Architektur 14.03.2003, 18:24 Uhr

Brückenschlag von Kalabrien nach Sizilien

Nach Jahrzehnte langen Auseinandersetzungen entschloss sich jetzt die italienische Regierung definitiv zum Bau der Messina-Brücke für den Bahn- und Straßenverkehr. Ab 2011 wird an der Meerenge zwischen Kalabrien und Sizilien eine von weit her sichtbare Hängebrücke mit der weltweit größten Spannweite von 3300?m zu bestaunen sein.

Ein von vielen Stiefelbewohnern und Italienbesuchern lang gehegter Traum geht in Erfüllung: die Fahrt im Auto oder Zug bis nach Sizilien ohne Wechsel des Verkehrsträgers. Zur Überquerung der Meerenge von Messina wird anstelle des herkömmlichen Fährdienstes eine über 3,6 km lange Hängebrücke zu Diensten stehen. Die damit einhergehende Zeitersparnis (etwa eine Stunde für Autofahrer, zwei Stunden für Bahnbenutzer) wird sich auf jeden Fall lohnen, da die erhobene Mautgebühr in etwa den derzeit geltenden Fährtarifen entsprechen soll. Zufrieden auch Ministerpräsident Silvio Berlusconi, denn das 4,6 Mrd.?) schwere Mammutvorhaben soll „zum Symbol der Modernisierung des Landes werden und den Staat direkt keinen einzigen Cent kosten“. Der erste Spatenstich ist im Frühjahr 2005 vorgesehen.
Die von Pricewaterhouse Coopers vorgeschlagene neue Finanzierungsformel sorgt dafür, das der Staat nicht zur Kasse gebeten wird. 60 % der Baukosten will man aus internationalen Kapitalmarktanleihen (project financing) decken. Die Restsumme bringt die zur öffentlich-rechtlichen Fintecna gehörende Betreibergesellschaft Stretto di Messina SpA auf, an der auch die Italienischen Staatsbahnen, das Straßenbauamt Anas und die Landesregierungen beider Regionen beteiligt sind.
Ursprünglich sollte der Staat in Form verlorener Zuschüsse 60?% der Projektkosten finanzieren. Nachdem Umweltverträglichkeitsprüfung, technische Machbarkeitsstudie und Kosten-Nutzen-Analyse positive Ergebnisse gebracht haben, scheint das Vorhaben damit vorerst auch finanziell abgesichert. Bauträger ist die vom Staat beauftragte Betreibergesellschaft Stretto di Messina, die eine 30-jährige, aller Voraussicht nach auf 50 Jahre verlängerbare Konzession erhalten wird. Während der Bauphase wird mit der Schaffung von insgesamt 45?000 Arbeitsplätzen und einem regionalen Wertschöpfungseffekt von 47 % der Gesamtinvestition gerechnet.
Die Entstehungsgeschichte der Messina-Brücke hatte im Jahre 1971 mit einem zunächst allgemein auf eine „Festverbindung“ ausgelegten Ideenwettbewerb begonnen, der 1986 auch zur näheren Untersuchung von Unterwasseralternativen (ein fester und ein schwebender Tunnel) und 1992 schließlich zur Entscheidung zugunsten der Hängebrücke führte. Mit der vor kurzem erfolgten Genehmigung des überarbeiteten Vorläuferprojektes sind auch die Etappen bis zum Zieljahr 2011, dem Jahr der geplanten Fertigstellung, festgelegt worden. Während die internationalen Ausschreibungen zur Ermittlung der „general contractors“ (voraussichtlich drei) für die zweite Jahreshälfte 2003 angesetzt sind, darf mit dem definitiven Durchführungsprojekt zum Jahresende 2004 und dem ersten Spatenstich im Frühjahr 2005 gerechnet werden. Mit einer Spannweite von 3300?m wird das Großbauwerk selbst die Längenrekorde der Hängebrücken am japanischen Akashi Kaikyo (1991?m) und am dänischen Great Bealt (1624?m) übertreffen. Auf dem insgesamt 3666 m langen und 60 m breiten Brückendeck werden sechs Fahrstreifen für den Straßenverkehr, zwei Wartungsstreifen, zwei Bahngleise und zwei Fußgängerbereiche untergebracht. Das Fassungsvermögen: 6000 Fahrzeugen pro Stunde, 200 Zügen am Tag. Das 66?500?t schwere Großbauwerk muss Erdbeben von 7,1 auf der Richter-Skala (der Stärke des bisher schwersten Erdbebens aus dem Jahre 1908) und Windgeschwindigkeiten von mehr als 216?km/h standhalten, und zwar auch während des Bauvorgangs. Die Baustellenversorgung und Lagerhaltung soll – um den Alltagsverkehr nicht zu behindern – weitmöglichst dezentral über den Seeweg erfolgen.
