„Das Geiz-ist-geil-Denken muss aufhören“
VDI nachrichten, Essen, 8. 12. 06, ps – Hans-Peter Keitel steht seit 15 Jahren an der Spitze von Hochtief, dem drittgrößten Baukonzern der Welt. Rund 48 000 Mitarbeiter sind bei dem Essener Unternehmen beschäftigt, das vor allem im asiatisch-pazifischen Raum beste Geschäfte macht. Über seine eigene Zukunft und die Marktchancen von Hochtief äußert sich der Manager im folgenden Interview.
Keitel: Die Gründe sind ausschließlich privat. Ich werde am 1. April 2007 zurücktreten. Dass es eine Überraschung geworden ist, hat mit unserem umsichtigen Vorgehen zu tun. Große Diskussionen im Vorfeld sind nicht förderlich. Dass es uns gelungen ist, die Vertraulichkeit zu wahren, darüber sind wir natürlich sehr froh.
VDI nachrichten: Ihr Nachfolger stammt aus den eigenen Reihen…
Keitel: Ja, Herr Herbert Lütkestratkötter wird das sein. Er ist international erfahren und bereits seit 2003 im Vorstand von Hochtief tätig. Er verantwortet unter anderem die Bereiche „Hochtief Americas“ und „Development“. Wir arbeiten bereits seit 1978 in verschiedenen Konstellationen zusammen, so dass die Nachfolge für Insider keine Überraschung ist.
VDI nachrichten: Wie sieht Ihre Planung für die Zeit danach aus? Übernehmen Sie den Vorsitz im Aufsichtsrat?
Keitel: Nein, nach dem Corporate Governance Kodex ist der direkte Wechsel in den Aufsichtsratsvorsitz nicht erwünscht. Aber ein Aufsichtsratsmandat könnte möglich sein, vorausgesetzt, die Hauptversammlung stimmt dem 2007 zu. Aber das steht jetzt nicht zur Klärung an.
VDI nachrichten: Wie wird sich das Baugeschäft in den kommenden Jahrzehnten entwickeln? Wie sieht Ihre Vision aus?
Keitel: Die Zukunft wird wesentlich mehr mit Nachhaltigkeit und Vernetzung zu tun haben als nur mit der reinen physischen Bauleistung. Wir werden uns sehr viel mehr für die Fragen der Energie interessieren, werden neu nachdenken über den Städtebau und über das Zusammenleben der Generationen. Die Arbeitsteilung der Produktion in unserem eigenen Gewerbe wird neu zur Debatte stehen.
VDI nachrichten: Wie muss sich Hochtief auf diese Veränderungen einstellen?
Keitel: Wir werden es mit immer komplexer werdenden Märkten zu tun bekommen. Es wird sehr viel mehr in Wertschöpfungsketten gedacht werden müssen. Bauen beginnt nicht erst, wenn draußen der physische Prozess einsetzt. Es beginnt wesentlich früher, umfasst den eigentlichen Bau, den Betrieb und auch den – eines Tages sicherlich erforderlich werdenden – Abriss.
Wie wird sich das in der Wertschöpfungskette darstellen, wie ist es zu realisieren und zu finanzieren? Diese Fragen zwingen uns, in komplexeren und vollständigeren Konzepten zu denken. Das bestimmt zunehmend unsere Strategie und versetzt uns in die Lage, unsere Fähigkeiten noch besser umzusetzen.
VDI nachrichten: Wie gliedert sich der Konzern heute?
Keitel: Wir haben fünf Unternehmensbereiche: Hochtief Airport, Hochtief Development, Hochtief Construction Services Americas, Hochtief Construction Services Asia Pacific und Hochtief Construction Services Europe. Unser Leistungsspektrum umfasst die Module Entwicklung, Bau, Dienstleistungen, Konzessionen und Betrieb. Wir bauen unterschiedliche Großprojekte wie Hochhäuser, Einkaufszentren, Straßen, Brücken, Flughäfen oder Tunnel.
VDI nachrichten: Welches ist der profitabelste Bereich?
Keitel: Im Moment zweifellos Ostasien/Pazifik. Dort ist der Markt einfach phantastisch. Auch die anderen Märkte laufen gut, aber die Konditionen, die wir derzeit in Australien/Ostasien erzielen, sind einzigartig. Das wird auch noch eine Weile so bleiben.
VDI nachrichten: Über 80 % des gesamten Umsatzes machen Sie inzwischen im Ausland. Wo liegen die regionalen Schwerpunkte?
Keitel: Rein volumenmäßig in den USA. Der Ertragsschwerpunkt liegt in Australien.
VDI nachrichten: Die australische Hochtief-Beteiligung Leigthon steuert über 50 % zum Gesamtgewinn des Hochtief-Konzerns vor Steuern bei. Aber Leighton ist nicht nur im Bau tätig, sondern auch im Abbau von Rohstoffen. War dies der Grund, warum Sie die Beteiligung an Leighton jüngst auf über 54 % aufgestockt haben?
Keitel: Auch bei Leighton konzentrieren wir uns auf die Bereiche, in denen wir kräftig verdienen können. Das ist – im Unterschied zu Deutschland – in Australien auch im Bergbau möglich. Wir fördern dort vier Mal so viel Kohle wie der Bergbau hierzulande. Dabei haben wir uns sukzessive in die Rolle als Konzessionär von Bergbauunternehmen begeben. Wir verdienen dort momentan als größter so genannter Contract-Miner hervorragend.
