränderte Erreger seien meist biologische Krüppel. Nur sehr selten wären sie gefährlicher als die ursprüngliche Mikrobe.
Insgesamt hält der Virologe den Missbrauch durch Kriminelle für weitaus unwahrscheinlicher als einen Unfall in einem Sicherheitslabor. Eine Aussage, die durch die Vorkommnisse in Großbritannien neue Aktualität erfährt: Der jüngste Ausbruch der Maul- und Klauenseuche wird auf einen Virenstamm zurückgeführt, mit dem nur in zwei britischen Laboren gearbeitet wird. Wie der Erreger ins Freie gelangen konnte, ist noch immer unklar.
Doch Drosten ist überzeugt: Wer tatsächlich einen Anschlag mit Biowaffen plant, braucht ein eigenes molekularbiologisches Labor und immenses Know-how. Eine Einschätzung, die Ralf Wagner teilt: „Die Gefahr, dass Terroristen zu Lowtech-Methoden greifen, ist sicher größer.“
Kerstin Elbing vom Verband deutscher Biologen und biowissenschaftlicher Fachgesellschaften in Berlin warnt vor weiteren Gesetzen, die die Forschungsfreiheit einschränken. Statt neuer Regelwerke plädiert sie für freiwillige Maßnahmen wie Kurse für Studenten und Doktoranden.
„Das Bewusstsein für Risiken beim Umgang mit bestimmten Substanzen muss wachsen. Hier stehen wir in Deutschland ganz am Anfang“, so Elbing. Zudem befürwortet sie einen von der Kommission vorgeschlagenen Verhaltenskodex für Biotechnologen.
Der Bonner Virologe Drosten kann sich für diese Ideen nicht erwärmen: „Wir brauchen keinen Verhaltenskodex für etwas, wofür heute jeder ins Gefängnis geht.“ Auch Aufklärungskurse lehnt er ab, da sie die Gefahr des Missbrauchs eher erhöhen würden.
Elbing sieht das anders: „Terroristen holen sich die Motivationen nicht im Hörsaal, sondern woanders.“
Einig sind sich die beiden Fachleute indes in einem Punkt: Auf europäischer Ebene sollte eine Datenbank eingerichtet werden, in der laufend registriert wird, wer über welche Mikroben und Viren verfügt. Verschwinden Erreger urplötzlich aus einem Labor, sollte dies gemeldet werden. Auch die Gensequenz und Informationen zu Impfstoffen und Medikamenten sollten zentral gespeichert werden. S. DONNER/ber
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