Hindernisse aus dem Weg räumen
VDI nachrichten, Berlin, 28. 9. 07, cha – Der demografische Wandel ist in aller Munde. Neben der Pflegedebatte und dem Fachkräftemangel, die diese Entwicklung hervorruft, bleibt ein Thema eher im Hintergrund. Wie sieht zukünftiges Wohnen aus? Wie können Gebäude so gestaltet werden, dass Ältere und Behinderte sich in ihnen bewegen und zurechtfinden können? Da müssen Fachleute heran. So einer wie Heino Marx.
Manchmal ist es mühevoll, einen Ausgleich zwischen Nützlichkeit und Ästhetik zu finden. Heino Marx, Ingenieur und Inhaber der Bauberatung Barrierefrei Planen, hat sich schon häufiger mit Architekten auseinandersetzen müssen. Etwa beim Bau des Umweltbundesamtes in Dessau. Hier hat er ein Leitsystem entwickelt, mit dem sich auch Blinde und Sehbehinderte in der Behörde orientieren können. „Es war nicht ganz einfach, den Architekten von den kontrastreichen Farben zu überzeugen“, sagt Marx.
Heute ist der schwarze Streifen mit der glatten Oberfläche nicht mehr aus dem Gebäude wegzudenken. Er führt zu Säulen, an denen Informationen nicht nur gesehen, sondern auch erspürt werden können. Der Bau gilt inzwischen als ein Musterbeispiel für behindertenfreundliches Planen. „Vielen Architekten fehlen die nötigen Kenntnisse für barrierefreie Lösungen“, sagt Marx. Mit seiner Erfahrung mit Bauplanung und Technik als Ingenieur und seinem Spezialwissen bietet er eine Dienstleistung an, die in Zukunft immer gefragter sein wird.
Denn mit dem demografischen Wandel wird die Zahl der Menschen zunehmen, für die Stufen unüberwindbare Hindernisse sind, zu kleine Schrift unlesbar ist, die sinnvolle Lösungen brauchen, um sich in dieser Gesellschaft zu bewegen. „Nehmen wir diese Thermoskanne als Beispiel“, sagt Christa Kliemke. Mit der linken Hand dreht sie den Deckel leicht auf, mit der rechten Hand schenkt sie Kaffee aus der Kanne in eine bereitgestellte Tasse. „Wenn ich gesund und kräftig bin, ist das alles kein Problem. Aber was passiert, wenn ich nicht mehr greifen kann, oder etwa halbseitig gelähmt bin?“ Der Deckel lässt sich mit einer Hand kaum öffnen. Einschenken, ohne etwas zu verschütten – fast unmöglich.
Christa Kliemke ist Leiterin des Kompetenzzentrums Barrierefrei Planen und Bauen an der Technischen Universität Berlin. Die Thermoskanne ist ein Paradestück dafür, mit welchen Herausforderungen man es zu tun hat, wenn man altert. Die meisten Schwierigkeiten treten im eigenen Haushalt auf.
Die meisten Menschen hegen den Wunsch, hier alt zu werden. Doch plötzlich ist die Badewanne zu tief zum Sitzen, die Türen sind zu schmal für den Rollstuhl, der Weg von Schlafzimmer zum Bad zu weit. Christa Kliemke bietet fächerübergreifende Seminare an. Auch Handwerker sind Teil ihres Kompetenznetzwerkes. „Sie sind meist die Ersten, die auf Missstände im Haushalt aufmerksam werden“, sagt Kliemke.
Der Bedarf nach Lösungen für diese Schwierigkeiten ist riesig und wird mit dem demografischen Wandel noch weiter steigen. Immer mehr Wohnungen müssen den Bedürfnissen des Alters angepasst werden. Immer mehr Produkte müssen auf ihre Zweckmäßigkeit hin überprüft werden. Gerhard Loeschcke, Inhaber des Lehrstuhls für Barrierefreies Bauen und Entwerfen an der Hochschule für Technik in Karlsruhe, stellt fest: „Auf diesem Gebiet gibt es ein großes Potential, sich durch Spezialwissen hervorzuheben.“
Universal Design ist das Schlagwort. Als Ausgangspunkt der Planung wird nicht mehr der ideale Mensch genommen, der jung und geistig und körperlich fit ist. „Langsam setzt sich der Gedanke durch, dass es sich um eine eigene Qualität handelt, wenn Räume für alle Menschen zugänglich sind“, sagt Loeschcke. Der Handtuchhalter, der auch als Haltegriff genutzt werden kann, der Spiegel, in dem man sich sowohl stehend als auch sitzend sehen kann, sie sind Vorreiter des Universal Designs. Ein geräumiges Bad, große Türen und Rampen für Rollstühle gehören ebenso dazu.
Aber auch Orientierungssysteme, die mehrere Sinne ansprechen. Das können kleine Brunnen und Mobiles sein, die durch ihr Plätschern und Klingen Auskunft über den Ort geben, an dem man sich befindet. Oder unterschiedliche Bodenbeläge, die etwa mit einem Blindenstock erfühlt werden können. Doch nicht nur Sehbehinderte brauchen ein geeignetes Umfeld für ihre Orientierung. Auch Menschen mit Demenz profitieren davon, dass Räume verständlich gekennzeichnet sind. Besonders ältere Menschen sind von solchen Einschränkungen betroffen.
Inzwischen haben auch große Konzerne das Thema Universal Design entdeckt. So bietet die Firma Grohe, Hersteller von Sanitärarmaturen, eine eigene Produktlinie zum Thema an. Doch die eigentlichen Impulse kommen aus Japan. Hier ist der demografische Wandel besonders fortgeschritten.
Das Thema genießt höchste Priorität. Alle großen japanischen Konzerne sind Mitglied der International Association for Universal Design. Hierzulande ist die Entwicklung noch nicht so ausgeprägt: Heino Marx ist einer von lediglich 23 DIN-geprüften Fachplanern für barrierefreies Bauen in Deutschland. HENNING ZANDER
Wenn der Weg vom Bett zum Bad zu beschwerlich wird
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