Moderne Scheinwerfer in biedermeierlichem Ambiente
Das Theater an der Wien, die erste große Privatbühne der Stadt, blieb bis heute nicht nur das schönste, sondern auch das modernste Theater Wiens. Letztes Jahr wurde das Gebäude 200 Jahre alt. Jetzt schildert ein Buch die künsterische und technische Innovationskraft hinter der spätbarock-biedermeierlichen Fassade.
Immer die Nase vorn…“, so umreißt „Opernführer“ Marcel Prawy die Entwicklung des Theaters an der Wien, was sowohl die künstlerische, als auch die bühnentechnische Leistung des Theaters betrifft. Der Autor Tadeusz Krzeszowiak führt jetzt in dem Buch „Theater an der Wien – Seine Technik und Geschichte 1801-2001“ die 200-jährige Entwicklung des Theaters detailliert vor Augen. Trotz allem spätbarock-biedermeierlichen Ambiente blieb das Theater zu jeder Zeit eine moderne Spielstätte. Sie bot im Bereich Schauspiel, Oper, Ballett und Operette immer wieder das Neueste. Seit 37 Jahren gibt es vorwiegend Musicals, wobei man in der technischen Ausstattung den Vergleich mit keinem einschlägigen Haus in der Welt scheuen muss.
Anno 1791 war die „Zauberflöte“, im Starhembergschen Freihaus-Theater im Vorort Wieden uraufgeführt worden. Sie brachte dem Librettisten, Hauptdarsteller und Prinzipal Emanuel Schikaneder Erfolg über Mozarts Tod hinaus. Aber das Haus war eng und technisch noch im Barockstil eingerichtet. Schikaneder fand einen Geldgeber und am andern Ufer des Wien-Flusses einen Bauplatz. Mit der kaiserlichen Bau-Erlaubnis reichte er am 3. Mai 1800 die Baupläne ein, die schon am 27. des Monats genehmigt waren! Dann wurde gebaut: Ein Logentheater mit vier Rängen und Platz für 2200 Zuschauer – wenn es auch nur 700 bequeme Sitzplätze gab. Und das alles innerhalb von nur 13 Monaten.
Die technischen Einrichtungen waren aufs Modernste gewählt: Barockes Maschinentheater, das schnell und beinahe geräuschlos funktionierte, Dekorationen und Vorhänge, die mit Flaschenzügen bewegt wurden. Die „Zeitung für die elegante Welt“ schwärmte: „…da die Szenen und Kortinen auf eine bisher noch nie gesehene Art jedesmal von oben herab kommen und wieder dahin zurückkehren, so glaubt der gewöhnliche Wiener…jedesmal ein neues Flugwerk zu sehen, das ihm nach seinem bekannten Geschmacke ganz außerordentlich behagt…“
Für die wechselnden Eigentümer und Prinzipale galt es, den führenden Rang in der Theaterstadt Wien zu behaupten, nicht nur durch künstlerische (zuweilen auch fragwürdige) Attraktionen, sondern auch durch ständige technische Erneuerung. Man konnte in der Zeit Napoleons Schillers „Jungfrau von Orleans“ mit 400 Statisten, mit Kamelen, Pferden, Hunden spielen (das Bühnenportal zur Straße hin war sehr weit). Man konnte schon lange vor Erfindung des Opernballs 1818 einen „Maskierten Ball“ veranstalten („Mit unbegreiflicher Schnelligkeit war binnen 24 Stunden der Schauplatz und das Podium zu einem eleganten Tanzsaale umgeschaffen…“) Und um 1830 stellten die „Zaubermärchen“ von Ferdinand Raimund keine geringen Ansprüche. Aber schon im Oktober 1831 gab es als neueste Attraktion die erste Gasbeleuchtung für einen Teil der Bühne und den ganzen Zuschauerraum.
Schon 1845 war unter dem neuen Direktor Franz Pokorny eine Totalrenovierung fällig: Neue Pracht im Zuschauerraum. Bühne und Unterbühne wurden neuen Ansprüchen der Oper gerecht: „…der Boden öffnete sich allerorten, was durch 23 Versenkungen leicht möglich gemacht wurde..“ Das erleichterte Verwandlungen und verkürzte die Umbau-Pausen. Nach der Premiere von Flotows „Alessandro Stradella“ musste sich sogar der Maschinist verbeugen – damals noch ganz ungewöhnlich. Am 15. April 1849 wurde in der Pariser Oper zur Uraufführung der Oper „Der Prophet“ von Meyerbeer das elektrische Bogenlicht vorgeführt. Vier Monate später konnte man die neue Helligkeit („Sonnenbrenner“) auch im Theater an der Wien bewundern.
Noch dominierte allerdings das Gaslicht. Als um 1870 die „Goldene“ Ära der Wiener Operette begann, hatte man die „Schmetterlingsbrenner“ (offene Gasflammen) mit Milchglaszylindern abgedämpft. Sie strahlten nun ruhiger und waren weniger gefährlich. Die Hitze-Entwicklung wurde 1883 durch eine moderne Ventilationsanlage gemäßigt.
Der verhängnisvolle Brand des Wiener Ringtheaters (1881) brachte grundlegende Bau- und Schutzbestimmungen hervor, die zum großen Teil bis heute in Österreich gelten und dem Publikum zum Beispiel die endlos langen Sitzreihen deutscher Opernhäuser ersparen. Mittelgang wurde Vorschrift. Neue Theaterbauten durften nicht mehr in der Häuserzeile stehen. Das galt zwar nicht für das Theater an der Wien, aber im Innern wurde vieles verändert: Zahl und Breite der Treppen und Ausgänge, Öffnung der Türen nach außen, Erprobung des Eisernen Vorhangs vor und nach der Vorstellung und in der Pause… Bis 1890 war die Umstellung auf Elektrizität durchgeführt. Da es noch keine öffentliche Stromversorgung gab, wurden im Keller Stromaggregate für die 800 Lampen des Hauses aufgestellt und zunächst mit Dampfkraft betrieben. In den Jahren 1928/29 wurde die Drehbühne eingebaut, gerade rechtzeitig für den ersten Auftritt des Tenors Richard Tauber im „Land des Lächelns“. Im 2. Weltkrieg blieb das Theater wie durch ein Wunder von Bomben verschont und wurde nach 1945 zum Ausweichquartier der zerstörten Staatsoper.
Nach deren Wiedereröffnung konnte sich der Staat neben der Volksoper kein drittes Opernhaus leisten. So griff die Stadt zu und hatte ein eigenes Haus für die Wiener Festwochen (zweimonatige Nutzung). Im restlichen Jahr wollte man Musicals spielen. Das begann 1965 mit dem vier Jahre zuvor am Broadway uraufgeführten Stück „Wie man was wird im Leben, ohne sich anzustrengen“. Mit beinahe jeder Inszenierung kamen neue technische Einrichtungen. Zwar wirken in dem spätbarock-biedermeierlichen Haus die vielen Scheinwerfer wie Fremdkörper. Aber sie sind vielleicht im Rahmen des technischen Fortschritts irgendwann entbehrlich. LOTHAR STRÄTER
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