Freie Fahrt durch die Staustufe Bremen
Nach mehr als drei Jahren Bauzeit geht am 3. Juli in Bremen die neue große Schleusenkammer der Weserstaustufe in Betrieb. Mit dem Neubau der Kammer wurde ein weiterer Schritt zur Erneuerung des Bauwerks in Bremen vollzogen.
Im Jahr 1993 begann das Wasser- und Schiffahrtsamt Bremen die Erneuerung des Weserwehres. Mit Inbetriebnahme der großen Schleusenkammer heißt es jetzt freie Fahrt für die Großschiffahrt auf der Weser. Als abgeschlossen gilt die Maßnahme jedoch erst im Jahre 2001, und zwar mit Beendigung des Neubaus der kleinen Schleusenkammer, der sogenannten Bootsschleuse. Dann dürfte die gefahrlose und betriebssichere Nutzung der neuen Schleusenanlage dauerhaft sichergestellt sein.
„Die Substanz der alten Schleuse war – kurz gesagt – marode“, faßt Gerhard Steinmetz, Mitarbeiter des Wasser- und Schiffahrtsamtes Bremen, als Sprecher des Bauherren die Gründe für die Erneuerungsarbeiten zusammen. „Vor allem die Wehranlage wurde im Laufe der Jahre durch Hochwassereinflüsse und nicht zuletzt auch durch Kriegseinwirkungen stark beschädigt und mußte immer wieder saniert werden.“
Dabei waren es nicht die alliierten Bomberverbände, die das in den Jahren zwischen 1906 und 1909 errichtete Schleusenbauwerk schädigten. Bereits 1912 erlitt die Bausubstanz erstmals nachhaltig Schaden, als die Mittelmauer der Schleuse einstürzte. 1946 zerstörte ein außergewöhnliches Hochwasser die rechte Kammerwand der kleinen Nebenschleuse, und in den Jahren danach setzten Hochwässer und auch die veränderten hydrostatischen Bedingungen dem Bauwerk so stark zu, daß ein Neubau der Weserschleuse zur Gewährleistung einer gefahrlosen und betriebssicheren Nutzung unumgänglich wurde.
Eine weitere Ursache, die zur Schädigung der Schleusenanlagen führte, waren veränderte hydrologische Gegebenheiten: So trat durch das Absinken des Tideniedrigwassers eine periodisch höhere Wasserstandsdifferenz zwischen Oberwasser und Unterwasser ein, für die das Bauwerk in seiner Konstruktion nicht ausgelegt war. Und mit der Verlegung des Staues an das neue Wehr im Frühjahr 1993 war im Nahbereich der Schleusen eine permanente Erhöhung der Grundwasserstände zu beobachten.
„Die ursprüngliche Staustufe aus den Anfängen dieses Jahrhunderts bestand aus einer 350 m langen und 12,5 m breiten Kammerschleuse, die speziell für Schleppverbände – das heißt für ein angetriebenes Fahrzeug mit mehreren anhängenden Lastkähnen – konzipiert war“, schildert Steinmetz die Ausgangslage der Bauarbeiten, die nach dem Planfeststellungsbeschluß im Jahre 1995 begannen. Neben dieser großen Schleuse gab es noch eine kleinere, ebenfalls 12,5 m breite Anlage.
Auch die neue Anlage wird aus zwei Schleusen bestehen: Für die durchgehende Berufsschiffahrt ist eine Kammer von 225 m x 12,5 m vorgesehen, die als Eingangsschleuse zur Mittelweser die gleichzeitige Schleusung von zwei Großmotorgüterschiffen ermöglicht. Der um 2,5 m tiefer gelegte Drempel des Unterhauptes erlaube Schleusungen auch bei extremen Tideniedrigwasserständen, erläutert Steinmetz. Das Drucksegmenttor als Obertor diene der Befüllung der Schleusenkammer über eine Füllmuschel. Es werde für die Freigabe der Einfahrt voll abgesenkt und könne zu Wartungszwecken in eine trockene Hochlage gedreht werden. Daneben findet sich eine kleinere 25 m x 6,5 m messende, automatisch betriebene Kammer, die vornehmlich von Freizeitskippern rund um die Uhr befahren wird, während das Betriebspersonal der Anlage die Verkehrsschleuse für die Berufsschiffahrt in gewohnter Weise steuert.
Bereits während der Planungsphase habe es sich gezeigt, daß der Neubau der Weserschleuse kein Bauvorhaben wie andere, vergleichbare Projekte werden würde, erinnert sich Steinmetz. Man verzichtete aus ökologischen und wirtschaftlichen Gründen darauf, ein neues Bauwerk an anderer Stelle zu errichten. Statt dessen baute man die neue Schleuse in die alte Bausubstanz hinein. Es sei im Interesse der Aufrechterhaltung des Schiffsverkehrs unumgänglich gewesen, „unter Verkehr“ zu arbeiten. Während man die zweite Aufgabe durch Nutzung der großen Kammer gelöst hatte, waren jedoch umfangreiche zusätzliche Maßnahmen zur Sicherung der bestehenden Baumasse erforderlich.
So begannen die Bauarbeiten mit der Unterfangung der Mittelmauer zwischen den beiden Schleusenkammern. Die partielle Bodenvermörtelung mit Hilfe von unter Hochdruck eingebrachter Zementsuspension sorgte unter der Mauer in Form von 181 Hochdruckinjektionssäulen als neues Fundament für die Standsicherheit und versetzte das betagte Bauwerk in die Lage, den laufenden Schiffsverkehr während der unmittelbar benachbart laufenden Tiefbauarbeiten für die Großschiffahrtsschleuse aufzunehmen.
Innerhalb des bis NN +5,5 m hochwassersicheren und gegen die Tide abgeschirmten Baufeldes wurde zunächst die Arbeitsebene zur Herstellung der Baugrube für das Unterhaupt aufgeschüttet. Bis Juli 1996 konnten die äußeren Umfassungswände als lamellenverstärkte Wellenspundwände eingebracht und die Aussteifungslage hergestellt werden. Parallel dazu wurde auf einer zweiten Arbeitsplanie mit den Spundwandarbeiten für das Oberhaupt begonnen, da hier eine Baugrubenwand mit temporären Schrägankern gesichert werden mußte.
In der ausgekofferten, aber noch immer wassergefüllten Unterhaupt-Baugrube wurden bis Ende November 1996 die Gründungspfähle von einem hydraulisch verschiebbaren Rammwagen aus gerammt, nachfolgend wurde die 1,75 m dicke Unterwasserbetonsohle eingebracht. Nach dem Lenzen ließ sich die trockene, fast 11 m tiefe Baugrube am 28. Januar 1997 erstmals betreten. Anschließend wurde mit den umfangreichen Bewehrungsarbeiten der 2 m dicken und mit zahlreichen Schwellen und Einbauten versehenen Häupter-sohle begonnen. 2178 m3 Beton der konstruktiven Unterhauptsohle hatten – nach einem 47stündigen Arbeitsgang – die Leute vom Bau am 25. April 1997 fertig eingebaut.
Für alle Beteiligten war die Betonverarbeitung stets eine besonders kritische Phase der Bauarbeiten, galt es doch, „Frisch-in-Frisch“-Beton von absolut identischer Konsistenz und Güte anzuliefern und einzubauen. Bei den benötigten Mengen, insgesamt mehr als 43 000 m3, mußte der einmal erstellte Lieferplan genau eingehalten werden.
Für die hohen Anforderungen, die an die Schleusenanlage gestellt werden, galt es, Beton der Festigkeitsklassen B 25 und B 35 zu mischen. Er muß je nach Lage der Einzelbauteile wasserundurchlässig, frostsicher, hochverschleißfest und resistent gegen chemischen Angriff und Tausalze sein. Um eine besonders dichte Betonoberfläche herzustellen, wurde zur besseren Restwasseraufnahme ein spezielles Schalhautmaterial (Zemdrain) eingesetzt.
Neben den baulichen Besonderheiten zeichnete sich der Neubau der Weserschleuse durch weitere – teilweise problematische – Eigenheiten aus, die in der besonderen Lage des Stauwerkes begründet sind. Da mußten z.B. „die Einflüsse sowohl der Ebbe wie auch der Flut während der gesamten Bauarbeiten berücksichtigt oder, genauer gesagt, von der Baugrube ferngehalten werden“, so Steinmetz. Es sei darum gegangen, u.a. Wandverformungen aus Gründen der Standsicherheit und für nachfolgende Betonarbeiten konstant zu halten.
Ein weiteres Problem bildeten Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg. Bereits bei den Arbeiten an der Wehranlage fanden und entschärften die Kampfmittelräumdienste insgesamt sechs 250-kg-Bomben. Daher bestand auch bei der Schleusenanlage die Gefahr, auf Blindgänger zu stoßen. Sondierungsbohrungen ergaben insgesamt 35 Verdachtspunkte, die jedoch alle nicht zutrafen. Nachdem die großen Schleusenkammer in Betrieb gegangen ist, müssen sich nur die Privatskipper noch ein wenig gedulden, bis die kleinere Bootsschleuse, wieder ungehindert zu befahren sind. Spätestens 2001 sollen die Behinderungen für Berufs- und Freizeitschiffahrt endlich ein Ende haben.
HAN
Über die „Füllmuschel“ des Obertors strömt das Wasser in das große Schleusenbecken. Die große Schleusenkammer der Weser-Staustufe Bremen ist 225 m lang und 12,5 m breit.
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