Anhand technischer Änderungen und Optimierungen fand man trotz Berücksichtigung von Inflation, Landschafts- und Lärmschutz sowie neuer Sicherheitsvorschriften eine im Vergleich zum Ursprungsprojekt von 1992 um 200 Mio.?) günstigere Lösung. Erreicht wurde dies durch Tieferlegung des Brückenprofils auf der sizilianischen Seite um 11?m, was die Einsparung von 21?km Bahntunnel- und 1,6 km Viadukt-Strecken bedeutet. Trotzdem schlagen die Zufahrtswege per Asphalt (20,3?km) und Schiene (19,8 km) mit einem Drittel der Gesamtkosten zu Buche. Zudem muss in Messina ein neuer Bahnhof errichtet werden. Weitaus weniger Schwierigkeiten dürfte es wohl bereiten, für das Prestigebauwerk einen klangvollen Namen zu finden: Mit „Ponte di Messina“ ist der Betreiber nicht zufrieden.
Auf der Meerenge von Messina stellen täglich bis zu 400 Fähren die Verbindung von Sizilien mit dem Festland her. Berechnungen unabhängiger Beraterfirmen haben ergeben, dass schon zum Ende des Jahrzehntes der Transportbedarf durch deren Dienst nicht mehr gedeckt werden kann. Hinzu kommt, dass die Italienischen Staatsbahnen einen Südausläufer des Hochgeschwindigkeitsprogramms bis nach Sizilien planen und Schnellzüge vom Typ „Eurostar“ nicht für den Fährtransport geeignet sind. Außerdem sei die Brücke, so Transportminister Pietro Lunardi, eine wichtige Verbindung zu dem über den Balkan in Richtung Türkei führenden EU-Verkehrskorridor VIII.
Doch es gibt auch kritische Stimmen. Wissenschaftler warnen vor allem vor den Risiken, die aus der Nähe zur afrikanischen Kontinentalplatte und den Vulkantätigkeiten in der Region resultieren. Die überwiegend im Lager der Umweltschützer angesiedelten Gegner der Brücke behaupten, bei dem Projekt handle es sich um Geldverschwendung, da die Touristenströme besser im Flugzeug und der Warenverkehr in den „Meeresautobahnen“ (Lkw-Transport per Schiff) aufgehoben seien. Überdies mache der Mammutbrückenbau keinen Sinn, wenn nicht gleichzeitig das Auto- und Eisenbahnnetz auf beiden Seiten erheblich verstärkt werde. Auch sei die Brücke deutlich überdimensioniert, da die zugrundegelegten Zuwächse in der Verkehrsentwicklung zu optimistisch ausfallen. Dies ergebe sich auch aus argen Schwankungen einer von Pricewaterhouse Coopers erstellten Nutzungsprognosen bis 2012. Je nach unterstelltem wirtschaftlichen Entwicklungsszenarium (günstig, weniger günstig) gibt es beim Zuwachs Abweichungen von 12 % bis 68 % im Straßenverkehr und 24 % bis 55 % beim Bahnverkehr. Doch Pietro Ciucci, Hauptgeschäftsführer der Betreibergesellschaft Stretto di Messina SpA, gibt sich zuversichtlich: „Brücke, Flugzeug und Schiff schließen einander nicht aus. Zusammen bilden sie ein integriertes Verkehrssystem, das wesentlich zur wirtschaftlichen Entwicklung von Sizilien beitragen wird.“ Auch eine schrittweise Privatisierung der Stretto di Messina SpA sei durchaus realistisch. Man spricht sogar schon vom Börsengang. Möglicher Ersttermin sei – so Ciucci – aller Voraussicht nach im Jahr 2015. HARALD JUNG

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