Bionik bringt neue Impulse für die industrielle Automation
Als Vorbild für industrielle Lösungen hat sich die Natur schon das ein oder andere Mal erwiesen. Auch Konstrukteure bedienen sich der Bionik – bisher aber eher sporadisch. Seit etwa drei Jahren geht nun ein Hersteller von Automatisierungstechnik das Thema strategisch an. Mit dem „Bionic Learning Network“ wurden Erkenntnisse gewonnen, die zu konkreten Lösungen für technische Aufgaben geführt haben. VDI nachrichten, Esslingen, 10. 7. 09, ciu
Was auf der Hannover Messe Ende April für viele den Anschein einer technischen Spielerei hatte, ist für den Anbieter von Automatisierungstechnik Festo aus Esslingen inzwischen zum Ideengeber für neue Produkte geworden. Erfahrungen aus der Natur werden unter dem Stichwort Bionik längst nicht mehr nur in Form von Tiermodellen, sondern auch in der Automation von Prozessen eingesetzt. Dabei ergänzt das Unternehmen seine traditionelle Kompetenz in der Pneumatik zunehmend um Wissen und Produkte rund um die elektrische Antriebstechnik und Steuerungstechnik.
Zwar hatten die Esslinger bereits 2001 erste Ansätze der Bionik verfolgt, aber erst mit der Gründung des „Bionic Learning Network“ 2006 ging es mit den von der Natur inspirierten Produkten im Unternehmen kontinuierlich voran. Ziel war, mithilfe der Bionik neue Technologien aufzuspüren und in die Automation umzusetzen. Dabei kooperiert Festo bis heute mit namhaften Hochschulen, Instituten und Entwicklungsfirmen. Die ersten spektakulären Beispiele wurden 2006 mit einem Muskel für humanoide Roboter und dem Airacuda – einem ferngesteuerten Fisch – in Hannover vorgestellt. „Das hilft uns auch, mit Kunden ins Gespräch über neue Lösungen zu kommen und eine Rückmeldung zu den Modellen zu bekommen“, erklärte Markus Fischer, Leiter Corporate Design bei Festo.
Für Fischer hat sich seit 2001 einiges getan: „Die Vernetzung im Unternehmen und mit den Kunden hat sich dadurch deutlich verbessert.“ Im Unternehmen helfe den Bionik-Forschern z. B. der Zugriff auf die Geräte zur zerstörungsfreien Prüfung mittels Röntgentechnik. Während bei den ersten Modellen Prototypen noch bei einem Dienstleister hergestellt wurden, gibt es nun im eigenen Haus Anlagen zum Lasersintern komplexer Kunststoffprodukte. Darauf werden für die Bionik sowohl Prototypen als auch Kleinserien hergestellt. Angeschafft wurde die Lasersinteranlage ursprünglich, um Neuentwicklungen für Kunden beschleunigen zu können.
Ein Partner im Bionik-Netz ist für den Automatisierungsanbieter Evo Logics aus Berlin, eine Ausgründung aus der TU Berlin. Zusammen hatten beide bereits ein Jahr zuvor einen künstlichen Manta-Rochen entwickelt, der sich wie sein Vorbild im Wasserbecken bewegt.
„Die Idee für den Pinguin, den wir in diesem Jahr auf der Hannover Messe präsentierten, stammt von Dr. Rudolf Banasch“, so Fischer. Der heutige Evo-Logics-Geschäftsführer habe schon vor 25 Jahren erste Versuche durchgeführt und dabei die besonders strömungsgünstige Form der Tiere belegt.
Fischer: „Es ging uns darum, von der Natur zu lernen und diese Erkenntnisse für unsere Kernkompetenz, die Automation, zu nutzen und in entsprechende Systeme zu übertragen.“ Ähnlich wie bei einem Concept-Car würden aus diesen Ergebnissen Prototypen gestaltet, die zeigen, was alles möglich ist. Beispiel dafür ist die Finraystruktur, die bereits bei den Rochen-Modellen für zweidimensionale Bewegungen und nun bei dem Pinguinen für dreidimensionale Bewegungen zu Einsatz kommen.
In den Pinguinen erlaubt es die 3-D-Finraystruktur, sowohl den Kopfteil als auch die Schwanzflosse um jeweils 90° in jede Richtung zu bewegen, während die 2-D-Struktur z. B. die Hin- und Herbewegung einer Schwanzflosse nachempfindet.
Die leichten und gleichzeitig sehr flexiblen Strukturen funktionierten die Festo-Forscher schließlich zu Greifern für runde bzw. ovale Produkte um. Angeregt wurde das durch Anfragen von Kunden, die Blumenzwiebeln handhaben wollten. Fischer: „Wir sagten: Adaptiv greifen, das können wir. So entstand der Fin-Gripper.“ Dessen Struktur passt sich beim Greifen den gewölbten Flächen weitgehend an und bringt daher auf dem Objekt einen geringeren Druck auf, als starre Greifer mit drei Backen.
Ein weiteres Ergebnis ist ein bionischer Tripod mit einer 3-D-Finraystruktur. Die bionische Lösung ist dabei sehr leicht. Laut Fischer wiegt er 80 g gegenüber 800 g bei einer vergleichbaren herkömmlichen Ausführung. Entsprechend weniger Antriebsenergie werde benötigt. Darüber hinaus biete der bionische Greifer wegen seiner Biegsamkeit um bis zu 90° völlig neue Bewegungsmöglichkeiten.
In den Pinguinen stecken aber auch noch Technologien, die längerfristig umgesetzt werden könnten. Die Tiermodelle arbeiten mit Sonartechnik, können sich damit selbständig im Raum orientieren und miteinander kommunizieren. Hier sehen die Entwickler noch Potenzial, um verteilte Automatisierungsprodukte künftig besser koordinieren zu können. M. CIUPEK/L.W.
Gebündelte Kompetenz in der Bionik
Dass die Natur ein genialer Konstrukteur ist, steht außer Frage. Doch erst seit wenigen Jahren nutzen Forscher und Entwickler Erkenntnisse aus Biologie und Technik (Bionik) systematisch aus.
Automatisierungsspezialist Festo, Esslingen, verfolgt seit 2001 Konzepte der Bionik und gründete 2006 das „Bionic Learning Network“.
Seit April 2004 gibt es das Bionik-Kompetenz-Netz (Biokon), Berlin. Darin zusammengeschlossen sind Forschungseinrichtungen und Unternehmen aus Biologie und Ingenieurwissenschaft.
Seit 2007 erarbeitet das VDI-Kompetenzfeld Biotechnologie zusammen mit Partnern entsprechende VDI-Richtlinien. CIU
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