Schlamm drüber
Begrünte Dächer und Lehmbauten schützen vor hochfrequenten elektromagnetischen Strahlen, wie sie von Mobilfunksende- anlagen ausgehen. Dies belegt eine Studie des Forschungs- labors für Experimentelles Bauen der Universität Gesamthochschule Kassel.
Vernetzt und allzeit erreichbar: Mobilfunksendeanlagen schießen wie Pilze aus der Erde. Die Standortbescheinigung dafür erhalten die Betreiber auf Basis der 26. Bundesemissionsschutzverordnung, bzw. der von der WHO festgesetzten Grenzwerte.
Ob diese zum Schutz des Menschen ausreichend sind, darüber gibt es nahezu genauso zahlreiche Studien wie Meinungen. Fakt ist, es fehlen Langzeiterfahrungen. Fakt ist ebenso, dass – bedingt durch dieses Restrisiko – viele Menschen eine Gesundheitsgefährdung fürchten.
„Wer sich gegen hochfrequente Strahlungen von außen abschirmen will, ist unter einem Lehmtonnengewölbe mit Grasdach sicher“, resümiert Prof. Dr.-Ing. Gernot Minke, Leiter des Kasseler Forschungslabor für Experimentelles Bauen, die Forschungsarbeiten. Die nahezu hundertprozentige elektromagnetische Abschirmleistung nach innen habe selbst ihn als international ausgewiesenen Fachmann für Lehmbauten überrascht. Durchgeführt wurden die Untersuchungen zu Strahlungswirkungen im Institut für Hochfrequenztechnik der Bundeswehr-Universität, München.
Die Untersuchungsergebnisse im Einzelnen:
– Gründächer mit 15 cm Leichtsubstrat erwirkten für die Frequenzbereiche von 1,8 GHz bis 1,9 GHz des Mobilfunk-E-Netzes und der schnurlosen DECT-Telefone eine Strahlungsdämpfung von ca. 99,4 % (22 dB), Lehmgewölbe mit Grasdachabdeckung sogar 99,999 % (49 dB).
– Mit 99,9999 % (60 dB) ist die Abschirmung von UMTS-Frequenzen der zukünftigen Mobilfunkgeneration ab 2002 sogar noch etwas besser. Sie liegen im Frequenzbereich von 1,92 GHz bis 2,17 GHz.
– Ebenfalls 99,9999 % (60 dB)ist für Richtfunkwellen im 4 GHz-Bereich erreichbar.
„Bei konventionellen Baustoffen, wie einem Ziegeldach, beträgt die Abschirmung in den Frequenzbereichen von E-Netz und UMTS nur etwa 3 dB, also rund 50 %“, vergleicht Minke. Fazit: Hinsichtlich Kosten und Wirkung sind Lehmbauten zur Abschirmung hochfrequenter Strahlungen konkurrenzlos.
„Die Türen sollten nicht zur bestehenden Basisstation ausgerichtet sein und metallische Beschichtungen oder eine metallische Fliegengitterdoppeltür aufweisen“, erklärt der Lehmbau-Experte. Er empfiehlt für die innere Schale der Außenwände eine 24 cm dicke Schicht aus Lehmsteinen oder Blähtonleichtlehm mit einer Rohdichte von mindestens 800 kg/m³, die weitaus effizienter sei als Kalksandsteine und Hochlochziegeln in vergleichbarer Stärke. „Was die Fensteröffnungen betrifft, lässt sich die geringe Abschirmwirkung von einfachen Isolierverglasungen durch eine Wärmedämmverglasung aufstocken“, erläutert er, „aufgrund ihrer Edelmetallbedampfung erreichen diese eine Abschirmung von ca. 30 dB = 99,9 %.“
Noch bessere Werte lassen sich mit Drei-Scheiben-Verglasungen und metallischen Fliegengittern erzielen. Reflektor-Sonnenrollos für Dachflächenfenster zeigten in allen Frequenzbereichen nahezu konstante Abschirmwerte von 37 dB = 99,98 %. Sollen auch die Fensterrahmen den Strahlen strotzen, seien Holz-Aluminium-Verbundrahmen die beste Lösung.
Im Gegensatz zum Bundesamt für Strahlenschutz, das schnurlose DECT-Telefone als generell unbedenklich wertet, rät Gernot Minke – unter Hinweis auf Ergebnisse der Münchner Untersuchungen – auch zum sorgsamen Umgang mit hochfrequenten Wellen im Gebäudeinneren: „Schnurlose DECT-Basisstationen senden ständig gepulste Strahlung aus, die eine erhebliche gesundheitliche Belastung darstellen können.“ Ist eine solche Station im Haus installiert, empfiehlt er einen möglichst großen Abstand zum Schlaf- und Arbeitsplatz, bzw. eine Abschirmung durch eine Lehmwand. Persönlich schwört er auf schnurlose Telefone mit dem analogen CT1+-Standard, die aber heute nur noch selten erhältlich sind.
„Die Studie beweist, dass sich die Liste der positiven Eigenschaften des Baustoffs Lehm noch weiter fortschreiben lässt und auch, bzw. insbesondere für unsere High-Tech Gesellschaft eine neue Aktualität zu gewinnen verspricht“, erklärt er. Dass Lehm die Raumluft reinigt, wurde häufiger beschrieben. Dieses Phänomen beruht auf subjektiven Wahrnehmungen, die bislang noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen wurden. Dass Lehm im Wasserdampf gelöste Schadstoffe aus der Luft absorbiert, ist dagegen belegt.
Hervorzuheben sind die raumklimatischen Eigenschaften des Baustoffs: Lehmbauten verfügen ganzjährig über die für den Menschen ideale Luftfeuchte von 50 %, weshalb Lehmbauten insbesondere Menschen mit Atemwegserkrankungen anzuraten sind. Konstruktionen aus Lehm müssen keinesfalls simpel sein, dies dokumentiert Gernot Minke in seinem „Lehmbau-Handbuch“: 1994 erschienen, wird es im Zwei-Jahres-Turnus überarbeitet und neu aufgelegt und zählt zu den Standardwerken in diesem Bereich.
In Deutschland werden jährlich kaum mehr als 100 neue Lehmhäuser gebaut. Möglicherweise widerstrebt es der deutschen Mentalität, dass man, um ein Haus abzureißen, dieses nur in Wasser einsumpft. Was die Haltbarkeit angeht, sprechen die 2,2 Mio. Fachwerkhäuser und ca. 200 000 massiven Lehmbauten in Deutschland für sich. Das höchste massive Lehmhaus, fünfgeschossig aus gestampftem Lehm, steht in Weilburg an der Lahn seit 1828.
Der Fortschritt verläuft kreisförmig, konstatierte der Philosoph Novalis: Sicher eine interessante Allianz, wenn der Ausbau der Kommunikationstechnologie mit einer Renaissance natürlicher Baustoffe und Bauweisen einhergeht. CHRISTIANE RADWAN/wip
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