Deutschland, deine Baustellen
Heute enden die Ferien im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW. Jeder dritte Stau auf deutschen Autobahnen wird durch Baustellen verursacht. Über manches Hindernis wird zu Unrecht geschimpft. Doch im Baustellenmanagement könnte auch einiges verbessert werden.
Diese Stimme! „… und dann ist die A 40, Dortmund Richtung Duisburg, zwischen dem Autobahnkreuz Essen-Ost und Essen-Zentrum wegen Fahrbahnerneuerung für voraussichtlich 14 Tage gesperrt. Dort zurzeit 2 km Stau.“ Muss man Verkehrsnachrichten so fröhlich verlesen, nur weil sie gerade ins Viel-zu-gute-Laune-am-Morgen-Format des Senders fallen?
Andererseits sind 2 km Stau auf dem „Ruhrschleichweg“ für den geübten A 40-Pendler kaum der Rede wert. Entsprechend gelöst stehen Harald Friedrich Austmeyer und Andreas Raedt vom Landesbetrieb Straßenbau NRW der regionalen Presse an diesem Samstagmorgen Rede und Antwort. Der Asphalt ist in der vorangegangenen Nacht abgefräst worden. Jetzt vibriert die Brücke, dass es in den Beinen kribbelt, wenn der Bagger die restliche Deckschicht aufreißt. Wie ein gekrümmter Zeigefinger wirkt der Gelenkarm mit dem Meißel, der die Fahrbahndecke in großen Schollen von der Unterkonstruktion hebt.
„Die Maßnahme haben wir bewusst in die Ferienzeit gelegt, weil dann das Verkehrsaufkommen auf dieser Strecke 20 % geringer ist“, erklärt Austmeyer. Doch warum nicht in die Ferienmitte? Warum muss ausgerechnet am ersten Septemberwochenende, wenn NRW zum Ferienende die Rückreisewelle erwartet, die A 40 voll gesperrt werden? „Um die Terminverschiebung hat uns die Stadt Essen gebeten“, erklärt Bauingenieur Andreas Raedt, „weil sie Mitte August eine Großveranstaltung in der Innenstadt hatte.“
Stadtfeste, Konzerte, Bundesligaspiele – eine Menge Parameter gilt es zu berücksichtigen, wenn Baustellen auf den großen Verkehrsadern der Ballungsräume geplant werden. Faktoren, von denen der Autofahrer in der Regel nichts weiß. Und sich fragt: Warum gerade jetzt? Warum gerade hier?
Thomas Hessling, Fachreferent für Straßenbau beim ADAC, sieht darin das Grundproblem: „Die Autofahrer wissen zu wenig von den Nöten der Straßenbauer und umgekehrt.“ Ein Nährboden für Aggressivität und Unsicherheit bei den Straßennutzern. „Deshalb haben wir ja im Baustellenbereich fünf bis sechs Mal mehr Unfälle als auf den restlichen Strecken“, sagt Hessling. Sein Vorschlag: „Warum stellt man nicht bei sehr langen Baustellen zum Beispiel Positionsschilder auf: Jetzt nur noch 2 km?“ Das würde für Entkrampfung beim Fahrer sorgen, der auf der verengten Fahrbahn neben und zwischen Lkw rollen muss.
Ähnliche Ideen werden vom Landesbetrieb Straßenbau NRW schon heute umgesetzt. Direktor Henning Klare: „Häufig kommt Kritik auf, weil die Autofahrer über weite Bauabschnitte keine Arbeiter sehen. Da werden wir künftig besser informieren, was gerade im Baustellenbereich passiert.“ So gebe es nun einmal Zeiten, in denen nicht gearbeitet werden kann, weil etwa Beton aushärten muss.
