Bau 09.04.1999, 17:21 Uhr

Zwei Bohrer graben um die Wette

In wenigen Wochen beginnt in den Niederlanden der Bau eines 6,6 km langen Straßentunnels unter der Westerschelde. Zwei Tunnelvortriebsmaschinen fahren parallel das Zweiröhrenbauwerk auf, das Anfang des Jahres 2003 in Betrieb gehen soll.

Es tut sich was im europäischen Straßenbau. Nicht nur, wie man vermuten mag, über der Erde, sondern auch nahezu unbemerkt in der Tiefe. Mit Riesenschritten schreitet der Bau der vierten Röhre Elbtunnel voran, und der Baufortschritt des Rennsteigtunnels, mit über 7 km Länge der längste Autobahntunnel Deutschlands, geht stetig weiter. Eines der bedeutsamsten unterirdischen Bauwerke wird jedoch in Kürze in den Niederlanden begonnen: der 1.5 Mrd. DM teuere „Tunnel Westerschelde“. Er wird als erste feste Straßenverbindung zwei Teile der niederländischen Provinz Zeeland- Zuid-Beveland und Zeeuwsch-Vlaanderen – miteinander verbinden. Geringfügig zeitlich versetzt werden dabei zwei parallel verlaufende Röhren im Schildvortriebsverfahren gebohrt. Der fertige Tunnel Westerschelde wird einen Innendurchmesser von 10,1 m aufweisen. Neben den gewaltigen Tunnelvortriebsmaschinen, die bei diesem Bauvorhaben zu Einsatz kommen werden, sind es die geologischen Bedingungen unter der Westerschelde, die den Tunnelbauern besondere Aufgaben stellen werden.
Die Geologie im Baubereich unter der Schelde ist durch verschiedene Sand- und Tonformationen geprägt. Die oberen 20 m bis 30 m bestehen im wesentlichen aus quartären Mittel- und Feinsanden. Auf der Nordseite werden diese von tertiärem, glauconithaltigem Sand unterlagert. Unterhalb dieser Sandschichten befinden sich die Lagen des „Boomse Klei“. Bei diesem Material handelt es sich um eine Art von besonders steifem Ton, der bereits im Vorfeld der Planungen den Verantwortlichen einiges Kopfzerbrechen bereitet hatte. Hat doch diese Erdart die für den maschinellen Tunnelvortrieb denkbar ungünstige Eigenschaft, sich mit Stahl – also auch mit dem Schneidrad der eingesetzten Tunnelvortriebsmaschinen – in einer innigen Verbindung zu verkleben.

Steinbrecher zerkleinern den halbfesten Ton

Langfristige wissenschaftliche Untersuchungen über das Adhäsionsverhalten des „Boomse Klei“ führten schließlich zu einer speziellen Konstruktion für das Schneidrad und die Abbaukammer der Vortriebsmaschinen. Gleichzeitig führten die Untersuchungsergebnisse zu einem verbesserten Spülverhalten innerhalb der Abbaukammer. So ist das Schneidrad als ein offener Stern mit einer Felge konzipiert. Dabei wurde die Form der Schneidarme unter Berücksichtigung statischer Zwangspunkte strömungstechnisch optimiert. Auf der rückwärtigen Seite des Schneidrads befinden im Außenbereich zwei pflugähnliche Räumer, die das abgebaute Material in der Sohle dem Ansaugbereich zuführen sollen. Auf der Maschinenachse befindet sich ein Zentrumsschneider mit einem Durchmesser von 2,5 m. Er ist mit einem eigenen Speisezufluß, einer Förderleitung sowie mit einem Hochdruckreinigungssystem ausgerüstet um möglichen Verklebungen vorzubeugen. Die Abbaukammer ist rundum mit Konusblechen ausgekleidet, um verklebungsanfällige Kantenbereiche zu vermeiden.
Im Ansaugbereich der Arbeitskammer wird ein Walzenbrecher in Verbindung mit zwei Agitatoren eingesetzt. Obwohl aufgrund der geologischen Gegebenheiten in der Bohrtrasse keine Steine zu erwarten sind, hat man sich zum Einbau eines Steinbrechers entschlossen, weil diese Einrichtung in der Lage ist, größere Klumpen des teilweise halbfesten Tons auf eine pumpbare Größe zu zerkleinern. Zudem hat ein Steinbrecher durch seine Walzenrotation eine den Ansaugvorgang unterstützende Wirkung. Diese Art der des Ansaugbereichs hat sich bereit in der Vergangenheit bei ähnlichen Bodenverhältnissen bestens bewährt.
Eine Besonderheit ist auch das an der Westerschelde umgesetzte Spülkonzept in der Abbaukammer und im Ansaugbereich. Anders als bei herkömmlichen Hydroschild-Vortriebsmaschinen kann hier die als Spülmittel eingesetzte Bentonitlösung gezielt auf einzelne Punkte, das Zentrum des Hauptschneidrads, den Zentrumsschneider, den Umfangsbereich der Abbaukammer, die Mitte der Abbaukammer sowie vor die Tauchwandöffnung und in den Ansaugbereich gelenkt werden. Ein Großteil der Frischbentonitzufuhr von max. 2000 m3/h kann volumengesteuert über Zusatzpumpen im Schild zugegeben werden. Zusätzlich ist eine Rezirkulationspumpe im Schild eingebaut, mit der die Umwälzkapazität innerhalb von Abbau- und Arbeitskammer um etwa ein Drittel erhöht werden kann.
Das umgesetzte Konzept bedingt eine Vielzahl von Ventilen und Pumpenreglern zur Steuerung des Suspensionsflusses. Es werden daher in der Steuerung verschiedene, vom Schildfahrer wählbare Szenarien eingeführt, die eine gruppenweise Schaltung von Pumpen und Ventilen vorsehen. Durch diese Zustände wird wahlweise die Zufuhr des gesamten Speisezuflusses vor oder hinter der Tauchwand sowie verschiedene Stufen dazwischen ermöglicht.
Bei der 6,6 km langen Fahrt der beiden eingesetzten Vortriebsmaschinen führt der vorgegebene Weg von Zeeuwsch-Vlaanderen auf der Südseite der Schelde zunächst mit einem Gefälle von 4,5 % bis unter den Pas van Terneuzen. Diese Schiffahrtsrinne weist eine Sohltiefe von rund 35 m auf. Die Tunnel liegen hier mit ihrer Firste etwa 50 m unterhalb des Meeresspiegels im glauconithaltigen Sand. In Abhängigkeit von Gezeiteneinflüssen werden hier Stützdrücke in der Firste von bis zu 6,5 bar notwendig. Danach unterqueren die Vortriebsmaschinen den Middelplaat, eine ausgedehnte Sandbank. Hier liegt der Ausbruchsquerschnitt über eine längere Vortriebsstrecke vollständig im Boomse Klei, oder es ist eine gemischte Ortsbrust aus Sand und Ton abzubauen. Die Vortriebe führen schließlich mit ihrer Firste in einer Tiefe von 40 m unter dem Meeresspiegel unter einer weiteren Schiffahrtsrinne, dem Pas van Everingen, hindurch. Danach müssen die Vortriebsmaschinen die abschließende Steigungsstrecke nach Zuid-Beveland durch verschiedene Sandformationen auffahren.
Für den Auftraggeber, die Niederländische Rijkswaterstaat (das Ministerium für Verkehr und Wasserwirtschaft) war dabei die Bedeutung der unterquerten Wasserstraßen Grund genug, den planerisch und technisch aufwendigeren Weg einer gebohrten Tunnelverbindung zu wählen, als die Schiffahrt durch den Bau einer Brücke oder eines Tunnels in Caissonbauweise unnötig zu behindern. Mit der Ausführung der Arbeiten wurde ein Baukonsortium aus den Firmen BAM Infrabouw BV, Heijmans NV, Voormolen Bouw BV (alle Niederlande), Franki BV (Belgien), Philipp Holzmann AG und Wayss & Freytag AG (Deutschland) beauftragt.

