Kühne Architektur aus deutschen Büros
VDI nachrichten, Düsseldorf, 16. 11. 07, ws – In Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten entstehen futuristisch anmutende Bauwerke beinahe im Stundentakt. Deutsche Architekten sind dort hoch geschätzt und an der Entstehung zahlreicher Prachtbauten beteiligt. Drei Beispiele.
Wie kommt das Buch aus dem Lesesaal für Männer in die Frauenbibliothek? Eine Frage, über die die Gerber Architekten in Dortmund stolperten, als sie 2002 die King Fahad Nationalbibliothek in Riad entwarfen.
Der Auftraggeber, das Königreich Saudi-Arabien, gilt als besonders islamisch-konservativ. Frauen und mit ihnen nicht verwandte Männer gemeinsam in einem öffentlichen Raum sind absolut tabu. „Wir haben den ersten Preis beim Wettbewerb gewonnen und auch den Auftrag erhalten“, sagt Eckhard Gerber.
Einer Glocke gleich umhüllt der Neubau das alte Bibliotheksgebäude aus den 1970er Jahren, das unter Denkmalschutz steht. „Das flache Dach des Altbaus dient als Lesesaal, während sich in seinem Inneren – wie in einer Schatztruhe – die Büchermagazine befinden“, erläutert der Chefarchitekt. Eingespannte weiße Membranflächen sind multifunktional. Sie filtern Tageslicht, das durch die als Stahl-Glas-Konstruktion neu gestaltete Kuppel dringen kann, dienen als Sonnenschutz und interpretieren die arabische Tradition der Zeltstrukturen.
Das Frauenproblem haben die Dortmunder gelöst: Die Bibliothek für die Leserinnen ist separat zugänglich. 2009 soll das Gebäude fertig sein.
Seit 1999 reisen die Gerber Architekten nach Riad. Das Buch „Die schönsten Bibliotheken der Welt“ brachte dem Büro die erhoffte Aufmerksamkeit des Königshauses. „Darin war die Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen abgebildet, eines unserer Projekte“, mit 600 lichtdurchfluteten Arbeitsplätzen, strukturell aufgebaut als „Handrücken mit fünf Fingern“.
Gerbers Büro mit rund 60 Mitarbeitern steht für einen ganzheitlichen Ansatz der Konzeptfindung. „Das Herleiten aus der Besonderheit des Ortes, seiner Geschichte, seiner Topographie und der umgebenden Bebauung, das Klima und die Erschließung, aber auch die energetisch-ökologischen Belange sind wichtige Parameter unserer Entwurfsarbeit“, betont er. „Wir haben erfahren, dass die Menschen im arabischen Raum stolz sind auf ihre Kultur, auf ihre Tradition, und traurig, dass heute alles austauschbar ist.“
Austauschbar soll die Architektur, die aus Dortmund kommt, in keinem Fall sein. Unter Federführung der Deutschen entsteht in einem Wadi ein Wissenschaftszentrum mit Shopping Mall, zukunftsweisende Technologie, die die Bewahrung der natürlichen Schönheit einer Landschaft einschließt.
Vorerst nur auf dem virtuellen Reißbrett verdreht ein über 300 m hoher Turm potenziellen Investoren den Kopf: der Burj Al-Taqa Energy Tower. Die Glas-Stahl-Konstruktion in Zylinderform hat eine rotierende Spindel – eine Windturbine – auf dem Dach. Das Prinzip der Windtürme, das von Alters her in Häusern im arabischen Raum für ein kühles Inneres bei heißen Außentemperaturen sorgt, findet in dem innovativen Projekt Anwendung. Die Nutzung von Sonne und Meerwasser macht aus dem spektakulären Vorhaben einen energieautarken Turm, „der überall stehen kann“, sagt Gerber. „Saudi-Arabien, Bahrain, Dubai.“ Dubai, die Stadt, wo 500 Türme gleichzeitig im Bau sind, darunter der mit über 500 m höchste der Welt.
In diesem wirtschaftlich rasant wachsenden Emirat am Golf wollen auch die KSP-Architekten aus Köln Fuß fassen. „Dubai ist für uns das Tor zum islamischen Wirtschafts- und Kulturraum“, erklärt Michael Zimmermann, neben Jürgen Engel einer der Inhaber des Unternehmens. „Dort sitzen viele Entscheider.“ Persönlich schwärmt Zimmermann für Nordafrika. „Da liegt ein interessanter Markt.“
Allein durch ihre exponierte Lage habe die Stadt der Wolkenkratzer dafür eine Schlüsselfunktion. Man brauche langen Atem, um als deutsches Architekturbüro im Ausland Erfolg zu haben. „Drei bis sechs Jahre“, rechnet Zimmermann, „und man muss vor Ort sein.“
Jetzt hat sein Büro erneut Anlauf genommen, um in der seit Jahren boomenden Immobilienbranche am Golf eine eigene Visitenkarte zu hinterlegen. Seit Juli diesen Jahres vertritt ein syrischer Architekt mit deutschem Pass die Interessen der Kölner in Dubai.
Sechs Flugstunden entfernt arbeiten 150 seiner Kollegen an maßgeschneiderten Lösungen, für hohe Ansprüche an zukunftsweisender Architektur, die sich „durch Beständigkeit, Flexibilität, Leidenschaft und Intelligenz auszeichnet“, so Zimmermann.
„Uns Deutschen eilt der Ruf einer soliden Grundhaltung voraus. Man traut uns zu, dass wir das auch umsetzen, was wir anbieten, und nicht nur Bildchen malen.“ Die Araber schätzten das Visualisierte. Visionen auf dem Reißbrett ließen sich daher gut verkaufen.
Wie die von einer neuen Stadt, so groß wie Hongkong. Bis 2025 soll die King Abdullah Economic City in Saudi-Arabien ein Zuhause für 2 Mio. Menschen bieten, mit einem Universitäts- und Finanzzentrum und Luxushotels in exponierter Lage – am Roten Meer. Auch hier, am größten Infrastrukturprojekt im Nahen Osten, ist ein Deutscher beteiligt: Dietmar Kamphans aus Eberdingen. Als Landschaftsarchitekt gestaltet er den ersten Bauabschnitt des königlichen Vorhabens mit.
Seit 2005 ist er mit seiner Firma KLA in Riad vertreten und damit das erste deutsche Landschaftsarchitekturbüro in Saudi-Arabien. „Es kann frustrierend sein, wenn man zu Gesprächen hierherkommt und dann im Nachhinein feststellen muss, das hätte ein Telefonat auch getan. Die permanente Anwesenheit ist ein entscheidendes Kriterium, um akzeptiert zu werden und Vertrauen zu erwerben“, meint er.
Zwei Jahre könnten ins Land gehen, bis man wahrgenommen werde. Aus einem mit der Zeit gewachsenen Netzwerk von Beziehungen erhalte man Informationen zu Projekten, „für die manchmal über Nacht Angebote erstellt werden müssen. Hier zählt Schnelligkeit“, sagt Kamphans.
Aufgrund des Baubooms herrsche Fachkräftemangel. Hier wie dort sucht Kamphans kompetente Mitarbeiter – und findet keine. „Dabei sind Deutsche mit ihrem Know-how, ihrer Zuverlässigkeit und Qualitätsarbeit hier herzlich willkommen.“ HEIKE BALDAUF
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