„…A 40 in Höhe der Anschlussstelle Essen-Huttrop gesperrt, eine Umleitung ist ausgeschildert.“
Wenn es um alternative Wege im Baustellenmanagement geht, ist Bernhard Steinauer von der RWTH Aachen ein gefragter Experte. Der Direktor des Instituts für Straßenwesen sagt, was viele denken: „Die Autobahn gehört dem Autofahrer.“ Und deshalb dürfe es keine Staus aufgrund von Baustellen geben. Steinauers Credo: „Nachts arbeiten. Es gibt nichts, was nicht auch nachts gemacht werden könnte.“
Das gelte in erster Linie für Unterhaltungsarbeiten, also zum Beispiel den Austausch beschädigter Schutzplanken oder Gehölzschnitt. Sicherheitsprobleme? „Wenn die Berufsgenossenschaft den nächtlichen Umgang mit der Kreissäge verbietet, ja dann muss ich eben mit einem anderen Werkzeug die Sträucher schneiden. Oder erst gar keine pflanzen“, meint der 61-Jährige mit bajuwarischer Leidenschaft. Außerdem gebe es an Nachtbaustellen deutlich weniger Auffahrunfälle.
Qualitätsprobleme? „Die Straßen können mit heutigen Mitteln ausreichend ausgeleuchtet werden.“ Und die Kosten? „10 % bis 20 % höher als tagsüber“, so der Verkehrsexperte. „Auf der anderen Seite belasten Staus die Volkswirtschaft jährlich mit Zeitkosten von 3,4 Mrd. €“, zitiert Steinauer eine Studie der TU Darmstadt. Auch vor diesem Hintergrund sollten Baufirmen, die schneller als geplant fertig werden, einen Bonus erhalten.
Thomas Hessling nervt der hohe Aufwand, der für die Absicherung von Baustellen betrieben werde. „Bei uns bauen die Juristen die Straßen“, kritisiert der ADAC-Experte. „Warum müssen denn vier Markierungsknöpfe auf 1 m Fahrbahn kommen? Ein bis zwei Knöpfe pro Meter würden völlig reichen.“ Warum würden denn neue, haltbarere Materialien oder innovative Beleuchtungsmethoden geprüft und getestet bis die Erfinder Pleite sind? „Wir ersticken an unserem Richtlinienwesen“, meint Hessling verbittert.
Horst Steinhoff, Referatsleiter bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) sieht noch Potenzial in der besseren Abstimmung der Einzelmaßnahmen. „Wenn die Fahrbahn auf einem Teilstück erneuert wird, sollte zeitgleich die anschließende Brücke den ohnehin fälligen Korrosionsschutz erhalten“, erläutert Steinhoff. Auch eine bessere Koordination mit Baumaßnahmen anderer Träger, wie z.B. der Bahn, wäre wünschenswert.
„… Achtung Autofahrer: Visionen auf der Fahrbahn! Richtung Boden der Realität bitte rechts abbiegen.“
Tatsächlich entscheiden die einzelnen Autobahnmeistereien weitgehend autonom, wann und wo sie Unterhaltungsarbeiten durchführen. „Allerdings gibt es Sperrzeiten“, erläutert Henning Klare, Direktor des Landesbetriebs Straßenbau NRW. In Bayern hingegen haben die Landesbetriebe gerade ein web-basiertes Infosystem eingeführt, über das Tagesbaustellen überregional koordiniert werden sollen.
In NRW wird schon vermehrt nachts gearbeitet. „Etwa ein Viertel der kritischen Tagesbaustellen haben wir in die Nacht verlegt“, so Klare. Mehr sei aus Gründen der Sicherheit und der Kosten nicht möglich. Denn das Budget für die Unterhaltung der Fernstraßen liegt in NRW zwar seit zehn Jahren konstant bei rund 200 Mio. €, doch Löhne und Materialkosten sind gestiegen, das Straßennetz weiter gewachsen.
„Bei den Autobahnen ist bis zum Jahr 2015 die Wiederherstellung der Qualitätsverhältnisse und des Substanzniveaus wie zu Beginn der 90er Jahre anzustreben“, heißt es im Bundesverkehrswegeplan 2003. Selbst dieses bescheiden anmutende Ziel ist aus Sicht verschiedener Verkehrsexperten mit dem vorgesehenen Investitionsrahmen nicht zu erreichen. Und da laut European Transport Report 2004 der PKW-Verkehr bis 2015 um 6 %, der Güterverkehr gar um 52 % zunehmen wird, ist mit weiter steigenden Schäden und häufigen Staus zu rechnen.
Apropos Stau: Müssen Sie dieses Wochenende durchs Ruhrgebiet reisen, umfahren Sie die A 40 in Essen besser großräumig …M. VOLMER
Ein Beitrag von: