Hier findet der Regen in der Halle statt
Beim größten Bau Zürichs spannen parabelförmige Träger das Dach über 91 m weit ohne Stützen, die Eindeckung besteht aus Folie und drinnen herrscht ein feuchtwarmes Klima wie im Tiefland-Regenwald auf der Masoala-Halbinsel, einem Teil Madagaskars. Vor kurzem wurde die Erweiterung des Zoos eingeweiht, die bedrohten Arten Zuflucht bietet.
Madagaskar, die viertgrößte Insel der Welt, gilt unter Naturliebhabern und Biologen als eines der außergewöhnlichsten Länder der Erde, denn hier existieren Pflanzen und Tiere, die es sonst nirgendwo gibt.
Aber gleichzeitig zählt die Insel zu den größten Sorgenkindern der Naturschützer, denn der Regenwald schrumpft zusehends und damit der Lebensraum seltener Arten. Nur etwa 4% des Regenwaldes sind derzeit noch intakt.
Viele fürchten auch um diesen letzten Rest und engagieren sich für den Erhalt seltener Spezies. So auch der Züricher Zoo, der sich bereits seit Jahren stark macht für den Erhalt des „Masoala“ Nationalparks, benannt nach der gleichnamigen Halbinsel im Nordosten Madagaskars. Bereits 1991 begannen die Planungen für das Masoala-Regenwaldhaus. Ziel des Projekts ist, die ökologischen Zusammenhänge so naturnah und authentisch wie möglich nachzuvollziehen.
Warm und feucht ist es auf der Halbinsel Masoala. Hier wächst bei Temperaturen zwischen 17° C und 35° C und einer Luftfeuchtigkeit von über 65 % ein immergrüner Tiefland-Regenwald mit einzigartigen Bäumen, Palmen, Farnen, Moosen, Lianen und Orchideen.
Für die beteiligten Planer hieß dies, Konstruktion und Technik des Gebäudes in den Hintergrund treten zu lassen und ein Haus zu entwickeln, dessen Bau und Betrieb hohen ökologischen Ansprüchen genügt. Das Raumprogramm umfasste neben der etwa 10 600 m² großen Halle ein Informationszentrum (450 m²), ein Restaurant für 200 Gäste, ein Foyer mit Zoo-Shop, Betriebsräume sowie die Zentrale für die Gebäudetechnik.
Die Halle sollte in Teilbereichen eine lichte Höhe von 30 m ausweisen und mit einem hoch lichtdurchlässigen Material gedeckt werden. Die Klimadaten von Masoala bildeten die Basis für das aufzubauende Hallenklima.
Die Planungen begannen 1993, doch bis zur feierlichen Einweihung war es ein langer Weg. Nach Erstellung einer Machbarkeitsstudie, Bildung des Projektteams und zweimaligen Planungsunterbrechungen von insgesamt 3,5 Jahren – hervorgerufen durch Einsprüche und Forderungen nach einem anderen Standort – konnten die Bauarbeiten im Februar 2001 starten und im Juni 2002 beendet werden.
Charakteristische Elemente der Klimahülle, deren Entwurf von den Züricher Architekten Gautschi Storrer stammt, sind die transparente Dachkonstruktion aus ETFE-Folien und die zehn parallel verlaufenden Bogenbinder. Letztere stellen das Haupttragwerk dar und überspannen stützenfrei die 91 m breite und 118 m lange Halle. Von der Traufe bis zum Scheitelpunkt erreichen die als Vierendeel-Träger ausgebildeten Bögen eine Höhe von 23 m, vom tiefsten Punkt des Regenwaldhauses aus sind sie rund 30 m hoch. Der Achsabstand der Bögen beträgt 12,30 m. Für die Aussteifung sorgen Diagonalverbände, die in zwei Bogenfeldern in der Dachebene des Tragwerks angeordnet sind. 26 Pfettenzüge im Abstand von etwa 4 m verbinden die Bögen in Hallenlängsrichtung.
Die Dachhaut besteht – um möglichst optimale Lichtverhältnisse zu schaffen – aus ETFE-Folie. Es handelt sich hierbei um ein Fluorpolymergewebe, das gegenüber chemischen und biologischen Beanspruchungen extrem widerstandsfähig, langfristig UV-stabil und witterungsbeständig ist. Die Folie hat eine Lichttransmission von 94 % und weist diese Durchlässigkeit – im Gegensatz zu Glas – auch im ultravioletten Strahlungsspektrum auf. Sie ermöglicht damit eine nahezu natürliche Lichteinstrahlung, die Grundvoraussetzung für das Wachsen und Gedeihen der Pflanzen und Tiere.
Die Dacheindeckung erfolgte mit dreilagigen, luftgefüllten „Pneus“, die am Rand verschweißt und in Profilen gehalten werden. Die beiden äußeren Folien haben eine Stärke von 200 µm, die mittlere Lage ist 100 µm stark. Die notwendige Wärmedämmung wird über die Doppelkammern der Luftkissen erzielt. Die gesamte Dachfläche besteht aus 54 Pneus mit einer Breite von 4 m und einer Länge von ca. 52 m. Die beiden Pneus eines Feldes verlaufen von der Traufe bis zum Scheitel und stoßen dort aneinander.
Nur die beiden 3,6 m breiten Pneus entlang der Ortgänge verlaufen über den Scheitelpunkt hinaus von Traufe zu Traufe und sind mit einer Länge von 105 m vermutlich die längsten Pneus der Welt. Die Pneus der Fassaden sind bis zu 23 m hoch und zwischen 3,0 und 4,2 m breit. Die Luftmenge, die zur Stabilisierung der Luftkissen und zur Minimierung des Kondensats erforderlich ist, wird durch vier Gebläsestationen über ein verzweigtes Luftleitungssystem zugeführt. Der normale Überdruck in Pneus beträgt gegenüber dem Außendruck etwa 300 Pascal, dies entspricht einer Flächenbelastung von 30 kg/m².
Für die natürliche Belüftung des Regenwaldhauses sind über die gesamte Hallenlänge an den Traufen zwei Klappenzüge angeordnet. Im Scheitelbereich befinden sich weitere neun Klappen, die mit 16 m² großen Pneus eingedeckt sind. Ein komplexes System aus Heiz- und Kühlkreisläufen sorgt dafür, dass in der Halle – genau wie im Masoala-Regenwald – Temperaturen zwischen 17° C und 35° C herrschen. Für die Einhaltung der richtigen Luftfeuchtigkeit sind eine Befeuchtungs- und eine Beregnungsanlage installiert, die beide über Regen- und Trinkwasser gespeist werden.
Nach Fertigstellung der Bauarbeiten wurden die Seen und die künstlichen Wasserläufe angelegt, Baumriesen und einzigartige Palmen gepflanzt und die Tiere in ihr neues Domizil umgesiedelt. Am 30. Juni 2003 war es dann soweit: Nach zehnjähriger Vorbereitungs- und Bauzeit konnte das Masoala Regenwaldhaus endlich eröffnet werden. JOLA HORSCHIG/wip
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