„Alle Beteiligten haben versagt!“
Holzmann ist für ihn nur ein Paradebeispiel für Filz. Der Bilanzierungs-Experte Prof. Küting fordert für alle großen Unternehmen mehr Kontrolle.
VDI nachrichten: Herr Prof. Küting, der Vorstandsvorsitzende von Holzmann, Heinrich Binder, ist seit 1997 im Amt. Jetzt sind Unterlagen aufgetaucht, die eine milliardenschwere Wertberichtigung erforderlich machen. Hat Binder sich bei seinem Amtsantritt keinen Überblick verschafft?
Küting: Die Krise kam nicht über Nacht. Ich habe Philipp Holzmann seit 1995 als Krisenunternehmen bezeichnet. Seit “95 wurde dort eine sehr progressive Bilanzpolitik betrieben. Man hat das deutsche Bilanzrecht rigoros ausgenutzt. Insofern ist Binders Erstaunen unzutreffend.
VDI nachrichten: Kommt Holzmann jetzt durch die Hilfe des Bundeskanzlers mit einem blauen Auge davon?
Küting: Das wird die Zukunft zeigen. Auf jeden Fall müssen Konsequenzen gezogen werden. Deshalb fordere ich den Vorstand und den Aufsichtsrat auf, zurück zu treten. Auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sollte ihr Mandat niederlegen. Wer eine solche Misere mit zu verantworten hat, weil er uneingeschränkt testiert hat, ist befangen.
VDI nachrichten: Wen trifft die größte Schuld? Vorstand, Wirtschaftsprüfer, Gläubigerbanken oder den Aufsichtsrat?
Küting: Der Aufsichtsrat soll ein Kontrollorgan sein. Deren Vorsitzender bei Holzmann wurde von der Deutschen Bank gestellt. Die Deutsche Bank hält aber immer noch 15 % der Anteile an Holzmann, bis vor kurzem waren es sogar noch mehr. Die Deutsche Bank ist zudem Hausbank bei Holzmann. Das heißt: Sie ist Anteilseigner, Kreditgeber und Kontrolleur. Das konnte nicht gut gehen! Sie muss alles gewusst haben! Sie trifft eine große Schuld.
VDI nachrichten: Wie müsste denn, unabhängig von Holzmann, ein Aufsichtsrat arbeiten, wenn er verantwortungsbewusst und erfolgreich sein will?
Küting: Er müsste seiner Kontrollfunktion nachkommen. Er müsste die Arbeit des Vorstandes tatsächlich überwachen und müsste daraus notfalls Konsequenzen ziehen. Wenn, wie bei Holzmann, von heute auf morgen ein Abwertungsbedarf von 2,4 Mrd. DM auftritt, dann kann man das nur so interpretieren, dass der Aufsichtsrat seiner Aufgabe nicht gerecht geworden ist. 2,4 Mrd. DM, das sind 27 % der Bilanzsumme – die sollen plötzlich fehlen? Das kann nur bilanzpolitische oder kriminelle Luft gewesen sein. Der Aufsichtsrat hat eindeutig versagt.
VDI nachrichten: Werden Aufsichtsratsmitglieder nicht in ihren Möglichkeiten überschätzt, weil sie oft mit den Leuten, die sie kontrollieren sollen, verbandelt sind?
Küting: So ist es. Es ist ein auserlesener Kreis, der sich in den Aufsichtsräten immer wieder zusammen findet. Wir müssen klären, wie die Neutralität, die Objektivität der Aufsichtsräte gesteigert werden kann. Man könnte die Banken entmachten. Wir sollten auch überlegen, ob der Aufsichtsrat nicht zusätzliche Rechte erhält oder ob die Anzahl der Aufsichtsratsmandate nicht gekürzt werden soll. Die Kontrollfunktion muss besser werden.
VDI nachrichten: Politische Forderungen werden laut, dass Wirtschaftsprüfungsgesellschaften alle drei Jahre wechseln sollen. Ist das realistisch?
Küting: Wir haben ja jetzt schon die Rotation: Nach einer gewissen Zeit müssen die Prüfer ausgewechselt werden. Das heißt aber nicht, dass die Prüfungsgesellschaft ausgewechselt wird. Auf jeden Fall geht das in die richtige Richtung, scheint mir aber nicht weit genug zu reichen.
VDI nachrichten: Wieso?
Küting: Die Fehler bei Holzmann lagen in der Bewertung der unfertigen Leistungen und der Rückstellungen. Jeder Student der Betriebswirtschaftslehre, der an der Uni auch Wirtschaftsprüfung hört, weiß, dass gerade in diesem Bereich die stärkste Bilanzpolitik betrieben wird. Um so stärker waren die Wirtschaftsprüfer gewarnt. Hier hätten sie genauer hinschauen müssen. Wenn dann von heute auf morgen so ein riesiger Abschreibungsbedarf entsteht, ist das, schlicht gesagt, ein Skandal.
VDI nachrichten: Entsteht denn mehr Kontrolle und Sicherheit, wenn nicht nur die Prüfer, sondern die kompletten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften rotieren?
Küting: Darüber muss man nachdenken. In den südlichen Ländern haben wir dieses System, aber dort wird geklagt, dass es nicht voll funktioniert. Wir müssen grundsätzlich etwas für bessere Kontrolle und auch für die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer tun.
VDI nachrichten: Wie unabhängig sind die Prüfer denn gegenüber großen Mandanten?
Küting: Im Aufgabengebiet der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften hat sich ein enormer Konzentrationsprozess vollzogen. Es gibt außer den größten Fünf aber kaum noch unabhängige Prüfer, die wegen der Ausstattung größere Mandate übernehmen können. Das ist eine ganz böse Entwicklung. Objektive Gutachter zur Prüfung der Großen zu finden, ist schwer.
VDI nachrichten: Wie sieht Ihre Lösung aus?
Küting: Wir könnten eine Kontrollinstanz der Kontrolleure schaffen. Wenn der Berufsstand selbst nicht in der Lage ist, den Wirtschaftsprüfer zu überwachen und schwarze Schafe auszusondern, dann muss die Frage erlaubt sein, ob die Kontrolleure nicht selbst kontrolliert werden sollten. Ich schlage eine Bundesaufsicht vor, wie wir sie mit großem Erfolg in den USA haben. Danach werden Bilanzierende und Prüfer geprüft.
VDI nachrichten: Welche Änderungen fordern Sie im Bilanzrecht?
Küting: Im deutschen Bilanzrecht muss geprüft werden, welche Wahlrechte noch gerechtfertigt sind. Eigentlich müssten viele wegfallen. Darüber hinaus muss der Stetigkeitsgrundsatz Ernst genommen und darf nicht nur als Papiertiger behandelt werden. Er soll Unternehmen davon abhalten, willkürlich die Bilanzierung zu ändern. Dies ist bei Holzmann seit 1995 Jahr für Jahr praktiziert worden, und der Wirtschaftsprüfer hat testiert.
Des weiteren müssen von Unternehmen mehr gewissenhafte Informationen gefordert werden. Ich denke hier an die Erläuterung der “Sonstigen betrieblichen Erträge“ . Das ist der Posten, in dem sich die meisten bilanzpolitischen Schachzüge widerspiegeln und in dem am meisten gestaltet wird. R. ELBERS-LODGE/ M. VOLMER
Küting hat Philipp Holzmann schon vor Jahren als Krisenunternehmen eingestuft.
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