Hier heizen nur die Gedanken ein
Passivhäuser kommen ohne (konventionelle) Heizung aus, aber noch ist ihr Marktanteil gering, etwa 100 Stück gibt es bundesweit. Doch Fachleute erwarten bald einen Boom der sparsamen Häuschen. Jetzt weihte NRW-Bauminister Vesper die ersten Passivhäuser des Landes offiziell ein.
Es ist kalt, bitterkalt. Das Thermometer ist auf – 6 0C gefallen. Über die luftigen Höhen im Bergischen Land pfeift der Wind, dichte Schneeflocken fallen. Die übliche winterliche Kulisse. Und auch das ist normal: Weiße Wölkchen steigen aus fast allen Schornsteinen empor. Allein der Gedanke an ein Haus ohne Heizung verursacht schon Schüttelfrost.
Markus Lücke kann darüber nur schmunzeln. Er bewohnt mit seiner Familie eines von insgesamt fünf neugebauten Passiv-Solarhäusern. Familie Lücke und ihre Nachbarn heizen weistestgehend mit Abwärme – der Körperwärme der Bewohner und der von Glühlampen, Herdplatten und anderen Geräten abgestrahlten Wärme. Das reicht aus, um ein Einfamilienhaus in Passivhaus-Bauweise mit 120 m2 Nutzfläche selbst bei Minustemperaturen mit guten 21 0C Raumtemperatur angenehm warm zu halten.
Im Mai vergangenen Jahres ist die Familie eingezogen und hat bis heute schon einiges an Betriebskosten eingespart. Denn nur bei extremen Frostperioden oder wenn die Lückes mal im Winter für einige Tage verreisen, wirft das Familienoberhaupt eine kleine 1200-Watt-Gasheizung an, die nicht viel größer ist als die eines Wohnmobils.
Von den Passivhäusern sind heute auch die Bewohner Lindlars überzeugt, die das Projekt anfangs skeptisch beäugt haben. „Erst haben alle mit dem Kopf geschüttelt, heute macht unsere Wohnidee im Dorf die Runde“, sagt Passivhaus-Pionier Lücke. Dabei geht alles mit normalen Dingen zu, sprich: mit standardisierten Bauteilen und handelsüblichen Materialien.
Geplant hat das Projekt der Kölner Architekt Manfred Brausem. Wer die fünf Häuser von außen sieht, dem fällt zunächst außer der kompakten Bauform mit Pultdach nichts besonderes auf.
Bei näherer Betrachtung werden dann die Details der strengen Südausrichtung des Baukörpers erkennbar: Auf der Nordseite nur sechs winzige Fenster, um zur kalten Seiten keine Energie zu verlieren, dafür große, raumhohe Fenster nach Süden, die als Wärmefalle dienen, also viel Wärme hinein und aufgrund ihrer Konstruktion wenig wieder hinaus lassen. Auch innen folgt die Grundrißaufteilung der geographischen Ausrichtung. Hinter den großen Südfenstern wurden die Wohnräume angeordnet, Nebenräume, Bad und das Treppenhaus hat Brausem Richtung Norden untergebracht. Wohn- und Eßzimmer dienen so als Wärmespeicher.
Nur das alleine würde natürlich nicht für wohlige Wärme ganz ohne Heizung ausreichen. Die Isolierung der Außenwände hat daran einen hohen Anteil. Die Zwischenräume zwischen den tragenden Teilen der Außenwand – die Häuser entstanden in Holz-Ständerwerksbauweise – wurden mit Dämmmaterial ausgekleidet. Zusätzlich zu diesen 30 cm Dämmschicht wurden weiter 7 cm auf der Außenwand unter der Fassadenverkleidung versteckt.
Für eine extrem hohe Dichtigkeit der äußeren Gebäudehülle wurde auch gesorgt, die wurde dann mit dem blower-door-Test überprüft. Ergebnis: Das Haus ist nahezu luftdicht. „Durch diese Bauweise ist der Energiebedarf gegenüber einem vergleichbaren, konventionell erstellten Haus, um fast 80 % gesunken“, freut sich Architekt Brausem.
Familie Lücke fühlt sich jedenfalls im neuen Heim wohl. Alle Wärme, die auch in diesen kalten Wintertagen durch die Sonneneinstrahlung ins Haus hineinkommt, wird im Innern gespeichert. Trotzdem droht hier nicht der Erstickungstod wegen Sauerstoffmangels: Aus speziell angebrachten Düsen strömt in jedes Zimmer von der Decke ausreichend frische Luft. Eine zentrale Lüftungsanlage sorgt über einen Wärmetauscher für eine angenehme Luftzirkulation. Um die Außenluft im Winter vorzuwärmen und im Sommer zu kühlen, sind Lüftungsrohre ins nahe Erdreich verbannt worden. Diese Wärmerückgewinnung hat nichts mit einer Klimaanlage zu tun. Im Gegensatz zu manchen High-Tech-Konstruktionen ist die Passivhaus-Siedlung im Bergischen Land eher „light“ ausgefallen. Komplizierte Technik findet man in Brausems Projekt nicht.
Eine wirklich angenehme Lösung für die Hausbewohner. So wird die Warmwasserbereitung zu etwa 65 % durch eine Solaranlage sichergestellt, die Nacherwärmung im Winter geschieht durch einen elektronischen Durchlauferhitzer. Zum ganzheitlich-ökologischen Konzept gehört auch eine Regenwasserzisterne. Das darin gesammelte Wasser wird zum Betrieb von Waschmaschine, Toilette und zur Gartenbewässerung genutzt. „Dadurch haben wir unseren Trinkwasserverbrauch um fast 40 % reduzieren können“, sagt Lücke.
Die familiäre Energiebilanz wird noch dadurch optimiert, daß ausschließlich stromsparende Elektrogeräte und ein energieeffizientes Beleuchtungssystem betrieben werden.
Die bisherige Praxis hat vielen Planern und Architekten beim Thema „Passivhaus“ einen Strich durch die Rechnung gemacht, denn die Konstruktionen waren vielfach einfach zu teuer. Ganz anders die Häuschen in Lindlar. Durch computergesteuerte Planung, Vorfertigung und kurze Bauzeiten betrugen die reinen Baukosten der Lindlarer Siedlung etwa 2300 DM/m2 Wohnfläche. Damit konnte Architekt Manfred Brausem sogar die ortsüblichen Preise von 2500 DM/m2 bei konventioneller Bauweise unterbieten.
Kein Wunder, daß NRW-Bauminister und Grünen-Politiker Michael Vesper beim offiziellen Einweihungstermin vor kurzem diese Häuser als nachahmenswert hervorhob: „Dieses Projekt beweist, daß ökologische Passiv-Solarhäuser nicht mehr teurer sein müssen als herkömmliche Häuser“, so Vesper. Wegen des Pilotcharakters hat die Landesinitiative Zukunftsenergie NRW die kleine Siedlung zum Leitprojekt auserkoren.
Die in Wuppertal ansässige Energieagentur NRW verstärkt bereits ihre Bemühungen, alle potentiellen Bauherren von den Vorteilen der Passivhäuser in Kenntnis zu setzen. „Wohnen fast ohne Heizung bringt viel für den Klimaschutz und für den Geldbeutel“, erklärte Norbert Hüttenhölscher, Leiter der Wuppertaler Beratungsgesellschaft. Markus Lücke ist davon längst überzeugt. Um seinen zusätzlichen familiären Energiehunger zu stillen, brauchte Markus Lücke seit seinem Einzug bis heute erst drei Flüssiggasflaschen. Damit wird der „Camping-Ofen“ angetrieben, wenn für einige Wochen die natürlichen Wärmespender nicht ausreichen. Kostenpunkt: insgesamt 195 DM. Und dabei kocht Familie Lücke auch mit dem Campinggas. „Ich kann mir kein anderes Wohnen mehr vorstellen“, meint Lücke zufrieden.
WIP/MIF
Infos über: Energieagentur NRW, Morianstraße 32, 42103 Wuppertal, Tel: 0202/24552-0, Fax: 0202/24552-30, Internet: http://www.ea.nrw.de . Passivhaus Informationskreis, Lange Straße 20, 34131 Kassel, Tel: 0561/33125, Fax: 0561/33124
Würfelförmig, praktisch, gut: Die kompakte Form der Passiv-Solarhäuser in Lindlar schützt die Innenräume vor unnötigem Wärmeverlust, die großen Fenster auf der Süd- und die kleinen Fenster auf der Nordseite (kleines Foto oben) unterstützen die Wärmefallenwirkung des nahezu würfelförmigen Baukörpers noch.
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