„Blaues Wunder“ im Reich der Mitte
VDI nachrichten, Bremen, 8. 8. 08, rok – Wenn Freitag in Peking die Olympischen Spiele eröffnet werden, können sich Reinhard Schmidt und Stefan Lehnert entspannt in den Fernsehsessel sinken lassen. Die Geschäftsführer der Bremer Vector Foiltec GmbH haben die olympische Schwimmhalle mit der größten Folienkonstruktion der Welt überdacht.
Während der nächsten Wochen wird der blaue Würfel der olympischen Schwimmhalle mit seiner charakteristischen Wabenstruktur in aller Welt zu sehen sein und möglicherweise das Auftragsbuch des mittelständischen Unternehmens Vector Foiltec füllen. Das Dach und die Fassade der Halle haben eine Fläche von 100 000 m2. Sie besteht aus 3500 mit Luft gefüllten Folienkissen, die sich in die wabenförmige Stahlkonstruktionen der Halle einfügen.
Um im Inneren eine Atmosphäre von Licht und Wasser zu vermitteln, wurden die transparenten Folien blau eingefärbt. In den Waben angebrachte Gummilaschen sorgen für den richtigen Sitz der Kissen und die Dichtigkeit der Konstruktion. Für die zentrale Steuerung des Luftdrucks in den Kissen sind alle durch ein Rohrsystem miteinander verbunden. Der Überdruck von 200 Pascal (0,002 bar) je Kissen reicht aus, um eine hohe Oberflächenspannung zu erzeugen.
„Damit ist praktisch keine Verschmutzung möglich. In jedem Kissen bilden eine äußere (an der Außenseite der Halle), eine mittlere und eine innere Folie zwei Kammern. Über die Drücke in den beiden Kammern wird die Wölbung der mittleren Folie gesteuert. Wölbt sie sich nach oben/außen, reduziert sich durch die unterschiedliche Folienrasterung der Lichteinfall bis auf Null, geht sie nach unten, ,öffnet“ sich das Dach für das Tageslicht“, erklärt Schmidt das Grundprinzip.
Für den Betrachter unsichtbar ist eine Trennung von innerer und äußerer Fassade im blauen Würfel. Die sich in der 7 m breiten Hohlschicht stauende Wärme wird für die Erhitzung des Brauchwassers verwendet. „Das reduziert die Energiekosten um 30 % und bildet die Grundidee des Würfels“, so der gelernte Bootsbauer Schmidt.
Das Projekt markiert den bisherigen Höhepunkt von Vector Foiltec. Vor 25 Jahren erfanden die beiden Gründer zufällig den neuen Baustoff Folie. Die leidenschaftlichen Segler fachsimpelten mit einem Segelmacher darüber, ob man mit transparenten Stoffen nicht Gebäude überdachen könne. Nach einigen Versuchen fiel die Wahl auf Ethylentetrafluorethylen (ETFE).
Der aus der Raumfahrt kommende Stoff erwies sich als reißfest, schmutzabweisend, lichtdurchlässig und flexibel. Die Tauglichkeit als Alternative zu Glas wurde über bauphysikalische Gutachten nachgewiesen. Zudem sei das Material UV- und witterungsbeständig und soll mindestens 30 Jahre halten. „Wir gingen damals davon aus, einen Betrieb mit vielleicht fünf Mitarbeitern zu gründen und noch Zeit für das Segeln zu haben“, erinnert sich Schmidt. Es kam anders: Inzwischen beschäftigt Foiltec weltweit 150 Angestellte und nennt 650 Projekte auf seiner internationalen Referenzliste. Schiffsplanken sehen die Gründer nur noch selten.
In der Bremer Zentrale steckt das Know-how in den Köpfen von 30 Ingenieuren, die für ihre Foliendächer und -wände auch Konstruktion und Statik übernehmen. Für den Auftrag in China schlugen sie zwei Konkurrenten aus dem Rennen: „Man kannte uns bereits aus England. Damals hatten wir einen botanischen Garten auf 30 000 m2 überdacht. Hinzu kam die lange Erfahrung als Marktführer“, so Schmidt.
Mit dem Zuschlag für die Schwimmhalle mussten sich die Bremer verpflichten, die nötigen Mengen an Folie in China und nur mit Chinesen zu produzieren. Im Januar 2006 begann mit 75 Mitarbeitern die Arbeit. Zu Kissen verschweißt werden die zwischen 0,1 mm und 0,2 mm dicken Folien generell durch thermische Verfahren. In China wurde zum ersten Mal überhaupt im Ausland produziert. „Das hat sehr viel Spaß gemacht, zumal es keinerlei Probleme gab“, resümiert Schmidt.
Inzwischen ruht die Arbeit. Wenn sich keine Folgeaufträge in China einstellen, wird die Anlage verpackt und abtransportiert. Denn den nächsten Großauftrag hat Foiltec bereits unter Dach und Fach. Im kasachischen Astana soll ein Unterhaltungstempel in ein Folienzelt gehüllt werden.
Schmidt hegt die Hoffnung, dass mit derlei Projekten die Begeisterung für Folie auch bei deutschen Architekten steigt. Das System eigne sich durch die isolierenden Eigenschaften und der integrierten Beschattungssysteme vor allem, um Klimahallen zu bauen. „Nicht umsonst haben wir in europäischen Breitengraden und US-Zoos, botanische Gärten, Shoppingcenter, Schwimmbäder oder Schulhöfe überdacht“, erzählt er. TORSTEN THOMAS
Ein Beitrag von: