Wasserwände sichern Flucht im Tunnel
Wie Österreich und die Schweiz unterhält Italien viele Tunnel. Zum Brandschutz entwickelte man dort ein aus Wasserwänden bestehendes Barrieresystem, das möglicherweise im Montblanc-Tunnel zum Einsatz kommt.
Die Brandkatastrophe am Kitzsteinhorn in Österreich löste nicht zuletzt in Italien große Betroffenheit aus. Kein Wunder: Die Apenninhalbinsel ist ein topographisch zerklüftetes Land, deren Infrastruktur ohne Tunnel nicht auskommt. Und derlei unterirdische Verkehrsanlagen gibt es nicht nur für die Eisenbahn, sondern in reicher Zahl auch für das umfangreiche Fernstraßennetz. Es grenzt an ein Wunder, dass der Brand in einem Straßentunnel bei Palermo am 18. März 1996 mit fünf Toten und die Feuersbrunst im Montblanc-Tunnel am 24. März 1999 zwischen Frankreich und Italien mit 41 Toten die bisher einzigen Katastrophen in Tunneln des italienischen Straßennetz geblieben sind. Doch man hat südlich der Alpen Konsequenzen nicht zuletzt aus den katastrophalen Folgen des Brandes unter dem Montblanc gezogen, was jetzt zur Entwicklung neuer Sicherheitskonzepte für Tunnelbauten führte. So entwickelte die im oberitalienischen Pavia beheimatete Apt-Engineering ein Barrieresystem aus Wasser, das zur Sicherung von Fluchtwegen einen Brandherd im Berg abschottet.
Höchstens 15 Minuten Zeit verbleiben den im Flammeninferno eingeschlossenen Auto- oder Zuginsassen, um ohne schwere Verletzungen oder dauerhafte Schäden davonzukommen. So das Wissen heutiger Brandschutzexperten. Bis dahin habe sich die Luft im Tunnel in den meisten Fällen bis auf die Tod bringenden 80 0C erhitzt. Hinzu komme die starke Rauch- und Gasentwicklung, die nicht nur die menschlichen Atemwege bedroht und die meisten Todesfälle verursacht, sondern auch die Sicht auf mögliche Fluchtbereiche im Tunnel versperrt.
Diese Erkenntnis hat sich die auf den Brandschutz und dazugehörige Ausbildungsmaßnahmen spezialisierte Apt-Gruppe aus Pavia zunutze gemacht. Ihr in dem 12 km langen Eisenbahntunnel von Orte (in der Nähe von Viterbo) bereits greifbares Sicherheitskonzept besteht im wesentlichen aus einem System von Wasserbarrieren. In Abständen von 250 m installierte Wassertanks mit einem Fassungsvermögen von 125 m3 und eine mit Spritzdüsen versehene flexiblen Rohrleitung – angebracht am Tunnelgewölbe – sorgen bei Bedarf für vertikale gesprühte Wasserwände, die einen Brandherd eingrenzen und den Fluchtweg sichern. Eine Beimischung von aus Naturpflanzen gewonnenen Wurzelkleinteilen soll einen partiellen Einschluss der Rauch-/ Gasschwaden bewirken und gleichzeitig für einen Temperaturausgleich sorgen.
Wie das chemisch ablaufen soll, war von Apt-Engineering nicht zu erfahren. Doch – so wurde mitgeteilt – das von einem internationalen Kooperationspartner entwickelte „Bioversal“ stelle sicher, dass die zur Verfügung stehenden Fluchtwege „rechtzeitig erkannt und genutzt werden können.“ Gleichzeitig ließe sich der Brand anhand der zu entfachenden Wasserbarrieren löschen oder zumindest eingrenzen. Da die Behälter permanent mit Wasser gefüllt sind und die Spritzdüsen somit unter leichtem Druck stehen, ist die Anlage fast unmittelbar betriebsbereit (andernfalls würden für ihre Befüllung 30 Minuten vergehen).
Optischer Sensor erkennt den Streckenpunkt des Brandherds
In Gang gesetzt werden die quer unter dem Tunnelgewölbe verlaufenden und durch einen Anschluss an der Leitung der Betreibergesellschaft versorgten Wasserschleusen durch ein zentrales, glasfasergestütztes Warnsystem, genannt „Fibrolaser“. Mit Hilfe der Lichtwellenlänge des Systems werden Temperaturabweichungen in Realzeit erkannt. Der optische Sensors kann mit recht hoher Genauigkeit feststellen, auf welchem Streckenpunkt sich ein möglicher Brand entwickelt und welche Temperatur er erreicht hat. Im günstigsten Fall kann der Zug oder die Fahrzeugkolonne rechtzeitig angehalten werden.
„Gewährleistet wird in jedem Fall, dass Hilfsmaßnahmen von Feuerwehr und Zivilschutz anhand dieser Informationen zielgerecht und ohne größeren Zeitverlust eingeleitet werden können,“ urteilt der geistige Vater des Systems und Apt-Firmenchef Roberto Del Ponte. „Unser Konzept ist nicht nur sicher, sondern gleichzeitig auch kostengünstig und umweltfreundlich,“ betont der Ingenieur. Es eigne sich für alle Straßen-, Bahn- und U-Bahntunnel, die in beiden Richtungen durchfahren werden.
Die Planer sind sich überdies sicher, dass ihr System möglicherweise auch für den Einsatz unter dem Montblanc geeignet sei. Dahingehende Verhandlungen werden jedenfalls seit einigen Monaten geführt. Bis dieser wieder betriebsbereit sein wird, sollen allein 250 Mio. DM für sicherheitstechnische Vorkehrungen ausgegeben werden. Vor allem die Italienische Staatsbahn (FS) scheint von dem Warn- und Schutzsystem der Apt-Engineering überzeugt zu sein. Sie will zahlreiche Tunneldurchfahrten auf der Apenninhalbinsel damit ausrüsten. HARALD JUNG
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