Wohnung für das Existenzminimum
VDI nachrichten, Düsseldorf, 28. 11. 08, rok – Armut in Ballungsräumen verursacht Obdachlosigkeit. Mit einem von der Stiftung Bauhaus Dessau ausgelobten Wettbewerb wurden jetzt Lösungen prämiert, die es erlauben, mit geringem Aufwand in sozialen Brennpunkten Wohnraum zu schaffen.
Autonom agierende Bewohner in der Siedlung eines chilenischen Armenviertels können in den Skeletten der Rohbauten von 414 dreigeschossigen Häusern ihre Wohnideen verwirklichen. Hier entstehen kostensparend Wände, Decken und Außenwände in Eigenleistung, so dass das Haus nach den Möglichkeiten der Bewohner wächst.
In einer Vorstadt Tokios wurde ein 30 Jahre altes Gebäude nach Bedürfnissen und Wünschen neuer Bewohner modernisiert. Vieles kam bei der Sanierung nicht unnötig auf den Sperrmüll, was die eine oder andere teure Anschaffung entbehrlich machte. Diese und andere Bauideen zeichnete jetzt die Stiftung Bauhaus Dessau aus, um zu zeigen, dass in sozialen Brennpunkten preiswert Wohnraum zu schaffen ist. Titel der Ausschreibung: „Wohnungsnöte – Wohnung für das Existenzminimum“.
1929, also im Jahr der Weltwirtschaftskrise, versuchte unter dem Titel „Wohnung für das Existenzminimum“ der Internationale Kongress für Moderne Architektur (CIAM) in Frankfurt am Main Lösungen zur Linderung damaliger Wohnungsnot zu finden. Rein zufällig, doch recht symbolträchtig schrieb im Vorfeld der jetzigen Finanz- und Wirtschaftskrise die Stiftung Bauhaus Dessau unter gleichem Titel den 5. Internationalen Bauhaus Award aus.
Den ersten Preis gewannen zwei Deutsche, die Architekten Ralf Pasel und Frederik Künzel. Ihr Entwurf „Steps “n Slabs“ sieht für ein illegales Armenviertel in der chilenischen Stadt Temuco eine Siedlung mit 414 Häusern vor. Der zweite Preis ging an den Japaner Jo Nagasaka, der in Tokio preiswertes Modernisieren in alter Bausubstanz vorführte. Den dritten Preis errangen Rufina Wu, Canada, und Stefan Canham, Deutschland, mit „Portraits from above“, einer Dokumentation vom Siedeln auf Hochhäusern in Hongkong.
Bauideen zu initiieren, woraus für Menschen unterer sozialer Schichten in Ballungsräumen Wohnraum resultieren könnte, darum ging es dem Bauhaus. Teilnehmen durften Architekten, Künstler und Wissenschaftler, die zum Zeitpunkt der Fertigstellung ihrer Projektideen unter 40 Jahre alt waren. Den ersten Preis hatte die Stiftung mit 6000 € dotiert, den zweiten mit 4000 € und den dritten mit 2000 €.
Während der von der Jury mit dem zweiten Preis bedachte Entwurf „Sayama Flat“ bereits umgesetzt ist, befindet sich das mit dem ersten Preis ausgezeichnete Projekt „Steps “n Slabs“ noch im Bauzustand. 150 der 414 Häuser werden aber noch in diesem Jahr fertiggestellt sein.
Grundprinzip des Entwurfs „Steps “n Slabs“ ist die Möglichkeit, Wohnzellen in vorgegebenen dreigeschossigen Häusereinheiten individuell anzuordnen, wobei das Erdgeschoss der Nutzung von Läden, Gewerbeflächen oder Pkw-Einstellplätzen vorbehalten bleibt. Wichtigster Aspekt des Projekts: Der bauliche Charakter der einzelnen Einheiten gewährt jeder Familie eine eigene Eingangstür, so dass die Bewohner über eine eigene Adresse verfügen.
Grundelement der dreigeschossigen Bauten ist eine 1,2 m schmale und 8 m lange Einheit, in der bereits Grundbedürfnisse wie Waschen und Kochen möglich sind. Besonderen Wert legten die Autoren bei ihrem Entwurf deshalb auf die Funktionalität der Versorgungstechnik, damit Wasser, Abwasser und Strom von Anfang an fließen können. Platziert man nun diese Grundeinheiten in einem Abstand von 3 m nebeneinander, sei es – so die Autoren – auf einfache Weise möglich, Deckenkonstruktionen in Eigenleistung einzuhängen und in Eigenleistung auch eine Fassade zu montieren. Künftige Bewohner könnten so ihr neues Heim autonom erweitern, und zwar bis zu einer Wohnfläche von 88 m2.
Das mit dem zweiten Preis versehene Sanierungsprojekt „Sayama Flat“ wurde in diesem Jahr verwirklicht. Es handelt sich um die Modernisierung eines 30 Jahre alten Wohngebäudes am Rande Tokios, wobei der bauliche Aufwand ausgesprochen gering blieb. Bei üblichen Modernisierungsvorhaben hätte man – erläutert Autor Jo Nagasaka – das Gebäude entkernt und einen völlig neuen Ausbau realisiert. Bei „Sayama Flat“, das zuvor weitgehend von älteren Menschen bewohnt war, blieben jedoch einzelne Teile von Einbauten unangetastet. Anerkennung bei der Jury fanden die Norwegerin Vigdis Haugtrø und ihr Landsmann Johannes Franciscus de Gier mit dem Projekt „Husly“, die Europaletten für das Bauen nutzen.
ELMAR WALLERANG
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