Heiße Diskussion um bromierten Flammschutz in Baudämmstoffen
VDI nachrichten, Berlin, 13. 6. 08, swe – Heute sorgt beim Wohnungsbau in Deutschland eine Isolation dafür, dass die Wärme in den Räumen bleibt. Die Bewohner müssen weniger heizen. Das kommt dem Geldbeutel und dem Klimaschutz zugute. Doch ein Makel bleibt haften. In den oft für die Dämmung verwendeten Polystyrolschäumen stecken bromierte Flammhemmer, die Umweltschützer für bedenklich halten.
Als Dämmmaterial der Wahl werden schon seit Jahren Polystyrolschäume verwendet. In Form einer gelben Masse stecken sie in den Fugen von Fenstern und Türen oder hängen in Form von Platten unterm Dach. Die Schäume sind besonders preiswert Schafwolle oder Kork haben dagegen keine Chance.
Doch die Bewertungsbehörden für Chemikalien beäugen diese Polystyrolschäume kritisch. Denn sie enthalten fast immer den bromierten Flammhemmer Hexabromcyclododecan (HBCD). „Diese Substanz reichert sich in der Umwelt und in der Nahrungskette an. Sie gilt als toxisch und steht im Verdacht, das Nervensystem zu schädigen und die Fortpflanzung zu beeinträchtigen“, führt Christiane Heiß, Chemikerin am Umweltbundesamt, die Kritik aus.
Für HBCD könnte aus diesen Gründen eine Zulassung im Rahmen der neuen EU-Chemikalienverordnung (Reach) erforderlich werden. Dann dürfte die Verbindung allenfalls noch begrenzte Zeit verwendet werden. Zusätzlich noch gäbe es die Auflage, nach einer Alternative zu suchen. Dies würde über kurz oder lang das Aus für HBCD bedeuten.
Eine Zulassung ist aber nur erforderlich, wenn die Chemikalie sowohl schwer abbaubar (persistent) ist, giftig (toxisch) ist und sich über die Maßen in der Umwelt anreichert (bioakkumulierend). Fachleute sprechen von der PBT-Einstufung. „HBCD wird definitiv als bioakkumulierend und toxisch angesehen. Unklar ist, ob sie auch als schwer abbaubar eingestuft wird“, sagt Heiß.
Dabei war man sich noch bis vor kurzem sicher, HBCD sei schwer abbaubar, weil es in Sedimentkernen und auch in entlegenen Erdregionen gefunden wird. Dann die überraschende Wende. Die Industrie legte den Behörden neue, noch unveröffentlichte Daten vor, die zeigen, dass HBCD im Gewebe von Schweinswalen vor der britischen Küste nahe Aycliffe rasch abgebaut wurde, nachdem die Produktion dort 2003 eingestellt wurde.
Anfang Mai 2008 kommentierte das wissenschaftliche Bewertungsgremium der EU, der Scientific Council on Health and Environmental Risk (SCHER), die neuen Ergebnisse: „Das könnte darauf hindeuten, dass die Substanz in der Umwelt nicht so schwer abbaubar ist und dass die PBT-Einstufung nach der Veröffentlichung der Daten überdacht werden muss.“ Weiter heißt es: Die Persistenz steht auf der Kippe.
Noch ist ungewiss, wie diese Entscheidung ausgeht. Die Industrie gibt sich gelassen. In ihren Forschungsabteilungen soll es jedoch rumoren, wenn man dem Flammschutzmittelexperten Manfred Döring vom Forschungszentrum Karlsruhe glauben darf: „Die Flammschutzmittelhersteller suchen alle insgeheim nach Alternativen“, verrät er. „Aber wenn es ruchbar wird, dass es eine halogenfreie Alternative gibt, dann wird HBCD sofort verboten. Deshalb halten sie gemeinsam still, solange es geht.“ Ein Ersatzstoff wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit teurer. Ein drohendes Verbot könnte die Preise für den Ersatz erst recht in die Höhe treiben.
Bislang gibt es jedoch, so Döring, tatsächlich keinen Ersatz. Das Umweltbundesamt teilt diese Position. „Man könnte allerdings vollkommen andere Dämmmaterialien einsetzen, etwa Naturmaterialien wie Schafwolle, die teilweise ohne Flammschutzmittel auskommen. In Schweden gibt es im Übrigen andere Brandschutzbestimmungen. Deshalb wird dort gar kein HBCD für Polystyrolschäume eingesetzt“, schildert Heiß verschiedene Optionen.
Laut Döring sucht die israelische Firma ICL, einer der drei Hersteller von HBCD, selbst nach einem alternativen Mittel. „Das wäre aber wieder eine bromhaltige Verbindung. Da frage ich mich, ob wir damit nicht vom Regen in die Traufe kommen“, wirft Döring ein.
Auch BASF SE forscht gemeinsam mit anderen Herstellern von Polystyrolschäumen unter dem Dach des Verbandes Plastics Europe seit acht Jahren an einem Ersatz für HBCD. Die Hersteller bromierter Flammschutzmittel würden alternative Substanzen bereitstellen, die unter anderem bei dem deutschen Chemieunternehmen getestet werden. Bislang ohne befriedigendes Ergebnis, teilt Ulla Biernat mit, zuständig für Kommunikation im Bereich Kunststoffe bei BASF SE. Das Anforderungsprofil sei derart komplex, begründet sie die Situation.
Flammschutzmittel für Polystyrolschäume dürfen nicht wasserlöslich sein, weil sie sonst bei der Herstellung ausgeschwemmt werden können, bei der teilweise Wasser zugegen ist. Außerdem können die Dämmmaterialien auch in Gebäuden mit Feuchtigkeit in Kontakt kommen. „Daran sind bislang einige Ersatzstoffe gescheitert“, beurteilt Döring.
Daneben gibt es weitere Kriterien für einen bromfreien Neuling: Die erforderlichen Mengen sollen ebenso gering sein wie bei HBCD, von dem nur 2 % bis 4 % für einen flammgeschützten Schaum benötigt werden. Und nicht zuletzt soll er schonender für Gesundheit und Umwelt sein.
Trotz der zahlreichen Hürden glaubt Döring, dass in zwei bis drei Jahren eine Alternative gefunden werden könnte. Er selbst hat bereits klare Vorstellungen, wie dieses Ziel erreicht werden kann: Man benötige gasphasenaktive Flammschutzmittel, weil die Polystyrolschäume eine große Oberfläche haben. So wie bromierte Flammhemmer über gasförmigen Bromwasserstoff wirken, könnten phosphorhaltige Flammschutzmittel über austretenden Phosphorwasserstoff den Brand unterdrücken.
„Es wird eine Kombination mehrerer Substanzen sein“, ist sich der Chemiker sicher. Decabromdiphenylether sei auch durch eine Kombination phosphor-, stickstoff- und borhaltiger Chemikalien ersetzt worden. „Die Kosten für einen Ersatz werden aber in jedem Fall etwas höher liegen als bei HBCD.“
Döring rechnet damit, dass HBCD über kurz oder lang verboten werden wird. So werde auf EU-Ebene bereits geplant, die Substanz in Kunststoffgehäusen von Elektronikgeräten zu verbieten. Ein Verbot von HBCD in Polystyrol steht aber nicht bevor.
Laut BASF SE hätte ein solches Aus für den bromierten Flammhemmer zum jetzigen Zeitpunkt massive Folgen: Ein Großteil der Polystryolproduktion für den Bausektor müsste geschlossen werden. Vor allem mittelständische Verarbeiter wären betroffen. SUSANNE DONNER
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