Hightech für Wand und Decke: Farben aus dem Odenwald
Caparol ist wohl für jeden ein Begriff, der schon einmal eine Wohnung renoviert hat. Dahinter verbirgt sich das Traditionsunternehmen Deutsche Amphibolin-Werke (DAW). Seit 114 Jahren residiert es im hessischen Ober-Ramstadt, aber seine Farben machen Bauten in der ganzen Welt bunter. VDI nachrichten, Düsseldorf, 2. 10. 09, rb
Sie haben das Olympiastadion in Peking rot angestrichen, die Fassade des Moskauer Kremls in leuchtenden Farben gestaltet und sich an der Restaurierung des Brandenburger Tors beteiligt: Die Deutschen Amphibolin-Werke (DAW) gehören mit ihrem Flaggschiff Caparol zu den Topadressen auf dem internationalen Baufarbenmarkt. Hierzulande gelten sie als einer der innovativsten Mittelständler. Seit 114 Jahren hat das Familienunternehmen seinen Hauptsitz in Ober-Ramstadt.
Es ist ein typischer Spätsommermorgen im Odenwald: Die letzten Nebelschwaden ziehen über die Bäume und auf den Hügeln rund ums Modautal grasen die ersten Pferde in der Sonne. Fünfzig Kilometer entfernt vom Trubel des Rhein-Main-Gebiets liegt das „Industriegebiet eins“ von Ober-Ramstadt.
Hier schlägt das Herz eines der größten Farbenhersteller Europas: „Wir haben unseren Standort der Landschaft angepasst“, sagt Rainer Reucker. Die Aussicht aus dem Besprechungsraum versetzt den DAW-Geschäftsführer in sichtlich gute Laune. Denn sie gibt nicht nur den Blick frei auf eine grüne Idylle, sondern auch auf den „Farbenturm“, der als Blickfang aus dem rund 180 000 m2 großen Firmengelände herausragt.
200 000 t Dispersionsfarbe pro Jahr können in dem fast 50 m hohen Bau hergestellt werden. Vor dreizehn Jahren in Betrieb gegangen, gilt er noch immer als technisches Nonplusultra in der Farbproduktion. Doch nicht nur das: „Er ist auch ein modernes Wahrzeichen unserer Stadt“, erklärt Bürgermeister Werner Schuchmann. Einträchtig sitzen die beiden nebeneinander und philosophieren über Standortmarketing.
Wenn Schuchmann das Verhältnis von Stadt und Unternehmen umschreiben will, spricht er von „Symbiose“. Der Begriff trifft ins Schwarze. Schon die fünfte Generation der einstigen Hamburger Kaufmannsfamilie Murjahn hält dem Standort die Treue. Vorkommen des Minerals Hornblende, das zur Calcium-Amphibolgruppe gehört, haben Eduard Murjahn Ende des 19. Jahrhunderts in den Odenwald gezogen. 1895 gründete sein Sohn Robert in Ober-Ramstadt die DAW um daraus Farben herzustellen.
Seit fünf Generationen arbeiten auch viele Ober-Ramstädter für die Familie: „Wir sind bei den Murjahns“, sagen sie, wenn sie nach ihrem Arbeitsplatz gefragt werden. Das Unternehmen vereint altes Handwerkswissen, ökologische Produktionsmethoden, Hightechrezepte und modernes Farbdesign. Und es ist in Zeiten der Krise eine sichere Bank, wenn es um Arbeit und Ausbildung geht.
Der Betrieb strahlt eine heile Farbenwelt aus, vom weltweit berühmten Caparol-Logo, dem schwarzen Elefanten mit den bunten Streifen und dem lustigen Pinsel-Schwanz über die bunt angestrichenen Außenrohre bis zu den regenbogenfarbenen Stühlen in der gerade eingeweihten Kinderkrippe.
Auf dem Werksgelände fahren Gabelstapler mit Paletten voller Farbeimer umher, drei Tankwagen mit Bindemitteln werden gerade entladen. Ansonsten herrscht Ruhe. Erst wenn man im Farbenturm gegen den Lärm des Maschinenparks mit seinen Silos, Mischmaschinen und einem Labyrinth von Leitungssystem anschreien muss, merkt man, dass man in einer Fabrik des 21. Jahrhunderts angekommen ist. Zehn bis zwanzig Komponenten – pulverförmige und flüssige – braucht es, um eine Farbe herzustellen.
Die Produktion läuft von oben nach unten. Das spart Energie. Im obersten Stockwerk stehen die Silos für die festen Rohstoffe, die 24 m tiefer dosiert und gewogen werden. Weitere 9 m tiefer kommen die flüssigen Komponenten hinzu, die nach dem Abwiegen direkt in einen der sechs Farbmischer geleitet werden. 10 000 l fasst einer von ihnen – eine riesige Rührschüssel, von der aus die Farbe ins Fertigwarenlager gepumpt wird.
