Bau 26.01.2001, 17:28 Uhr

Altes Know-how neu entdeckt

Viele Städte werben mit ihren gebauten Wahrzeichen. Doch auch an historischen Bauten nagt der Zahn der Zeit, und zur Schadensbehebung fehlt oft das nötige Geld. Althergebrachte, kostengünstige Verfahren schlagen, so zeigt jetzt das Beispiel der Bremer Rathausfassade, oft High-Tech-Methoden.

Das Rathaus von Bremen ist rund 400 Jahre alt und hat, so steht es in jedem Reiseführer, eine besonders sehenswerte, reich verzierte Fassade aus Sandstein. Diese vorgehängte Fassade ist jedoch dringend sanierungsbedürftig: Risse und abplatzende Steinfragmente zeugen davon. Eine eingehende Schadensanalyse durch den auf solche Sanierungsfälle spezialisierten Architekten Konrad Fischer brachte das tatsächliche Ausmaß der Schäden zutage.
„Wie man weiß, wird vor einen Mauerkern die eigentliche Natursteinfassade mit Hilfe von Mauerankern eingesetzt“, erläuterte Architekt Fischer in einem Gespräch eine wesentliche Ursache der heutigen Bauschäden. Bei dieser Verankerung habe man schon bei Bau des Rathauses nicht die damals üblichen korrosionsfreien Bronzeanker verwendet, sondern sei auf Eisenanker ausgewichen. „Diese Eisenanker“, so Fischer weiter, „haben durch ihre Korrosion letztlich zu massiven Schäden mit Abplatzungen und lockeren konstruktiven Teilen geführt.“ Es sei nun noch nicht soweit, wie es teilweise berichtet wurde, dass ganze Figuren absturzgefährdet seien, allerdings seien die Obeliskenaufsätze nachhaltig geschädigt.
Dass es sich bei der Verwendung von minderwertigeren Ankern um das damals wie heute aktuelle Thema „Pfusch am Bau“ gehandelt hat, wollte Konrad Fischer allerdings nicht unterstellen. Vielmehr handle es sich um ein ebenso immer noch aktuelles Problem, dass nämlich ein Repräsentationsbau errichtet werden soll, letztendlich aber das Geld dafür fehlt. Und so hätten die damaligen Bauherren eben das günstigste Angebot wahrgenommen und dabei Abstriche an der Bauqualität hinnehmen müssen.
Dennoch mussten die Experten bei ihrer Schadensanalyse doch kleinere Nachlässigkeiten feststellen, die im Laufe der Zeit zu, gemessen an der Ursache, gewaltigen Schäden geführt haben: „Die einzelnen Natursteinplatten wurden von den alten Baumeistern ‚trocken‘ eingebaut,“ erklärte Fischer die historischen Techniken. „Das bedeutet, die Platten wurden mit Hilfe von Keilen an Ort und Stelle eingepasst und ausgerichtet und danach erst verfugt.“ Solche historischen Richtkeile, die in aller Regel aus Schmiedeeisen bestanden, fand man auch bei der Fassadenuntersuchung im vergangenen Jahr und das nicht nur vereinzelt, sondern gleich eimerweise. Zum Glück, so Fischer, wären die meisten dieser Keile in einem erstaunlich guten Zustand gewesen, einige aber wären durch Korrosion „aufgegangen“ und hätten dabei die benachbarten Natursteinplatten angehoben und aus dem Gefüge gelöst, bzw. zu Rissen und Sprüngen in diesen Platten geführt.
Eine weitere Schadensursache liegt nicht so weit zurück, vielmehr handelt es sich dabei um „Bausünden“ der letzten hundert Jahre. „Seit man mit Zementmörtel arbeitet, also seit rund hundert Jahren, hat man darin ein Allheilmittel gesehen.“ Allerdings habe man, so Konrad Fischer, bei aller gewünschten Härte des Materials nicht bedacht, dass ein Materialmix aus Zementmörtel und Natursteinplatten nicht in der Lage ist, die ungeheuren Kräfte abzuleiten, die sich witterungsbedingt ergeben. Diese Kräfte wiederum führten dazu, dass die mit Zementmörtel „sanierten“ Fugen im günstigsten Fall nur ausbrachen, im ungünstigsten Fall aber Kapillarrisse erzeugten, durch die Wasser und Feuchtigkeit in die Fassade eindringen konnten.
Eine dritte, aber deshalb nicht weniger wichtige Schadensursache konnte Fischer am Bremer Rathaus feststellen: Die Verwendung von moderner Bauchemie. „Wir mussten feststellen, das zum Beispiel die Verkittung der historischen Fenster noch vor wenigen Jahren mit einer Kunstharzfarbe behandelt wurde. Das verwendete Kunstharz hat aber die Eigenschaft, innerhalb kürzester Zeit extrem hart und damit spröde zu werden. Da die Fensterrahmen aber aus Holz sind und “arbeiten“, platzte der Harz sofort wieder ab und wurde von Wasser hinterdrungen.“
Um nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, wird bei der anstehenden, 1,5 Mio. DM teuren Sanierung nur mit Techniken gearbeitet, die der alten Handwerkstradition entsprechen. „Wir werden bei der Sanierung hauptsächlich mit Kalkprodukten, also Kalkschlämmen, Kalkmörtel und Kalk-injektionen arbeiten. Dieses Material trocknet nicht nur hervorragend aus, es verfügt auch über Selbstheilungskräfte.“ Diese Kräfte beruhen auf der Eigenschaft von Kalk, sehr langsam abzubinden und dabei lange Kristalle zu bilden. Wenn nun ein erneuter Riss entsteht, dringt dort Wasser ein und löst die freien Kalke und sorgt so beim Austrocknen für eine Versinterung der Öffnung. Kalk ist, so Architekt Fischer auch das Material, aus dem ein Ersatz für zu stark geschädigte Fassadensteine hergestellte werden kann. „Dieses Verfahren erfordert allerdings eine langjährige Erfahrung im Umgang mit Kalkmaterialien und genaueste Kenntnis der Materialeigenschaften.“
Diese Erfahrung, die der Architekt bei der Sanierung zahlreicher historischer Gebäude sammeln konnte, wird jetzt auch dem Bremer Rathaus zu Gute kommen. Wenn die Witterung es erlaubt, wird in naher Zukunft mit den Arbeiten an der Prachtfassade begonnen. In weiteren Arbeitsschritten sollen dann in den kommenden Jahren die restlichen Außenwände des Rathauses ebenfalls gründlich und entsprechend alter Handwerkskunst restauriert werden. HAN/wip

Ein Beitrag von:

  • Han

  • Wilma Preiss

    Redakteurin VDI nachrichten. Fachthemen: Hoch- und Tiefbau, Bautechnik.

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