Groß, größer, Dubai
VDI nachrichten, Dubai, 16. 3. 07, sta – Die Stadt der gewagtesten Architektur-Phantasien, der gewaltigsten Baustellen und des schnellen Geldes – das ist Dubai. Nirgendwo sonst auf der Erde drehen sich mehr Kräne auf einem Fleck. Auch Firmen aus Deutschland wollen vom Boom profitieren.
Nach sechs Stunden Nachtflug drücken sich die Gäste der Emirates Airlines an den Bordfenstern die Nasen platt. Unter ihnen glitzert und leuchtet – flach wie auf dem Reißbrett – das Ziel ihrer Träume: Dubai. Willkommen in der Stadt der Wunder, der Gigantomanie, der Millionäre. Was folgt, sind zwei Stunden Wartezeit auf den Bus, der im Stau stecken geblieben ist. Typisch für die Boomtown: Wo sich viel bewegt, bleibt auch einiges stehen.
Dörthe und Manfred Köpf aus Dessau sind müde. Schweren Herzens haben die beiden ihren Betrieb zur Herstellung von Bodenbelägen unter die alleinige Regie ihrer Mitarbeiter gestellt. Das Ehepaar hat die dreitägige Reise auf sich genommen, um neue Kundenkreise zu erschließen. Mit dem gleichen Vorsatz gekommen sind auch zwei Ingenieure, ein Autohändler, ein Softwareentwickler, eine Frau, die im Immobiliengeschäft tätig ist und zwei Leute, die sich im Finanzmanagement für Firmen und Privatpersonen auskennen. Gefolgt ist die Gruppe einer Einladung des German Innovation Centre (GIC). Geschäftsführer Kay Zuchold (35) und Yassin Nasri (42) unterstützen deutsche Mittelständler beim Sprung in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE).
„Die Deutschen haben hier einen guten Ruf“, erklärt Nasri. Sie seien ausgezeichnete Tüftler, gründlich – und langsam. Beim zuletzt genannten Adjektiv geht ein Raunen durch die Runde. „Ja“, sagt er gedehnt. „Die Deutschen sind bienenfleißig, aber im schnellen Handeln können sie mit der Konkurrenz nicht mithalten.“
Was es heißt, schnell zu handeln, wird den Zuhörern beim Blick aus dem 200-m2-Büro der Berater klar: Groß, überwältigend, verrückt, unglaublich – alles keine Ausdrücke für das, was hier passiert. Im Zeitraffer von nur drei Jahrzehnten hat sich Dubai, einst eine kleine Hafenstadt am arabischen Golf, in die Zukunft katapultiert. Das 1999 fertiggestellte Hotel Burj Al Arab mit aufgeblähtem Segel und ebensolchen Preisen für eine Übernachtung, war der Anfang einer Reihe nicht enden wollender, spektakulärer Ideen internationaler Investoren, die auf die Stadt fliegen wie Bienen auf den Honig. Das mit 321 m höchste Hotel der Welt hat seine Architekten und Dubai weltweit bekannt gemacht. 70 000 m3 Beton und 9000 t Stahl formen 28 Stockwerke in einem wabenartigen Gebilde. Sekundenschnell und fast unmerklich gelangt der Gast zu den 202 Suiten, sobald sich die mit Blattgold belegten Türen der Fahrstühle geschlossen haben. In den märchenhaft luxuriösen Räumen über zwei Etagen lesen persönliche Butler aus aller Herren Länder den Bewohnern jeden erdenklichen Wunsch von den Augen ab.
Vom hoteleigenen, auf 211 m Höhe angebrachten Hubschrauberlandeplatz ist die Baustelle des „Burj Dubai“ zu sehen. Schon jetzt ist das Skelett aus Stahlbeton mit 380 m höher als jedes andere Gebäude im arabischen Raum und in Europa. Und alle drei Tage wächst der Turm um ein weiteres Stockwerk. Wie viele es am Ende werden, ist geheim. Schätzungen gehen von bis zu 216 aus. Dann wäre das Monument über 1 km hoch. Erwartete Baukosten: 1,8 Mrd. $.
„Wenn du die Gelegenheit hast, im höchsten Gebäude der Welt zu leben, ist dir ein Platz in der Geschichte sicher.“ Mit dieser Einschätzung wirbt Emaar, die dubaische Baugesellschaft, für rund 900 Luxusappartements und über 30 Büroetagen. Etwa 60 Fahrstühle werden den Menschen das Treppensteigen abnehmen. Sie sollen mit der unglaublichen Geschwindigkeit von 65 km/h in die Höhe schießen.
Nicht nur in der Höhe setzt Dubai neue Maßstäbe. Auch Flächenbauten erreichen hier bisher nicht gekannte Ausmaße. Ein Beispiel sind die Palm Islands – drei künstliche Inselgruppen in Form von Palmen. Insgesamt sollen die Aufschüttungen eine Fläche von 50 km² erreichen. Damit wären sie 25 mal größer als das Fürstentum Monaco. Darauf entstehen sollen Hotels, Malls sowie Villen mit Pool und Liegeplätze für die eigene Yacht. Das alles verkauft sich in Sales Centern innerhalb weniger Stunden, auch wenn vieles erst einmal nur im Modell zu sehen ist. Hintergrund: Wer eine Immobilie erwirbt, erhält gleichzeitig einen Aufenthaltsstatus. Erst seit einem halben Jahr dürfen Ausländer auch Boden besitzen.
Von all dem Reichtum, der hier geschaffen wird, haben die Erbauer dieser Projekte nichts. Für 150 € Monatslohn schuftet ein Heer armer Männer aus Pakistan, Indien und Bangladesch zwischen Sand, Beton und Stahl. Unfälle, über die kaum einer spricht, sind an der Tagesordnung. Nur am Freitag, wenn der Imam zum Gebet in die Moschee ruft, haben sie frei. Und eigentlich auch dann, wenn das Thermometer über 44 ºC klettert. In der Praxis passiert das oft – offiziell aber nur selten.
25 % der Kräne, die auf der Erde existieren, drehen sich in der Stadt. Bald auch dort, wo noch der Wüstenwind Sandkörner vor sich hertreibt. In der „Falcon City of Wonders“ beispielsweise werden u. a. der Schiefe Turm von Pisa, der Eiffelturm, die Kanäle Venedigs, die Chinesische Mauer, das Tadsch Mahal und die Pyramiden von Gizeh nachgebaut – teils größer als das jeweilige Original. Dazu Hotels und Wohnviertel, angebunden an siebenspurige Schnellstraßen. Geplante Kosten: 1,5 Mrd. $. Der Bau hat bereits begonnen.
Zurück auf einer der künstlichen Inseln sollen Gäste aus aller Welt vor dem Hotel „Atlantis“ mit Delfinen schwimmen oder sich im großzügigen Wasser-Themenpark vergnügen können. In die erste Entwicklungsphase des 1000 Zimmer umfassenden Luxustempels fließen gerade 650 Mio. $.
Auch an die Einheimischen wird gedacht. Sie bekommen eine Krankenhausstadt. „Healthcare City“ erspart ihnen künftig die Reise zu den besten Ärzten Europas und der USA. Die Top-Mediziner sollen künftig zu den Scheichen kommen. Millionenschwerer Gesundheitstourismus inklusive. Geplant sind 350 Kliniken mit Forschungs-, Reha- und Wellnessbereichen. Die Investitionssumme für die Infrastruktur beläuft sich auf etwa 1,8 Mrd. $.
„Diese astronomischen Investitionen machen Sinn“, finden Zuchold und Nasri, zurück vom Sightseeing mit ihren deutschen Gästen. Scheich Mohammed bin Rashid Al Maktoum manage sein Emirat, dem in spätestens 20 Jahren das Öl ausgeht, wie ein Unternehmen. „Es ist die Aufgabe einer Regierung, Möglichkeiten zu schaffen“, zitiert Zuchold den milliardenschweren Herrscher über ein Volk von 130 000 Menschen. Der Ostdeutsche findet dessen Ansicht genial. „Seit dem die Frauenkirche in Dresden wieder aufgebaut wurde, strömen weit mehr Touristen in die sächsiche Stadt als je zuvor. Die Pyramiden in Ägypten zählen jedes Jahr um die vier Millionen Besucher. Das hier hat denselben Effekt, es passiert jetzt schon.“
Mit Indien und Afrika vor der Haustür, China und Europa im Blick, sei Dubai das Drehkreuz und der Handelsplatz für die Welt schlechthin. Die VAE sind für Deutschland der wichtigste arabische Handelspartner. Dazu gibt es ein wirtschaftsfreundliches Umfeld: keine Einkommens- und Mehrwertsteuer, keine Gewerkschaften. „Und was ist mit Ladenöffnungszeiten“, fragt einer aus der Runde. Nasri schüttelt den Kopf. Das sei die kurioseste Frage, die er seit Langem gehört habe.
Die Teilnehmer der Reisegruppe sind beeindruckt. Die einen fahren mit einem Kulturschock nach Hause, die anderen mit Plänen für eine Niederlassung. Nach Gesprächen mit einem ortsansässigen Fußbodenverkäufer überlegen die Köpfs noch, ob sich ein Schritt nach Dubai lohnt. Das könnte gut sein: Die Flure von „Healthcare City“ haben schließlich Qualitätsarbeit verdient. HEIKE BALDAUF
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