Rund zwei Stunden dauert die Prozedur, drei Mitarbeiter reichen aus um die vollautomatische Anlage zu betreuen. Über 95 Rezepturen werden im Farbenturm zusammengemischt, vom Klassiker Alpina-Weiß über sogenannte Wellness-Farben bis hin zu Fassadenfarben aus der neuesten Nanogeneration. „Neben hohen Ansprüchen an die Qualität ist Innovation eine unserer Kernkompetenzen“, sagt Geschäftsführer Reucker.
Federführend in Forschung und Entwicklung sind die Chemiker aus der Familie Murjahn. In ihren Laboren wurde das Bindemittel Caparol aus den Stoffen Casein, Paraffin und Oleum erfunden, das Zeitalter der Dispersionsfarben eingeleitet, die weltweit erste Innenfarbe ohne Lösemittel kreiert und ein System ersonnen, um Fassaden ohne lästigen Farbnebel zu besprühen.
Jetzt steht die Entwicklung ganz im Zeichen des Nanozeitalters. „Die Einführung unserer Nano-Quarz-Gitter-Technologie markiert den Beginn einer Ära, die das Handwerk revolutionieren könnte“, sagt Reucker. Haltbarer, sauberer und brillanter sollen die milliardstel Millimeter kleinen Quarzpartikel, die durch chemische Reaktion eine dreidimensionale Gitterstruktur ausbilden, die Fassaden der Zukunft machen. „Sie krallen sich im Putz fest, machen die Oberfläche robuster und lassen den Schmutz abprallen“, beschreibt der Geschäftsführer die Wirkung des Hightechprodukts, das Caparol letztes Jahr auf den Markt gebracht hat.
Während in der Produktion Stunde um Stunde ein Farbeimer nach dem anderen gefüllt wird, beginnt die Mittagszeit. In der Stadt gehen Mütter mit Kindern und Senioren mit ihren Hunden an der Modau entlang, vorbei an kleinen grünen Brücken. Zäh wie der Fluss fließt auch das Leben im Zentrum: „Tourismus ist nicht unsere Kernkompetenz. Wir sind eher ein Wirtschaftsstandort“, sagt Bürgermeister Schuchmann. Viele Häuser sind proper, an vielen aber ist der Putz grau geworden, blättern die Fassaden ab. Die Kleinstadt braucht noch an vielen Stellen einen frischen Anstrich.
Als „Stadt der Farben“ will der SPD-Politiker sie mit tatkräftiger Unterstützung der Bürger neu positionieren. Offenheit und Vielfalt soll sie ausstrahlen angesichts der vielen Nationen, die hier zusammenleben. „Bunt“ ist Schuchmanns Stichwort. Einen Farb- und Lichtmasterplan hat er auf den Weg gebracht, um für ein harmonisches Ambiente zu sorgen.
Erste Schritte sind bereits getan und einige Häuser erstrahlen in neuen, warmen Rot-Tönen. Natürlich ist auch Caparol mit an Bord. 20 % Preisnachlass gibt das Unternehmen auf die Farben für den Neuanstrich und berät zugleich bei der energetischen Sanierung der Gebäude – Symbiose von Stadt und Unternehmen eben.
Auch wenn der Mittelständler mittlerweile 40 % seines Umsatzes im Ausland erzielt und dort weiter wachsen will, fühlt er sich dem Standort im Odenwald verpflichtet. „Menschen in der Region und in der Stadt Ober-Ramstadt“, sagt Juniorchef Ralf Murjahn, „haben uns mit zum größten deutschen Baufarbenhersteller gemacht.“ Eine schnelle Verkehrsanbindung, eine schöne Umgebung, die auch hochkarätige Mitarbeiter anzieht, und ein gutes Hochschulangebot im Umfeld sorgen für attraktive Rahmenbedingungen.
Simone Hörr ist eine, die schon als Studentin zu Caparol fand. Seit sechs Jahren arbeitet die Innenarchitektin nun im Studio für Farbdesign. Hier werden Farb- entwürfe für ganze Wohnanlagen und Stadtteile gemacht, eine Dienstleistung, die bei den Kunden gut ankommt. Hier werden auch neueste Trends analysiert. „Velvet Affair, Cosmic White und Royal Beige“ heißen aktuelle Farbtöne.
Denn die DAW will nicht nur produzieren. Sie will auch gestalten: „Im Design-Studio kommen Hightech, Kreativität und Kunst zusammen“, sagt Hörr. Die 40-jährige Frau mit der schicken Hochsteckfrisur hat unter anderem das Farbkonzept für die Kinderkrippe auf dem Firmengelände gemacht, ein Projekt, das vor allem den berufstätigen Müttern im Unternehmen den Alltag erleichtern soll. Pastelltöne vermitteln den Zwergen Ruhe und Sicherheit.
Neben den ganz großen Investitionen – 14 Mio. € hat das Unternehmen allein vor zwei Jahren in ein neues Fertigwarenlager gesteckt – setzt die Krippe ein vielleicht kleineres, aber für die Unternehmensleitung ebenso wichtiges Zeichen. „Soziale Verantwortung zu übernehmen“, betont Geschäftsführer Reucker, „gehört auch zu den Werten, die in der Familie Murjahn von Generation zu Generation weitergegeben werden.“ JUTTA WITTE
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