Frische Stadtkonzepte für Deutschland
VDI nachrichten, Berlin, 7. 9. 07, swe – In der modernen Stadt sind die Menschen mobil, ohne die Umwelt zu überbelasten. Die Lebensqualität ist gut, weil es eine moderne Verwaltung gibt. Solch eine Idealstadt gibt es noch nicht. Aber es gibt Ansätze, die schon erste Tests hinter sich haben. Bilfinger Ber- ger will nun deutsche Defizite mit Vorbildern beheben. Dieses Jahr verlieh der Baukonzern daher erstmals einen mit 70 000 € dotier- ten Preis, letzte Woche gab er in Berlin die Gewinner bekannt.
Vorbildliche Lösungen im Beziehungsgeflecht von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat“, suchten die Ausschreiber des ersten Bilfinger Berger Awards. Die Jury überprüfte dabei auch die eingereichten Studien zur Stadtentwicklung auf ihre Übertragbarkeit auf Deutschland.
Dabei zogen britische Beispiele das große Los – London landete auf Platz eins und drei. Platz eins belegt der „Idea-Store“, ein Konzept zur Aufwertung von Problemstadtvierteln, wobei die eingereichte Studie von der deutschen Stadtplanerin Cordelia Polinna stammt. Auf den dritten Platz setzte die Jury die Londoner City-Maut.
Mittendrin, auf Rang zwei kamen die Australier, die ein verfeinertes System für Private-Public-Partnership(PPP)-Projekte einsetzen. Ausgewählt wurden die Sieger aus 58 Studien, die sich mit Problemlösungen in 29 Ländern auseinander setzten.
Jurymitglied Klaus Töpfer, Ex-Bundesumweltminister und bis zum März 2007 Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, hält vor allem die City-Maut für ein Gebot der Stunde.
Die Klimaschutzdebatte ist für ihn ein Grund mehr, über reduzierten Straßenverkehr in den Städten nachzudenken. Töpfer weiß natürlich, dass „die besondere Affinität der Deutschen zu ihrem Auto“ die Umsetzung nicht gerade erleichtern werde.
Auch in London gab es nicht nur Befürworter. Doch das Ergebnis spricht für sich, glaubt die Jury. Gestartet im Februar 2003, muss heute jeder, der zwischen 7 Uhr und 18 Uhr in die Londoner City fährt, eine Gebühr von 8 £ (knapp 12 €) bezahlen. Etliche Ausnahmen gibt es. Sie reichen von Radlern bis zu Rettungswagen und auch Autos mit alternativen Antrieben. Die Anwohner zahlen nur 10 % der Mautgebühr.
Das erfreuliche Ergebnis: Die Verkehrsbelastung sank um ein Fünftel, die Emissionen um 8 % bis 12 %. Allerdings setzt die Einführung eines solchen Systems für Töpfer auch voraus, dass es – analog zu London – wirklich mit allen Beteiligten ausführlich diskutiert wird. Der öffentliche Nahverkehr muss entsprechend attraktiv sein und die Mautgebühr sollte reinvestiert werden. In London gehen vier Fünftel der Einnahmen in den Ausbau des öffentlichen Busverkehrs.
„Alliances“ nennt sich das australische Gewinnerkonzept. Während in Deutschland die klassische privat-öffentliche Partnerschaft zwischen Unternehmen und öffentlicher Hand nicht selten vor Gericht endet, schließen die australischen „Alliances“ eine solche Klage von vornherein aus.
Bei den „Alliances“ setzen sich öffentlicher Auftraggeber und privater Auftragnehmer zusammen und handeln ein Budget aus. Wird dieser Betrag unterschritten, wird das Plus unter beiden Partnern aufgeteilt. Wird das Projekt teurer, zahlen die Partner die Mehrkosten ebenfalls zu gleichen Teilen. Ein Rechtsstreit ist ausgeschlossen.
Offenheit und Vertrauen sind die Grundlage solcher Verträge. Vor allem entfallen die in Deutschland üblichen sehr detaillierten Leistungsbeschreibungen. Ein solcher Weg erfordere in Deutschland einen „Bewusstseinswandel“, schätzt die Jury.
Die britischen „Idea-Stores“, Sieger im Wettbewerb, sind hingegen relativ leicht umzusetzen, glaubt das Jury-Mitglied, die Journalistin und langjährige Fernsehkorrespondentin Gabriele Krone-Schmalz. In London wurde in einem Problemviertel – hohe Arbeitslosigkeit, niedriger Bildungsstand und ein großer Anteil von Migranten – ein Vielzweckgebäude errichtet.
Die Idea-Stores sind Bibliothek, Internet-Café, so etwas wie Volkshochschule und Fitnessstudio in einem. Errichtet werden sie an zentralen Stellen, möglichst in der Nähe von Einkaufszentren. Das Konzept: moderne Glaskonstruktionen, ähnlich den Flagship-Stores der Markenartikler. Hier leiste die Architektur einen entscheidenden Beitrag, ist sich Krone-Schmalz sicher.
Die Idee ist leicht umzusetzen und gut, befand die Jury. Denn London zeigt: Die Bildungsangebote werden angenommen. Es gibt mehr Arbeitsplätze, zum einen in den Stores selbst, aber auch mehr private Investoren. Das Gebiet wird als Wohnort attraktiver. Die Bewohner identifizieren sich stärker mit ihrem Viertel.
Ob und wie in Deutschland auch nur eines dieser Projekte umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Klaus Töpfer hofft auf eine umfangreiche öffentliche Debatte, die mithilfe des Blicks über den Zaun zu realen Beschlüssen führt.
BIRGIT BÖHRET
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