VDI nachrichten: Die Hochtief-Tochter Leighton Asia bedient Wachstumsmärkte, unter anderem China. Sind Sie darüber hinaus in der Region aktiv?
Keitel: China ist einer unserer Märkte, aber nicht der größte. Weitaus größer sind die Märkte Hongkong, Macao oder Indonesien. Vor vielen Jahren haben wir uns darauf geeinigt, dass Leighton für Ostasien zuständig ist. Hochtief hat sich damals weitgehend zurückgezogen. Ich gehe davon aus, dass – durch die Verschiebung der wirtschaftlichen Schwergewichte in Richtung Asien – Hochtief möglicherweise selbst wieder dahin zurückkehrt. Das ist aber noch nicht entschieden.
VDI nachrichten: Wie wichtig sind für Hochtief die mittel- und osteuropäischen Märkte?
Keitel: Wir haben in Westeuropa keine offenen Märkte. Es gibt für uns kaum Chancen, in Frankreich oder Spanien tätig zu werden. Deutschland hat auch jetzt einen nur schwach wachsenden Markt mit absolut unbefriedigenden Margen. Daher ist der stark wachsende mittel- und osteuropäische Markt für uns hoch interessant.
Tätig sind wir bereits in Polen, Tschechien und Ungarn, wo Hochtief Europa mittlerweile 40 % seines Umsatzes macht. 60 % des Europageschäfts werden in Deutschland erwirtschaftet.
VDI nachrichten: Die deutsche Baukonjunktur hat sich nach langer Flaute zuletzt wieder etwas erholt. Warum schlägt sich das in Ihrem Deutschlandgeschäft bislang noch nicht nieder – zumindest nicht bei den Erträgen?
Keitel: Wie bereits gesagt: Die Margen sind hierzulande höchst unbefriedigend. Die Preise im Nachunternehmer- und Zulieferermarkt sind enorm gestiegen. Die Bauindustrie wird in diesem Jahr kaum mit ihren Ergebnissen in Deutschland zufrieden sein können.
VDI nachrichten: Woran liegt“s?
Keitel: Zunächst hat uns der lange Winter zu Beginn des Jahres ziemlich zurückgeworfen. Das können wir in diesem Jahr nicht mehr aufholen, obwohl die gesamte Bauwirtschaft kräftig beschleunigt hat. Die Folge: Baumaterialien wurden knapp. Es fehlt an Kränen, an Gerüsten und anderem Equipment. Die Lieferzeiten betragen sechs bis acht Monate.
Außerdem hapert es – aufgrund der plötzlichen Nachfrage – an Nachunternehmen. Der Markt der Nachunternehmen bricht uns aber auch weg, weil die polnischen Nachunternehmer zunehmend fern bleiben. Die Baunachfrage hat in Polen selbst kräftig zugenommen, und die Preise haben dort deutlich angezogen. Das hat auch Auswirkungen auf die polnischen Bauarbeiter in Deutschland. Heute zeigt sich aber auch, wie kräftig die Kapazitäten in der Bauwirtschaft in der langen Krise abgebaut worden sind.
VDI nachrichten: Hochtief gelingt es nicht, die höheren Preise an die Kunden weiterzugeben?
Keitel: Rein vertraglich kann man einiges weitergeben. Aber für Beschleunigungsmaßnahmen, wie sie in diesem Jahr aufgrund der Zeitverluste notwendig wurden, gilt das nicht. Ferner kann ein Bauunternehmen wie Hochtief nicht einfach Verträge aufkündigen und es auf gerichtliche Klagen ankommen lassen, wie dies manche Unternehmen in der Branche – auch uns gegenüber – durchaus tun.
VDI nachrichten: Wie schätzen Sie mittelfristig die konjunkturelle Entwicklung am deutschen Bau ein?
Keitel: Wir glauben, dass das Wachstum am Bau 2007 aufgrund der höheren Mehrwertsteuer etwas schwächer ausfallen wird. Der Markt bricht aber dadurch nicht weg. Eine umfassende Prognose für 2008 wagen wir noch nicht, aber es könnte durchaus weiter moderat aufwärts gehen.
VDI nachrichten: Wird die günstigere Baukonjunktur dazu führen, dass sich Hochtief wieder mehr auf den deutschen Markt konzentriert?
Keitel: Die bessere Baukonjunktur hierzulande erleichtert sicherlich Geschäfte. Sie wird aber nicht zu einer Umkehr unserer Marktanteilsentwicklung führen. Was uns hier zu schaffen macht, ist die verbreitete Billigmentalität. Wir bieten Qualität. Das Geiz-ist-geil-Denken muss aufhören, sonst wird das Engagement für die großen Bauunternehmen allgemein in Deutschland immer geringer werden.
VDI nachrichten: Aber immerhin macht Hochtief zur Zeit noch 20 % seines Umsatzes in Deutschland.
Keitel: Ginge es ausschließlich um Marktkonditionen, dann müssten wir uns voll auf Australien oder Amerika verlegen. Unsere Konzentration auf Deutschland hat mit unserer Kernkompetenz und der Fähigkeit zu tun, das Baugeschäft selbst zu beherrschen. Wir haben das höchste technische Potenzial in Deutschland, und das wird so bleiben. Das Herz von Hochtief schlägt in Deutschland. Hier liegt der Kern unseres Geschäfts, den werden wir weiterentwickeln. DIETER HEUMANN
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