Bau 20.02.2004, 18:28 Uhr

Europas größte Baustelle bekommt langsam ein Gesicht

Immerhin umfasst der neu entstehende Stadtteil „Hafencity“ 155 ha Fläche. Hier entstehen nicht nur Wohnungen, sondern auch eine neue U-Bahnlinie, Büros, Hotels, Museen, ein Terminal für Kreuzfahrtschiffe sowie eine Philharmonie.

Beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit geht die Freie und Hansestadt Hamburg Europas derzeit größtes Städtebau-Projekt an: Unmittelbar hinter der historischen Speicherstadt mit ihren denkmalgeschützten Backsteinfassaden entsteht in den kommenden Jahren mit der „Hafencity“ ein völlig neuer Stadtteil.
Seine Ausmaße sind beeindruckend: Auf einer Fläche von 155 ha werden zwischen dem Kaispeicher A im Westen und dem Elbbrückenzentrum im Osten u. a. rund 5500 Wohnungen für 12 000 Einwohner, eine neue U-Bahnlinie, Bürogebäude, Hotels, ein neuer Kreuzfahrtterminal, ein Meeresmuseum und – als spektakuläres Wahrzeichen – eine gläserne Philharmonie auf einem alten Speicher gebaut.
Dieser neue Stadtteil wird in der Endausbaustufe etwa 12 mal größer sein als der Potsdamer Platz in Berlin. Den größten Teil der milliardenschweren Investition bringen private Investoren auf. Was das städtebauliche Projekt von anderen (etwa den Londoner Docklands) unterscheidet, ist seine Nähe zur City: Nur gut einen Kilometer braucht man bis zum Hauptbahnhof, das Hamburger Rathaus liegt nur wenige Gehminuten entfernt.
Der neue Stadtteil soll auf ausdrücklichen Wunsch – sowohl des ehemaligen rot-grünen als auch des aktuell konservativen Senats unter Ole von Beust – fester Bestandteil der bisherigen Innenstadt zwischen Binnenalster, Bahnhof und „Michel“ werden und diese sogar um etwa 40 % erweitern. Bislang lagen weite Teile dieses Hafengeländes brach oder bestanden aus alten Lagerschuppen und Kaianlagen, an denen der Zahn der Zeit kräftig nagte. So beschloss der Senat in einem Masterplan im Februar 2000 den architektonischen und städtebaulichen Strukturwandel. Die stadteigene Gesellschaft für Hafen- und Standort-Entwicklung (GHS) wurde mit der Vermarktung der Hafen-City beauftragt. Sie vergab im Sommer 2001 die erste Baufläche am Sandtorkai an acht verschiedene Investoren (drei Büro- und fünf Wohnhäuser), die mittlerweile kräftig bauen.
Wichtig ist den Verantwortlichen eine gemischte Nutzungsstruktur für die etwa 1,6 Mio. m2 Bruttogeschossfläche, um der Monotonie moderner Bürostädte zu entgehen. „Die Nachbarschaft von Büros, Wohnungen und Gastronomie wird ein lebendiges und interessantes Quartier hervorbringen“, betont Susanne Bühler von der GHS.
Mehr noch: Diese Mischung aus Wohnen und Arbeiten, Kultur und Freizeit soll nicht nur der sozialen Gleichförmigkeit entgegenarbeiten, sondern auch den traditionellen Charakter Hamburgs als Metropole und Hafenstadt betonen. Der Wohnaspekt in der künftigen Hafencity gilt städtebaulich als besonders wichtiges Element, da bislang nur der Bereich um den „Michel“ in der Neustadt als innerstädtischer Wohnungsschwerpunkt gilt.
Bau-Vorreiter auf dem riesigen Gelände der Hafen-City war Europas größter Softeware-Konzern SAP. Er errichtete ein 12 000 m2 großes Schulungszentrum für Nord- und Mitteldeutschland, das Anfang 2003 eingeweiht wurde. „Mit der neuen Hamburger Niederlassung bieten wir ganzheitlichen Service vor Ort“, sagt Michael Kleinemeier, Managing Director Deutschland von SAP. Dass der moderne Stadtteil am Wasser gut zum Image eines Computer-Unternehmens passt, ist da wohl ein willkommener Nebeneffekt der Standort-Entscheidung.
Nicht nur eine gemischte Nutzungsstruktur war Voraussetzung für den Bau der neuen „Stadt in der Stadt“ – schon die architektonische Konzeption sollte abwechslungsreich und keinesfalls monoton umgesetzt werden. Deshalb wurden zahlreiche nationale und internationale Architektur-Büros etwa aus den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland in die Planung einbezogen. Bindend war jedoch für alle, dass die Geschichte der nahe gelegenen denkmalgeschützten Speicherstadt und des fast 900-jährigen Hafens berücksichtigt werden mussten.
Die Wohnbauten des bereits im Bau befindlichen Sandtorkais, der direkt an die „alte“ Speicherstadt anschließt, dürfen mit maximal 25 m Höhe die Zwerchgiebel an den Speichern nicht überschreiten die Bürogebäude orientieren sich an der Firstlinie der alten Hafenspeicher und dürfen höchstens 30 m messen.
Wenn die Hafen-City nach dem Jahr 2020 ihre End-Ausbaustufe erreicht hat, werden 12 Teilquartiere stehen: Bereits im Bau befindet sich der westlich gelegene Sandtorkai; es folgen u. a. der Dalmannkai, der Brooktorkai, der Strandkai, das Überseequartier, der Sandtorhafen, der Grasbrookhafen, der Baakenhafen und das Elbbrückenzentrum. Zentrum der Hafen-City soll der Magdeburger Hafen werden, in dem u. a. ein neuer Kreuzfahrtterminal Platz findet. So überzeugend das Gesamtkonzept des neuen Stadtteils Hafen-City in Hamburg auch ist: Umstritten ist insbesondere der Bau einer neuen U-Bahnlinie 4, die als überflüssig und teuer von der Opposition im Rathaus kritisiert wird. Hinzu kommt die Besorgnis der Hamburger Immobilienwirtschaft über die Vermietbarkeit vieler Hunderttausend Quadratmeter neuer Büroflächen. So betrug der Leerstand bei Gewerbe-Immobilien in der Hansestadt im Dezember 2003 rund 860 000 m2. 2001 lag die Zahl noch bei rund 295 000 m2.
Doch schon Jahre vor der Fertigstellung können Besucher einen Blick in die städtebauliche Zukunft der Hansestadt werfen: Im Kesselhaus in der Speicherstadt (Am Sandtorkai 30, Tel. 040-3690 17 99) wartet eine kostenlose interaktive Ausstellung über die Hafen-City auf Besucher. Das Schöne dabei: Hebt man den Blick von den Modellen und Bildschirmen, kann man den Baukränen bei der Arbeit an der realen Hafen-City zuschauen. ANDREAS SRENK

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