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Zeitgleich mit dem Vortrieb werden 53 000 Beton-Tübbings eingebaut

Die geplante Bauzeit beträgt von der Auftragsvergabe im Jahr 1996 bis zur Übergabe des fertigen Bauwerks rund sechseinhalb Jahre. In dieser Zeit werden die von dem deutschen Unternehmen Herrenknecht GmbH, Schwanau, gelieferten Vortriebsmaschinen nicht nur pro Vortriebsmeter und Röhre rund 100 m3 Abbaumaterial ans Tageslicht gefördert haben, das man in einer eigenen Separieranlage von der Bentonitsuspension trennt und wieder aufbereitet. Zeitgleich mit dem Vortrieb werden für den Tunnelausbau rund 53 000 Tübbings, die in einer auf dem Baustellengelände eigens errichteten Fabrik in einer Betonqualität von B 55 hergestellt werden, eingebaut. Ein Tübbingring, der die innere Auskleidung der Tunnelröhre darstellt, besteht aus sieben Segmenten und einem Schlußstein. Ein kompletter Tübbingring stützt dabei nicht nur auf einer Breite von 200 cm die Tunnelwand, er dient auch als Stützplattform, an der sich die Vortriebsmaschine mit Hilfe von Hydraulikzylindern vorwärts drückt. Die einzelnen Ringe sind untereinander mit einer Topf-Nocken-Konstruktion verbunden.
Noch im Frühjahr dieses Jahres wird voraussichtlich mit den Vortriebsarbeiten begonnen, die innerhalb von 27 Monaten bis Ende 2001 abgeschlossen sein sollen. Die endgültige Fertigstellung des Tunnelausbaus und der Zufahrtswege, für den Baukosten in Höhe von fast 1,5 Mrd. DM veranschlagt sind, erfolgt danach bis März 2003.
Nach Fertigstellung des Tunnels wird der heutige Fährverkehr und die damit verbundene Beeinträchtigung der Schiffahrt auf der Schelde für den Frachtverkehr eingestellt. Der gesamte Pkw- und Lkw-Verkehr – die Verantwortlichen rechnen in der Anfangszeit mit einer Verkehrsbelastung von 12 000 Fahrzeugen je Tag – wird dann mautpflichtig durch den Tunnel geleitet.

Erste feste Straßenverbindung zwischen Zuid-Beveland und Zeeuwsch-Vlaanderen in der niederländischen Provinz Zeeland.
Zweiröhriger Tunnel für den Kfz-Verkehr: Zwei Vortriebsmaschinen unterfahren parallel die Westerschelde. Der 1,5 Mrd. DM teuere Bau wird in wenigen Wochen beginnen. Anfang 2003 soll der Tunnel eingeweiht werden.

 

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